Vom Abgas zum Erdgas – Wie genau sind Sondergase?
Normungsarbeit rund um aktuelle High-Tech Verfahren und Prozesse – Teil 1
In vielen industriellen High-Tech Verfahren und Prozessen, Forschung und Wissenschaft, Medizin und Umwelttechnik werden Sondergase eingesetzt. Als Gattungsbegriff umfasst diese Bezeichnung ein ansehnliches Spektrum höchster Qualitäten an Gasen. Dazu gehören u. a. Reinstgase mit besonders hohen Anforderungen an ihre Reinheit, Gasgemische genau definierter Zusammensetzung und Isotopengemische. Wie genau kann man Gaszusammensetzungen heute messen? Wie schafft man es, dass alle dasselbe messen? Welche Techniken kommen dabei zum Einsatz?
In einer kleinen Reihe von Artikeln wollen wir Ihnen Einblicke in die Arbeit des DIN-Normenausschuss „Gasanalyse und Gasbeschaffenheit" (DIN NA 062-05-73 AA) geben. In diesem ersten Beitrag geben wir Ihnen einen Überblick über die Arbeiten der BAM, der Sie staunen lässt, denn Normungsarbeit rund um die aktuellen High-Tech Verfahren und Prozesse ist heute ziemlich spannend.
Bestimmung von luftgetragenen Schadstoffen
In der Umwelttechnik werden immer höhere Anforderungen an die Genauigkeit der Bestimmung von luftgetragenen Schadstoffen gestellt. Dies beginnt bei Formaldehyd, flüchtigen organischen Komponenten (volatile organic compounds, VOC) oder Ozon für die Raum- und Umweltüberwachung und reicht bis zu Kohlendioxid, das vor dem Hintergrund seines natürlichen Vorkommens von 380 ppm (v/v) mit zunehmender Präzision und Richtigkeit bestimmt werden muss, um die heute eingesetzten Klimamodelle mit ausreichender Qualität über lange Zeiträume hinweg international vergleichbar zu bestimmen.
Wem das zu weit weg ist, der denke an die Ergebnisse der nächsten Abgasuntersuchung seines Fahrzeugs. Die Genauigkeitsklassen der neuesten Euronormen fordern geringe Toleranzen für die Komponenten Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Sauerstoff oder Kohlenwasserstoffe. Mit den bei der AU zulässigen Toleranzen lässt sich jedoch bei weitem noch kein Motor mit maßgeschneiderten Abgaswerten konstruieren, der heute um den Kraftstoff „herumgebaut" wird.
Um noch ein Beispiel für den eigenen Geldbeutel zu bringen, landet man spätestens an dieser Stelle bei der heimischen Erdgasrechnung. Erdgasgemische enthalten neben der Hauptkomponente Methan weitere für den Brennwert relevante Gaskomponenten. Das sind neben Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxid (die gerade nicht zum Brennwert beitragen) der Wasserstoff und insbesondere die höheren Alkane, wie Ethan, Propan, Butane und Pentane. Insgesamt sind das für ein handelsübliches Erdgasgemisch mit allen wichtigen Isomeren bis zu 17 Komponenten, die erfasst werden. Mit Erdgasgemischen, die diese Komponenten in bekannten Stoffmengenanteilen enthalten, werden Prozess-Gaschromatographen für jede der zu messenden Komponente amtlich kalibriert. Die dazu einzusetzenden Kalibriergase werden in Deutschland von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) festgelegt. Die Anforderungen an Kalibriergase für Brennwert- und Gasbeschaffenheitsmessgeräte unterscheiden sich je nach ihrem Einsatz. So werden zur Kalibrierung vor Ort in der Regel Gebrauchsnormale eingesetzt (Kalibriergase 3. Ordnung), die mindestens erweiterte relative Unsicherheiten unter 1 % (für Methan sogar unter 0,1 %) aufweisen müssen. Die Zertifizierung von Gebrauchsnormalen wird durch die Eichbehörden oder durch staatlich anerkannte Prüfstellen für Gasmessgeräte durchgeführt. Das Verfahren muss von der PTB anerkannt sein. Damit Sondergasehersteller diese Werte weitergeben können, beziehen sie sich auf Sekundärnormale (Kalibriergase 2. Ordnung), die durch die BAM Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung oder die Physikalisch-Technische Bundesanstalt zertifiziert wurden. Seit der Novelle des Eigesetztes im Januar dieses Jahres sind unter bestimmten Voraussetzungen auch weitere anerkannte nationale metrologische Institute dazu berechtigt.
Herstellung und Verifizierung von Primärnormalen
An der Spitze der Rückführungskette stehen die Primärnormale (Kalibriergase 1. Ordnung). In Deutschland liegen diese gravimetrisch hergestellten Primär-Gasgemische in den überwachten Laboren der BAM oder der PTB. Zweimal im Jahr tauschen sich die Gasexperten aller 55 Nationen, die sich der Meterkonvention (1) verpflichtet haben, in öffentlich publizierten Ringversuchen hinsichtlich ihrer Messfähigkeit und Vergleichbarkeit untereinander aus. Die Zertifizierung von Sekundärnormalen und die Durchführung von Ringversuchen zusammen mit den Anwendern ist damit einer der zentralen Schwerpunkte der BAM-Tätigkeiten, um die amtlichen Messwerte der Primärnormale in die Wirtschaft weiterzugeben.
Für binäre Gasgemische können für Primärnormale Genauigkeiten bis zu 0,01 % relativ erzielt werden, was einer erweiterten Messunsicherheit in den Stoffmengenanteilen von ca. 0,003 Mol-% entspricht. Für Mehrkomponentengemische werden auch für Komponenten mit 0,5 ppm (mol/mol) typische erweiterte Unsicherheiten von 0,03-0,05 % relativ erhalten. Diese hohen Genauigkeiten können mittels statisch gravimetrischem Verfahren (2) erreicht werden. Das Verfahren beruht auf der Annahme, dass sich gasförmige Referenzmaterialien durch Hinzufügen von Einzelkomponenten bekannter Reinheit durch Differenzwägung auf ihre Massenanteile zurückführen lassen und damit primär auf die Masse als Sl-Größe bezogen werden können. Für die Anwendung des Referenzmaterials wird vorausgesetzt, dass sich das Gasgemisch später homogen entnehmen lässt und nichts absorbiert oder kondensiert ist oder chemisch verändert hat. Das Verfahren ist nur für Referenzmaterialen anwendbar, deren Komponenten weder miteinander noch mit der Behälterwand reagieren. Vor der Füllung werden die Innenoberflächen der Gaszylinder inspiziert und es erfolgt eine Vorbehandlung, u. a. durch Evakuieren, Spülen und Ausheizen. Die genannte Norm zur gravimetrischen Herstellung von Prüfgasen wird in Kürze in vollständig überarbeiteter Fassung als ISO 6142-Teil 1 erscheinen. Verbesserungen in der Norm beziehen sich vor allem auf die Reinheitsanalyse der eingesetzten Ausgangsgase sowie die Absicherung der Rückführbarkeit der zugewiesenen Werte.
Alternativ einsetzbar sind absolute volumetrische Verfahren zur dynamischen Herstellung von Kalibriergasen - bestehend aus zwei oder mehreren Komponenten - mittels kommerziell verfügbarer Gasmischpumpen mit mindestens zwei Kolben. Das Herzstück besteht aus zwei oder mehreren pneumatisch voneinander getrennten Kolben. Der Antrieb der Kolben erfolgt von nur einem gemeinsamen Motor über entsprechende mechanische Schaltgetriebe. Das Verhältnis der Hubzahlen der einzelnen Kolben zueinander ist eindeutig definiert durch die eingestellten Untersetzungsverhältnisse. Die erreichbare relative erweiterte Unsicherheit der einzelnen Komponenten kann in optimaler Konfiguration und Handhabung bis zu 0,1 % betragen. Das Verfahren eignet sich auch für reaktive Komponenten. Die erzeugten Kalibriergase werden aufgrund des Betriebsbereichs der Pumpe nur drucklos (Umgebungsdruck) erhalten. Sie werden typischerweise entweder direkt für weitere Vergleichsmessungen über eine geeignete Transferleitung ohne Druckwiderstand eingesetzt oder in Gasbags gesammelt.
Einige Sondergase lassen sich nur mit Diffusions- oder Permeationszellen dynamisch herstellen (3). Eine gegebene Komponente diffundiert durch eine Kapillare bekannter Länge und bekannten Durchmessers oder permeiert durch eine Sperrschicht in einen Trägergasstrom (sog. Nullgas) bekannten Volumenstroms. Zusammen mit dem Masseverlust der Quellen über einen gegebenen Zeitraum kann schließlich in ein Stoffmengenverhältnis umgerechnet werden.
Zertifizierungs- und Verifizierungsanalytik
Für die Verifizierung der Primärgasnormale und für die Zertifizierung der Sekundärnormale wird hauptsächlich die Prozess-Gaschromatographie eingesetzt. Eines der etablierten Verfahren ist die Einklammerungsmethode, bei der neben dem zu zertifizierenden oder verifizierenden Gas zwei oder mehr Klammergase verwendet werden, die alle betrachteten Komponenten in leicht nach unten und oben variierten Stoffmengenverhältnissen (typischerweise ± 5 %) gegenüber der Matrixkomponente enthalten. In einem Zertifizierungslauf werden alle Gase mit je drei Wiederholungen mehrfach (mindestens 3-5 mal) gemessen und gegeneinander ausgewertet. Mit dem Verfahren erhöhen sich die Messunsicherheiten für das zu zertifizierende Gas durch die analytische Vielfachmessung nur unwesentlich gegenüber der Unsicherheiten der primären Klammergase. Dahinter stehen die Normen DIN EN ISO 6143 und DIN 51899 (4).
Die BAM und der DIN-Normenausschuss „Gasanalyse und Gasbeschaffenheit" arbeiten gemeinsam aktiv an weltweiten Normungsprojekten mit, um bestmögliche Referenzwerte und Referenzverfahren zu ermöglichen. Gleichzeitig werden praxistaugliche Verfahren entwickelt, die ein Optimum an Messgenauigkeit und Aufwand erlauben.
Standortvorteil Europa: Unterhaltung einer wissenschaftlich technischen Kultur durch die Anwender
Das Eichgesetz ermöglicht den Anwendern die Pflege eines eigenen technisch-wissenschaftlichen, gasanalytischen Wissens zur Herstellung von hochwertigen Sondergasen mit genau bekannter Messunsicherheit. Die Messfähigkeit der Anwender steht dabei den metrologischen Staatsinstituten vielfach technisch kaum etwas nach. Eine Reihe von Anwendern sind zur Herstellung von Gasnormalen akkreditiert. Die oben genannten erlaubten Messunsicherheiten werden daher in der Praxis vielfach deutlich unterschritten.
Diese Vorgehensweise gibt den Deutschen und Europäischen Anwendern langfristig die nötige Flexibilität für den Markt, sichert die Qualität der vom Endverbraucher benötigten Gase und damit den lokalen Wettbewerbsvorteil, da manche andere Nationen eher marktabschottende Vorgehensweisen pflegen.