Versicherungslösungen für die Chemie
Interview mit Stefan Beiderbeck, Chemical Account Engineer beim Industrieversicherer FM Global
Schon kleinste Störungen im Betriebsablauf von Chemieunternehmen können erhebliche Produktionsausfälle nach sich ziehen und sich durch die gesamte Lieferkette fortsetzen.
Risikomanagement und Versicherungsschutz sollten genau aufeinander abgestimmt sein, um Produktions- und Ertragsausfälle zu verhindern.
CHEManager hat Stefan Beiderbeck, Chemical Account Engineer beim Industrieversicherer FM Global, dazu befragt.
CHEManager: Herr Beiderbeck, welches sind die wichtigsten Risiken, gegen die sich Chemieunternehmen absichern sollten?
Stefan Beiderbeck: Die Risiken, mit denen sich Chemieunternehmen auseinandersetzen müssen, sind einzigartig in der deutschen Industrielandschaft und besonders zahlreich. Laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe werden hierzulande rund 30.000 chemische Substanzen produziert, verarbeitet und transportiert. Bei jeder Substanz liegen spezielle Risiken und Gefahrenquellen vor. Die Risiken variieren stark zwischen den Produktionsstandorten und abhängig davon, welche Werkstoffe zum Einsatz kommen.
Nennen Sie uns bitte einige Beispiele.
Stefan Beiderbeck: Das Risiko, dass bei Transport, Lagerung oder Verarbeitung etwas schief geht, schwingt also immer mit. Neben Emissionen in Luft, Boden oder Gewässer besteht vielerorts eine erhebliche Brand- und Explosionsgefahr. Fällt insbesondere bei exothermen Reaktionen die Kühlung aus, kann das schnell zu einer Katastrophe führen. Zugleich sind viele Stoffe luft-, schlag- oder wärmeempfindlich. Aufgrund der komplexen Technik können Nachlässigkeit oder Verschleiß zu technischen Defekten oder Unfällen führen. Sind giftige oder andere schädliche Stoffe involviert, liegt oft eine Gefährdung der Bevölkerung vor und negative Schlagzeilen sind vorprogrammiert. Unternehmen tun deshalb gut daran, ihre Sicherheitsmaßnahmen und Notfallpläne regelmäßig zu aktualisieren.
Zugleich werden andere Betriebsrisiken oft unterschätzt. Schon kleinste Störungen im Betriebsablauf können erhebliche Produktionsausfälle nach sich ziehen, denn besonders chemische Betriebe sind prozesstechnisch besonders eng mit Abnehmern und Zulieferern verbunden. Fällt eine Engpassmaschine aus, können Produkte nicht weiterverarbeitet und ausgeliefert werden. Wichtige Abnehmer könnten abwandern. Andersherum können auch Zulieferer wichtiger Grundstoffe ausfallen - dann ist schnell auch der eigene Betrieb betroffen, wenn die Lagerbestände schwinden und die Produktion ins Stocken gerät. Solche Ausfälle setzen sich durch die gesamte Lieferkette fort.
Auch Naturkatastrophen stellen in bestimmten Regionen Risiken dar, z.B. in China, wo derzeit die größten und modernsten Chemiestandorte Asiens entstehen. Mit welchen Risiken müssen die Unternehmen rechnen?
Stefan Beiderbeck: In den meisten Industrieregionen Chinas, dazu zählen auch die für die Chemiebranche interessanten Standorte in Shanghai, Nanjing oder die Provinz Guangdong, müssen Unternehmen nicht nur mit tropischen Stürmen, sondern auch mit heftigen Erdbeben rechnen. Vielerorts unterschätzen die Unternehmen vor allem die Überschwemmungsrisiken, obwohl die Standorte oft nahe an Flussläufen oder anderen Gewässern liegen. An den meisten Standorten in Deutschland dürfte diese Gefährdung bekannt und dank aufwendiger Schutzmaßnahmen beherrschbar sein, doch sieht dies bei vielen Niederlassungen in Schwellenländern oft ganz anders aus.
Ideal ist deshalb eine auf die individuelle Risikolage abgestimmte Kombination aus Risikotransfer und Risikomanagement. Zum einen ist der Risikotransfer aufgrund der Größe möglicher Schadenfälle für die chemische Industrie unbedingt erforderlich. Zum anderen zahlt sich gerade in schadenanfälligen Branchen ein nachhaltiges Risikomanagement aus, weil verhindert werden kann, dass viele Schäden überhaupt entstehen. Unsere Erfahrung zeigt: Die Entstehung von Schäden zu verhindern ist besser als jede Absicherung. Das gilt auch für Standorte in Übersee.
Wie kann ein Chemieunternehmen denn sichergehen, dass seine neuen Standorte und Zulieferer in Schwellenländern optimal geschützt sind?
Stefan Beiderbeck: Ist ein Unternehmen global aufgestellt und hat weltweit Zulieferer, sollte auch der Versicherer ein internationales Netzwerk mit Niederlassungen in den entsprechenden Märkten bieten können. Der Versicherer sollte auch in anderen potentiellen Zielmärkten das Unternehmen vor Ort beraten können, wenn dort neue Standorte geplant werden.
Denn die Risikoingenieure des Versicherers müssen gemeinsam mit den Experten aus dem Unternehmen die Risiken vor Ort analysieren, um Risiken zu minimieren und optimal abzusichern. Risikoingenieure sprechen deshalb im Idealfall nicht nur die Sprache vor Ort, sondern kennen sich auch in den jeweiligen Ländern aus, weil sie selbst aus dieser Region stammen. Das erleichtert die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den lokalen Geschäftseinheiten der Unternehmen auf einem so sensiblen Gebiet wie dem Risikomanagement.
Bieten Sie Unternehmen diese weltweite Unterstützung bei der Risikoberatung, Schadenprävention und Schadenregulierung?
Stefan Beiderbeck: Ja, FM Global ist mit seiner „WorldReach"-Initiative global aufgestellt und betreut Unternehmensstandorte auf der ganzen Welt einheitlich, sowohl beim Engineering Service als auch bei der Schadenregulierung. Bei der Risikoberatung folgen wir den Grundsätzen der Responsible Care-Initiative des Internationalen Rats der Chemieverbände (ICCA) und legen besonderen Wert auf Process Safety Management und Maschinenintegrität.
Insbesondere unsere Kunden aus der chemischen Prozessindustrie, Petrochemie, Rohstoffindustrie, Fein- und Spezialchemikalienindustrie sowie Produzenten alternativer Treibstoffe greifen auf unsere umfangreichen Forschungen auf dem Gebiet der Schadenprävention zurück. So werden in unserem Forschungs- und Testzentrum in Rhode Island, USA, in realitätsnahen Experimenten z.B. alle Arten von Verpuffungen, Explosionen und Bränden erforscht. Die Forschungsergebnisse und die Erkenntnisse aus den Schäden fließen auch in unsere Datenblätter ein, die frei erhältlich sind.
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