Unternehmensentwicklung mit Zertifikat
TÜV Süd Chemie Service wandelt sich vom Eigenüberwacher zum globalen Dienstleister
Die TÜV Süd Chemie Service GmbH feiert ihr 10-jähriges Bestehen. 2005 aus den Eigenüberwachungen von Bayer, Hoechst und Dow hervorgegangen, ist der Industriedienstleister in den vergangen 10 Jahren kontinuierlich gewachsen. Dr. Hans-Nicolaus Rindfleisch, Geschäftsführer von TÜV Süd Chemie Service, zieht eine Bilanz der ersten Dekade und erläutert wie sich das Unternehmen auf künftige Herausforderungen in einem schwieriger werdenden Umfeld einstellt.
CHEManager: Herr Dr. Rindfleisch, Ihr Unternehmen ist 2005 direkt mit einer Umstrukturierung gestartet. Wie würden Sie die damalige Situation beschreiben?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Es war eine große Herausforderung. TÜV Süd Chemie Service ist aus den Eigenüberwachungen von Bayer, Hoechst und Dow hervorgegangen, also sehr spezialisierten Fachbereichen dieser Unternehmen, die ihre Kosten teilweise über das Umlageverfahren verteilt haben. Die einzelnen Expertenteams zu einem funktionierenden und nachhaltig am Dienstleistungsmarkt bestehenden Unternehmen zu formen, hat von allen Beteiligten einen großen Kraftaufwand erfordert.
Welches waren die wichtigsten Aufgaben, die Sie damals angehen mussten?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Es waren nicht nur reine Managementaufgaben wie die Schaffung von Strukturen und Organisation oder die Etablierung von Funktionen und Prozessen wie Marketing und Sales oder Controlling. Vielmehr ging es um die Veränderung des gesamten Mindset der Mitarbeiter. Manchem unserer Mitarbeiter ist die Erkenntnis nicht leicht gefallen, dass es sich bei den Umsätzen nicht mehr um „fiktives Unternehmensgeld“ handelte, sondern um reale Euro, die am Markt bei den Kunden eingesammelt und verdient werden müssen, um Gehälter, Sozialabgaben und Steuern sowie Mieten und andere Ausgaben am Monatsende bezahlen zu können.
Welche Rolle spielte der strategische Investor TÜV Süd?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Die Rolle unserer „neuen Mutter“ war ausgesprochen wichtig. Sie ist gerade im Bereich Mergers & Acquisitions sehr professionell aufgestellt und hat uns die erforderlichen Werkzeuge zur Verfügung gestellt, um den Wandel zu unterstützen. TÜV Süd hat uns auch die notwendige Freiheit gewährt, um unser Geschäftsmodell entsprechend den Besonderheiten der chemischen Industrie zu entwickeln. Die Integration der einzelnen Eigenüberwachungen in TÜV Süd Chemie Service hat auch deshalb gut funktioniert, weil sowohl die Eigenüberwacher als auch TÜV Süd über viel Erfahrung im Markt für Testing, Inspection & Certification verfügen und schon immer im Sinne von Sicherheit und Verfügbarkeit eng zusammengearbeitet haben.
Die nächste Herausforderung war sicherlich die Liberalisierung des Prüfmarkts in Deutschland im Jahr 2008. Wie ist Ihr Unternehmen damit zurechtgekommen?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Für uns war die Liberalisierung eine Chance, die wir genutzt haben. Die Praxis hat gezeigt, dass es durch die Liberalisierung am Prüfmarkt keinen Erdrutsch gab. Die Anzahl neuer Wettbewerber hat sich sehr in Grenzen gehalten, weil die Einstiegsbarrieren über die Akkreditierungsanforderungen recht hoch waren. Da in den letzten Jahren viele unserer jetzigen Kunden auf der Ingenieurebene deutlich Kapazitäten reduziert haben, ergab sich eine zusätzliche Gelegenheit, weitere Marktanteile zu gewinnen. Unsere spezifische technische Kompetenz entlang des Lebenszyklus von Prozessanlagen ist im Markt nicht ohne weiteres zu finden. Das gilt auch für den Full-Service-Ansatz. Kaum ein Betreiber möchte Teile der Leistungen an verschiedene Dienstleister vergeben, weil die hohe Sicherheit und Verfügbarkeit der Gesamtanlagen für ihn die entscheidenden Faktoren sind.
Also hatte die Liberalisierung keine negativen Auswirkungen für Sie?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Ganz im Gegenteil. Wir sind in den vergangen Jahren kontinuierlich gewachsen. Aus anfangs 80 Mitarbeitern in Deutschland sind mittlerweile mehr als 220 geworden; aus anfangs wenigen Kunden inzwischen mehr als 500 aus der Chemie- und Ölbranche. Ich kann sagen, dass TÜV Süd in Deutschland wohl der Marktführer in diesem Segment ist. Dies wäre ohne die Liberalisierung schon aus rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen.
Viele Unternehmen klagen hierzulande über schlechtere Standortbedingungen. Wie sehen Sie das?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Aus meiner internationalen Erfahrung heraus sind die Standortbedingungen in Deutschland nicht schlechter als in anderen Ländern, ich glaube im Großen und Ganzen sind die Bedingungen sogar besser. An Deutschland schätze ich besonders den hohen Grad der Rechtssicherheit und den hohen Qualifizierungsgrad der Arbeitskräfte.
Sie haben unlängst im Industriepark Höchst verschiedene Standorte zusammengelegt. Was waren dafür die Gründe?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Die Zusammenlegung unserer Bereiche im Industriepark Höchst geschah im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Mit Blick auf unsere Kunden können wir unsere Leistungen nun aufgrund von kurzen Wegen und verbesserter interner Kommunikation noch effizienter anbieten. Das Verwaltungsgebäude und die Prüfwerkstatt mit dem neu errichteten Röntgenbunker liegen nun dicht beieinander. Gleichzeitig wurde unser Werkstoffprüflabor neu organisiert und modernisiert. Durch diese Maßnahmen treiben wir die Integration unterschiedlicher Fachbereiche weiter voran. Wichtig war für uns, dass wir unserer Tradition folgend nahe bei unseren Kunden bleiben.
Sie haben Ihre internationale Erfahrung erwähnt. Also sind Ihre Aktivitäten nicht bloß auf Deutschland beschränkt?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Nein! Die TÜV Süd AG ist mit 22.000 Mitarbeitern weltweit aktiv und wird als Matrix geführt, aufgeteilt nach Regionen und Divisionen. Innerhalb dieser Matrix leite ich die Business Unit Chemical, Oil & Gas – COG -, zu der auch TÜV Süd Chemie Service zählt. Gegründet wurde die Business Unit COG bereits im Jahr 2005, zeitgleich mit dem Erwerb der Eigenüberwachung von Bayer. Zu meinem Verantwortungsbereich als Business Unit-Leiter gehören ca. 1.200 Mitarbeiter an 30 Industriestandorten weltweit.
Bereits ein Jahr nach der Gründung von TÜV Süd Chemie Service haben wir in den USA den Prüfdienstleister PetroChem Inspection Services übernommen und damit einen wichtigen Schritt zur weiteren Internationalisierung gemacht. Seit 2013 hält TÜV Süd die Mehrheit an Swissi Process Safety aus Basel. Und seit 2014 gehört auch RCI Consultants, ein US-amerikanischer Spezialdienstleister für die Öl- und Gasindustrie, zu unserem Unternehmen.
Damit haben wir nicht nur unsere Kernkompetenzen gestärkt, sondern zudem unser Portfolio weiter ausgebaut. In anderen Ländern wie China haben wir in bestehenden TÜV Süd-Gesellschaften eigene Abteilungen gegründet, die das Geschäft unter unserer Anleitung entwickelt haben. Damit bieten wir auf drei Kontinenten ein breites Dienstleistungsportfolio aus einer Hand und setzen alles daran, die hohen Qualitätsanforderungen unserer Kunden zu erfüllen.
Nach welcher Strategie betreiben Sie Ihre Expansion im Chemie, Öl & Gas-Geschäft?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Wir verfolgen sehr konsequent drei Grundprinzipien, um neue Märkte zu gewinnen: Folge den Spuren Deiner Bestandskunden, nutze regionales Know-how und Management und biete nur die Dienstleistungen an, die Du besser und kosteneffizienter als der Wettbewerb erbringen kannst. Ach ja, und setze alles daran, die hohen Qualitätsanforderungen Deiner Kunden zu erfüllen.
Wo sehen Sie die aktuellen Herausforderungen für die Öl- und Gasindustrie? Sind die verschiedenen internationalen Märkte im COG Geschäft ähnlich?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Nein, bei weitem nicht. Die Öl- und Gasindustrie ist – wie auch die chemische Industrie – zunehmend von internationalen Investitionsprojekten und weltweiten Beschaffungsmaßnahmen geprägt. Der Großanlagenbau verlagert sich mehr und mehr in Wachstumsmärkte wie China, ASEAN oder Indien. Auch gehe ich davon aus, dass Nordamerika im Zuge der zu beobachtenden Reindustrialisierung ein wichtiger Zukunftsmarkt sein wird. Je internationaler die Investitionsprojekte werden, umso mehr entscheiden das Know-how um nationale Standards und Technische Regeln sowie intensive Qualitätssicherung, Fertigungsüberwachung und regelkonforme Auslegung über den Erfolg. Mit dem weltweiten Netzwerk der Business Unit COG können wir genau dieses leisten.
Vor Ort sind viele. Was unterscheidet Sie von den anderen Dienstleistern?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Sicherlich unsere Mitarbeiterstruktur. Ich bin stolz darauf, dass wir in Deutschland mehr als 80 Prozent unserer Mitarbeiter aus der Prozessindustrie rekrutieren und dass diese Mitarbeiter langjährige Industrieerfahrung als Planungs- und Instandhaltungsingenieure haben. Weltweit haben immerhin noch mehr als 60 Prozent unserer Mitarbeiter diesen Hintergrund. Unsere Kunden profitieren von unserer Branchenerfahrung und von unseren branchenspezifisch zugeschnittenen Leistungspaketen. Es gibt nur wenige Dienstleister, die das dafür nötige integrierte Know-how rund um die Prozess- und Anlagensicherheit und die Verfügbarkeit haben – von der Planung und Beschaffung über die Montage, Inbetriebnahme und Instandhaltung bis hin zur Stilllegung und zum Rückbau.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal vom Wettbewerb ist die internationale Vernetzung von Expertise und Kapazitäten, mit der wir unsere Kunden auch außerhalb Deutschlands sehr flexibel und erfolgreich unterstützen können.
Was wird die Zukunft bringen? Planen Sie weitere Übernahmen?
Dr. H.-N. Rindfleisch: Das steht im Moment nicht im Vordergrund. Es bedeutet aber nicht, dass wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen. Wir arbeiten ständig an unserem Profil, unseren Prozessen und Methoden. Um auch künftig ein vollständiges Leistungsangebot zu einem wettbewerbsfähigen Preis bieten zu können, entwickeln wir unsere Produkte ständig weiter. Derzeit arbeiten wir beispielsweise daran, unser Engineering-Know-how in das internationale Beschaffungsmanagement unserer Kunden zu integrieren. Damit können wir in Zukunft auch die kompletten Projektorganisationen und -abwicklungen des Einkaufs national und international mit allen Spezifikationen anbieten. International werden wir das Process Safety Management einschließlich der Laborleistungen aus der Schweiz heraus weiter ausbauen. Zudem werden wir neue Märkte in den Fokus nehmen, beispielsweise Korea und die bisher von Singapur direkt bedienten ASEAN-Länder. Auch in Europa werden wir verstärkt in unsere bestehenden Märkte investieren. Alles in allem bleibt also noch genug zu tun.