T.A. Cook erläutert effektives Risikomanagement beim Anlagenstillstand
29.04.2015 -
Ein guter Turnaround in der Chemie- und Grundstoffindustrie ist wie ein Boxenstopp bei der Formel Eins. Minutiös vorbereitet, lange trainiert und die verschiedenen Aufgaben perfekt koordinierend. Und obwohl im Rennsport nur ein paar Mechaniker in wenigen Sekunden das Auto warten, während beim Anlagenstillstand bis zu mehrere Tausend Menschen über einige Wochen arbeiten, gibt es doch eine große Gemeinsamkeit: In der Zeitspanne zwischen Anhalten und Losfahren kann man gewinnen - oder verlieren, wenn etwas schief geht.
Der Boxenstopp kann über Sieg und Niederlage, ein guter Turnaround über zusätzlich erwirtschaftete oder entgangene Deckungsbeiträge in Millionenhöhe entscheiden. Für den Projekterfolg ist daher das frühzeitige Erkennen und Vermeiden potentieller Risiken essentiell. Mit anderen Worten: Wer erfolgreich sein will, braucht ein effektives Risikomanagement. Das ist bei Stillstands-Projekten auch Standard, jedoch wird es vielfach zu oberflächlich und zu statisch gehandhabt. In vielen Fällen listet ein Risikoregister lediglich auf, was den Erfolg des Projekts gefährden kann, zum Beispiel schlechtes Wetter, unzureichend qualifiziertes Personal oder fehlendes Material. Dazu werden vorbeugende Maßnahmen definiert, um den Eintritt dieser Risiken zu verhindern. Die Liste bleibt jedoch meist in der besagten Schublade - bis tatsächlich eines der Szenarien eintritt.
Die trügerische Gewissheit, man habe alles bedacht, wird dadurch noch verstärkt. Ein professioneller Ansatz zum Risikomanagement ermöglicht Stillstandsleitern, das Gesamtrisikopotenzial abzuschätzen, vorausschauend zu agieren und nicht nur Gegen-, sondern vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Denn alles was die erfolgreiche Umsetzung der definierten Stillstandsziele gefährden kann, gilt als Risiko. Eine weitere Herausforderung liegt darin, neben Risiken auch Chancen zu erkennen - und Voraussetzungen zu schaffen diese zu nutzen. So birgt z.B. das Risiko eines hohen Anteils unerwarteten Arbeiten gleichzeitig die Chance, dass nicht alle dieser Arbeiten tatsächlich eintreten.
Kontinuierlicher Prozess
Risikomanagement beginnt nicht erst mit Beginn des Stillstands, sondern ist ein kontinuierlicher Prozess, der parallel zu dessen Planung stattfindet. Basis ist ein ausführliches Risikoregister. In der Praxis generieren Unternehmen diese Liste häufig aus den Erfahrungen vergangener Turnarounds. Jedoch werden so mögliche Probleme übersehen, die in der Vergangenheit schlichtweg aufgrund glücklicher Umstände nicht aufgetreten sind. Das erinnert an die berühmt-berüchtigte Geschichte des Huhns, das jeden Tag gefüttert wird und daher der Überzeugung ist, der Mensch wäre ihm wohl gesonnen. Nichts deutet aus seiner Sicht darauf hin, dass es geschlachtet wird. Und trotzdem tritt genau das eines Tages ein.
Aber auch das Gegenteil ist falsch: Erstellt man ein Risikoregister vor jedem Projekt neu, verursacht das nicht nur Mehraufwand, sondern es fehlt jegliche Standardisierung. Dadurch steigt die Gefahr, dass wichtige Risiken nicht betrachtet werden. Bewährt haben sich projektunabhängige TAR-Standardrisikoregister. Je nach Branche sind etwa 100 bis 150 typische potenzielle Gefahren erfasst, zum Beispiel das verspätete Einfrieren des Arbeitsumfangs oder fehlende Genehmigungen durch Behörden. Aber auch eine unzureichende Anzahl von Parkplätzen oder Drehtoren für den Werkszugang sind Risiken, die während der TAR Durchführung große Auswirkungen haben können. Die Liste der Gefahren ist lang und sie sind im Grunde bei jedem Projekt ähnlich, die Frage ist nur: „Werden sie für mein Projekt zum Risiko oder nicht?" Die identifizierten Risiken werden dann in Bezug auf deren Wahrscheinlichkeit und Auswirkung bewertet. So beispielsweise das Risiko, dass ein Kontraktor gering qualifiziertes Personal stellt. Ein stringentes Auswahlverfahren, Qualifikationsnachweise und das Durchführen von Probearbeiten vor TAR Beginn sind gängige Maßnahmen, um dieses Risiko zu minimieren.
Viele Manager arbeiten inzwischen mit dem so genannten Bow-Tie-Risikomanagement-Modell. Dieses unterscheidet sich vom üblichen Vorgehen insofern, dass sowohl vorbeugende Maßnahmen (Barrieren) als auch reaktive Schritte („Plan B") nach dem möglichen Eintritt eines Risikos definiert und erfasst werden, um auf mögliche Störungen im geplanten Ablauf schnell und effektiv reagieren zu können.
Reaktive Gegenmaßnahmen
Die präventiven „Barrieren" können den Eintritt eines Risikos verhindern. Sollte es dennoch eintreten trotzdem, so sind Notfallmaßnahmen (Plan B) definiert und vorbereitet. Ein typisches Risiko sind Verzögerungen während der Durchführung auf Grund unerwartetem Scopes, zum Beispiel durch einen hohen Anteil von Korrosion unter der Isolierung. Die Barriere ist in diesem Fall die Durchführung eines Prüfprogramms vor dem TAR und die Entwicklung von Szenarien für Anlagenteile, die vor TAR Beginn nicht geprüft werden können. Tritt das Risiko dennoch ein, benötigt man als reaktive Gegenmaßnahme zusätzliche Ressourcen auf Abruf und eine klare Managementstruktur, um sofort handlungsfähig zu sein.
Übergeordnete Auswirkungen aller Projektrisiken auf Kosten und TAR Dauer sind weitaus schwieriger zu bewerten. Kann die Anlage zum geplanten Termin wieder angefahren werden? Bleibt das Projekt im Budget? Liefern die Kontraktoren die gewünschte Qualität? Diese Fragen sind ein hilfreicher Risikoindikator, sobald Manager die Gegenfrage stellen: „Was kann ich über das, was ich nicht weiß, in Erfahrung bringen?" Kann der Scope wie geplant eingefroren werden? Ehrlicherweise müsste die Antwort lauten: „Ich weiß es nicht." Was Stillstandsmanager dagegen sehr wohl in Erfahrung bringen können, ist das Verhältnis von noch zu erstellendem Scope zur verbleibenden Zeit bis zum geplanten Meilensteindatum. Genauso wie etwa der Bau- und Genehmigungsfortschritt eines einzubindenden Capex-Projektes. Wer es ernst meint mit seinem Risikomanagement, definiert deshalb eine Art Frühwarnsystem. Anhand von kontinuierlich überwachten Indikatoren wird überprüft, wie sich die Wahrscheinlichkeiten verändern, dass ein Risiko eintritt. So ist es zum Beispiel in der Regel 15 Monate vor Beginn eines komplexen Turnarounds noch nicht kritisch, wenn die Zusammenstellung des Arbeitsumfangs noch nicht abgeschlossen ist. Es kann aber ein guter Indikator dafür sein, dass Materialien mit langen Vorlaufzeiten noch nicht vollständig bestellt sind, was zu einem ernsthaften Risiko für den Gesamterfolg des TARs werden kann.
Die datengestützte Analyse mit dem dynamischen Bow-Tie-Modell führt eindrucksvoll vor Augen, dass gutes Risikomanagement weniger Kostenfaktor, sondern vielmehr eine Stellschraube für proaktives und erfolgreiches Stillstandsmanagement ist. Richtig ist: Risikomanagement kostet Geld, aber kein Risikomanagement kostet mehr Geld. Schließlich würde auch kein Motorsportteam das Rennen durch einen schlecht geplanten Boxenstopp gefährden.
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