Systematische Untersuchungen im Forschungs-OP
24.03.2020 - Bei chirurgischen Eingriffen kommt es immer wieder zu postoperativen Wundinfektionen, teilweise mit Todesfolge.
Sie können durch Erreger verursacht werden, die während der Operation aus der Raumluft oder durch Kontaktübertragung in die offene Wunde gelangen. Das Schutzkonzept der turbulenzarmen Verdrängungsströmung (TAV) funktioniert nicht unter allen Bedingungen einwandfrei. Am Hermann-Rietschel-Institut werden die Einsatzgrenzen der TAV unter realistischen Bedingungen festgestellt und alternative Lüftungskonzepte evaluiert. Die Ergebnisse werden einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte um die „richtige“ Luftführung im OP leisten.
In Deutschland sterben jährlich etwa 10.000 bis 15.000 Personen infolge einer nosokomialen, also an einer im Krankenhaus erworbenen Infektion. Hiervon erliegen etwa 4.500 Patienten einer postoperativen Wundinfektion. Diese Hochrechnung gilt für das Jahr 2006 [1]. Zum Vergleich: die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Personen in Deutschland lag 2006 bei etwa 5.000 und ist im Jahr 2019 auf etwa 3.000 gesunken [2].
Eine postoperative Wundinfektion wird durch Bakterien, Viren oder Pilze verursacht, die während einer Operation in die offene Wunde gelangen. Als Quelle dieser Erreger sind in erster Linie die im Operationsraum (OP) tätigen Personen zu nennen. Die Übertragung auf den Patienten kann zum einen auf dem direkten Weg geschehen, also bspw. über beim Sprechen abgegebene Speicheltröpfchen oder herabfallende Hautschuppen. Zum anderen ist eine indirekte Übertragung möglich, wenn etwa das Operationsbesteck oder die Luft im OP mit Erregern belastet sind.
Hierzulande sind OPs entweder mit einer Mischlüftung (auch: Turbulente Verdünnungsströmung, TVS, Klasse 1b nach DIN 1946-4 [3]) oder mit einer turbulenzarmen Verdrängungsströmung (TAV, Klasse 1a) ausgestattet. Die TAV ermöglicht in Kombination mit endständigen Schwebstofffiltern grundsätzlich höchste Reinheit im Anforderungsbereich. In der industriellen Anwendung funktioniert dieses Schutzkonzept sehr gut. Es erscheint daher zunächst überraschend, dass es im OP zu einer so großen Zahl an Infektionen kommt und die TAV dort anscheinend ihre Wirkung nicht entfalten kann.
Ursachenforschung
Die Ursache hierfür ist vor allem in den unterschiedlichen Arbeitsabläufen und Umständen zu finden: Der Reinraum wird über eine Schleuse betreten, in der die Reinraumbekleidung angezogen wird. Bewegungen im Reinraum werden ohne Eile und Arbeiten nach immer wiederkehrenden festen Abläufen ausgeführt. Im OP hingegen herrschen andere Arbeitsbedingungen und die Arbeitsabläufe unterscheiden sich von Fall zu Fall. Oft genug müssen in kürzester Zeit Entscheidungen getroffen werden und eine Bewegung „ohne Eile“ ist nicht immer möglich. Die Chirurginnen und Chirurgen leisten bei orthopädischen Eingriffen körperlich schwere Arbeit. Ein Reinraum-Vollschutzanzug würde zu thermischer Unbehaglichkeit und infolgedessen zu negativen Folgen für die Konzentration führen [4]. Sich über die Wunde zu beugen und das Operationsgebiet bestmöglich zu beleuchten sind wesentliche Voraussetzungen für das Gelingen einer Operation. Notwendige Personalbewegungen zwischen dem OP und dem Flur können einen zusätzlichen Eintrag von Erregern bewirken [5]. All diese Umstände können dazu führen, dass die TAV gestört und die Schutzwirkung geschwächt wird.
Es existieren derzeit verschiedene Meinungen darüber, ob es unter den geschilderten Voraussetzungen überhaupt sinnvoll ist, den Operationsraum mit einer TAV zu belüften. Aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage hat das Robert Koch-Institut eine Stellungnahme veröffentlicht, nach der TAV und TVS bezüglich der Infektionsprävention als gleichwertig anzusehen sind [6]. Die frühere Zuordnung bestimmter chirurgischer Eingriffe zu den Klassen 1a und 1b in der DIN 1946-4 ist in der aktuellen Ausgabe nicht mehr zu finden. In Folge entscheiden sich immer mehr Krankenhausbetreiber aufgrund geringerer Investitions- und Betriebskosten für die TVS.
Forschungsprojekt zur Operationsraumbelüftung
Weil die wissenschaftliche Datenlage zurzeit kein klares Bild über die infektionspräventive Wirkung der OP-Belüftung zeichnet, wurde am Hermann-Rietschel-Institut (HRI) das Forschungsprojekt „EnEff: OP-Luft“ initiiert. Seit 2018 betreibt das HRI zu diesem Zweck einen eigenen Forschungs-OP. In dem lüftungstechnisch voll ausgestatteten Raum können nahezu beliebige Raumströmungskonzepte realisiert werden: Neben der TAV ist auch eine TVS mit acht individuell regelbaren Zuluftdurchlässen und sogar Quelllüftung möglich. Über frei belegbare Luftdurchlässe können auch lokale Zu- und Abluftöffnungen realisiert werden. In diesem Labor werden auf experimentelle Weise die Wirksamkeit und Effizienz der verschiedenen Lüftungsarten bestimmt. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf vergleichbare realitätsnahe Randbedingungen gesetzt. Hierfür wurden für verschiedene Operationsarten typische Szenarien entwickelt, die im Labor nachempfunden werden. Die Ergebnisse aus den Laborexperimenten werden durch numerische Strömungssimulationen ergänzt.
Die bisher erlangten Ergebnisse verdeutlichen bereits, dass die Schutzwirkung der TAV sehr sensibel gegenüber dem Operations-Szenario ist, während die TVS bei allen Anordnungen zu ähnlichen Resultaten führt. Die Abbildungen zeigen exemplarisch die mittels Strömungssimulation berechnete Ausbreitung der vom Personal freigesetzten Kontamination (in orange dargestellt) bei TAV und TVS sowie die Zuluftverteilung (blau dargestellt). Wie viele Erreger tatsächlich in die Wunde gelangen, hängt aber nicht nur von deren Konzentration in der Luft, sondern auch von der lokalen Strömungsform ab, vgl. [7].
In einigen Fällen bricht die Schutzwirkung der TAV im Operationsbereich zusammen, sodass die Erregerkonzentration hier um ein Vielfaches größer ist als mit TVS. In den Fällen, wo die TAV gut funktioniert, ist sie der TVS hingegen deutlich überlegen und es ist keine Kontamination im Wundbereich festzustellen.
Neben der infektionspräventiven Wirkung muss die Lüftung auch in der Lage sein, die Personen im OP vor den gefährlichen Rauchgasen zu schützen, die bei der Anwendung von Kauterinstrumenten entstehen. Hinsichtlich dieser Anforderung ergeben sich ähnliche Ergebnisse: die TAV führt je nach Szenario entweder zu sehr geringen oder zu eher hohen Rauchgaskonzentrationen, wohingegen die Konzentrationen mit der TVS bei allen untersuchten Szenarien im mittleren Bereich liegen.
Die Laufzeit des Forschungsprojekts endet am 30.04.2021. Forschungsergebnisse werden auch online veröffentlicht: https://blogs.tu-berlin.de/hri_op-luft/
Danksagung
Die vorgestellten Untersuchungen werden im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Forschungsprojekts „EnEff: OP-Luft“, FKZ 03ET1454A durchgeführt. Die Verantwortung für den Inhalt liegt bei den Autoren.
Literatur
[1] Gastmeier P, Geffers C (2008) Nosokomiale Infektionen in Deutschland: Wie viele gibt es wirklich? Dtsch Med Wochenschr 133(21):1111–1115. doi:10.1055/s-2008-1077224
[2] Statistisches Bundesamt Verkehrsunfälle. Zeitreihen. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle/verkehrsunfaelle-zeitreihen-pdf-5462403.pdf?__blob=publicationFile. Zugegriffen: 04. März 2020
[3] Deutsches Institut für Normung e.V. (2018) Raumlufttechnik. Raumlufttechnische Anlagen in Gebäuden und Räumen des Gesundheitswesens (DIN 1946-4)
[4] Hartmann A, Hofer V, Rotheudt H, Zielke B, Kriegel M (2019) Thermal comfort in operating rooms with laminar airflow systems and turbulent mixing ventilation Conference Proceedings: Healthy Buildings Asia and the Pacific Rim
[5] Hofer V, Rotheudt H, Zielke B, Brockmann G, Kriegel M (2018) Numerical Investigation of Contamination Transport in an operating Theatre due to the motion of a Circulating Nurse Conference Proceedings: 15th Conference of the International Society of Indoor Air Quality & Climate Indoor Air 2018, Philadelphia, USA, 22.-27.07.2018
[6] (2018) Prävention postoperativer Wundinfektionen. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut. Bundesgesundheitsblatt (61):448–473
[7] Rotheudt H, Zielke B, Kriegel M (2020) Deposition von mikrobiellen Kontaminationen auf Oberflächen in Operationsräumen. KI - Kälte Luft Klimatechnik (01-02):43–47
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