System mit vielen Freiheiten
Fahrerlose Transportsysteme bringen in ungünstigen Umgebungen Vorteile
Innerbetrieblicher Transport ohne menschliches Eingreifen: In Produktions-, Logistik-, Lager- und Distributionsumgebungen der pharmazeutischen Industrie sind unbemannte Transportfahrzeuge keine Seltenheit. Stephan Vennemann, Geschäftsführer von Egemin, erläutert im Interview, wann und wie Fahrerlose Transportsysteme sinnvoll eingesetzt werden können. Die Fragen stellte Dr. Sonja Andres.
CHEManager: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für logistische Komplettlösungen in der Pharmaindustrie?
S. Vennemann: Die zentrale Herausforderung in der Pharmalogistik besteht vor allem darin, Systeme in den Materialfluss zu integrieren, die zu hundert Prozent valide und wiederholbar die Prozesse des Kunden abbilden und dokumentieren. Die richtige Ware, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und in der richtigen Menge - dies ist vor allem in der Pharmalogistik extrem wichtig. Denn durch den Transport falscher Artikel kann die Medikamentenproduktion erheblich beeinträchtigt werden, was natürlich weitreichende Folgen nach sich zieht.
Die Egemin-Systeme sind schon heute in der Lage, Rezepturen zu verwalten und die Produktion vollautomatisch mit den Inhaltsstoffen zu beliefern. In Kommunikation mit den Abfüllvorrichtungen können die Inhaltsstoffe mit den Automatisierungslösungen sogar zusammengestellt werden.
Weitere Herausforderungen ergeben sich aus den umfassenden Bestimmungen und gesetzlichen Anforderungen sowie den hohen Hygienestandards. Nicht nur bei der Implementierung der Systeme sind diese zu beachten, sondern auch z.B. bei der Wartung und Instandhaltung der Anlagen.
Die Transportsicherheit im Umgang mit den sensiblen Gütern ist ein wichtiges Kriterium. Ebenso sind gerade in der Pharmaindustrie die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit und die Chargenverwaltung essentiell. Ein Steuerungssystem und die Lagerverwaltung sorgen dafür.
Für uns als Anbieter für Automatisierungslösungen besteht neben den speziellen Anforderungen in der Pharmalogistik die Grundherausforderung auch darin, die Logistik- und Produktionsprozesse unserer Kunden so zu unterstützen, dass ein funktionierendes Ganzes entsteht. Wir betrachten das Anforderungsprofil unserer Kunden von vornherein immer als ganzheitlichen Prozess - daher verstehen wir uns auch als Systemlieferant für die Automatisierung von Materialflüssen in der Produktion und Logistik.
Welche Vorteile bringen hierbei nach Ihrer Ansicht fahrerlose Transportsysteme (FTS) in pharmazeutischen Lagern, Labors und Produktion?
S. Vennemann: Die Vorteile liegen auf der Hand: Mit dem Einsatz eines FTS können nicht nur Mensch und Maschine reibungslos zusammenarbeiten und die Lauf- und Fahrwege frei passieren. Auch lassen sich Änderungen im Materialflussprozess durch einfache Layoutanpassungen oder Reihenfolgen unkompliziert konfigurieren. Darüber hinaus ist ein FTS in der Lage, auch aktiv Aufgaben in der Produktion zu übernehmen.
Ganz allgemein gesprochen: Ein automatisiertes System bringt gerade in für Menschen ungünstigen Umgebungen viele Vorteile für die Abwicklungen im Logistikprozess. Vor allem in der Pharmaindustrie müssen die Produkte ausnahmslos höchsten Qualitätsstandards entsprechen und das 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag - die Automatisierung trägt dazu bei, dass dies zu jeder Zeit der Fall ist.
Mit welchem Platzbedarf ist beim Einsatz von FTS zu rechnen? Lässt sich ein solches System auch nachträglich integrieren, ohne die Gesamtabläufe zu behindern?
S. Vennemann: Der Platzbedarf hängt von unterschiedlichen Einflussgrößen ab und ist natürlich abhängig von der Anzahl und der Größe der Fahrzeuge. Da aber das FTS im Normalfall kleiner als ein manueller Stapler ist und für das Rangieren an Aufnahme und Abgabepunkten oder anderen Funktionsbereichen den gleichen oder sogar weniger Platz benötigt, kann ein automatisches FTS auch in eine bestehende Umgebung integriert werden. Vor der Integration ist in jedem Fall eine detaillierte Planung notwendig, um eine Behinderungen der Gesamtabläufe auszuschließen. Diese erarbeiten wir gemeinsam mit unserem Kunden, um die laufenden Prozesse so wenig wie möglich oder am besten gar nicht zu unterbrechen.
Wie steht es um die Einbindung in ein bestehendes LVS sowie die Validierung des Systems nach gültigen GMP- bzw. GDP-Regularien oder für den US-Markt FDA-Vorschriften?
S. Vennemann: Die Validierung des Systems ist in der Pharmaindustrie ein sehr wichtiges und oft entscheidendes Thema. Dazu haben wir bei Egemin eine eigene Division Life Science, die sich intensiv mit der Validierung beschäftigt und diese für Anlagen durchführt. Viele Kunden aus der Pharmaindustrie, darunter Johnson & Johnson, Abbott oder Pfizer, vertrauen bereits auf unser Know-how in diesem Bereich. Die Egemin-Systeme und Installationen sind stets gemäß den gültigen Regularien konzipiert und implementiert.
In welchen Umgebungen und bei welchen speziellen Aufgaben wäre ein FTS einem herkömmlichen intralogistischen Ablauf vorzuziehen?
S. Vennemann: Der klare Vorteil eines FTS gegenüber herkömmlicher, meist festinstallierter Fördertechnik liegt eindeutig in dessen Flexibilität. Während die Fördertechnik immer nur die fest verdrahtete Aufgabe- und Abgabestation in der festgelegten Reihenfolge bedienen kann, lassen sich mit flexiblen FTS viele weitere Möglichkeiten ausnutzen. Die autonomen Fahrzeuge werden den Prozessanforderungen des Kunden angepasst. Was wann in welcher Reihenfolge transportiert wird, hängt von den Vorgaben ab und nicht von der Fördertechnik. Kurz gesagt: Mit FTF hat man viel mehr Freiheit. Auch wenn es darum geht, Fahr- und Laufwege freizuhalten, bietet es einen entscheidenden Platzvorteil gegenüber herkömmlichen Systemen.
Auch in Sachen Kapazitätserweiterungen hat ein FTS klar die Nase vorn. Müsste bei einer Fördertechnik eine komplett neue Installation vorgenommen werden, so lässt sich die Anzahl der Transporte der FTF wesentlich leichter anpassen. In einigen Fällen kann es auch sinnvoll sein, beide Systeme miteinander zu kombinieren.