Sustainable Lifecycle Risk Management
85. NAMUR-Hauptsitzung stellt Digitalisierung von Functional Safety und Security in den Mittelpunkt
Die Anzahl der Sicherheitseinrichtungen in der Prozessindustrie hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, ebenso die zu erfüllenden Anforderungen sowie deren technische und organisatorische Komplexität. Das hat die NAMUR dazu bewogen, das Thema „Funktionale Sicherheit“ für die endlich wieder „live“ stattfindende Hauptsitzung am 10./11. November 2022 auszuwählen. Sponsor der Veranstaltung ist HIMA. CHEManager sprach mit CEO Jörg de la Motte, VP Strategic Marketing Peter Sieber und Director Applications Sergej Arent über die aktuellen Trends der Sicherheitstechnik. Das Gespräch führte Volker Oestreich.
CHEManager: Was sind die aktuellen Trends beim Risikomanagement in der Prozessindustrie?
Jörg de la Motte: Funktionale Sicherheit muss neu gedacht werden. Die alleinige Betrachtung von Hard- und Software reicht nicht mehr aus. Ein ganzheitlicher Ansatz, der das betriebliche Risikomanagement im Blick hat, muss über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage etabliert werden. Dabei ist das Augenmerk auf Lösungen zu legen, die trotz des rasanten technologischen Wandels in einer immer komplexeren Arbeitswelt und der stattfindenden demografischen Veränderung Zukunftssicherheit bieten.
Als unabhängiger Lösungsanbieter im Bereich der sicherheitsgerichteten Automation und mit mehr als 50 Jahren Erfahrung im Bereich der funktionalen Sicherheit ist Hima der ideale Partner für die diesjährige NAMUR Hauptsitzung, um die veränderten Herausforderungen für funktionale Sicherheit und OT-Security aufzuzeigen. In unserem Hauptvortrag mit dem Titel #safetygoesdigital präsentieren wir, wie wir die Digitalisierung der funktionalen Sicherheit mit Mehrwert umsetzen.
Peter Sieber: Digitalisierung bietet einerseits neue Möglichkeiten für die funktionale Sicherheit, erhöht jedoch andererseits die Komplexität und führt zu neuen potenziellen Risiken, die beherrscht werden müssen. Hima zeigt auf, wie funktionale Sicherheit für Anlagenbetreiber durch Digitalisierung besser handhabbar wird. Darüber hinaus wird dargelegt, wie durch Digitalisierung der funktionalen Sicherheit Mehrwert generiert werden kann. Dazu wird ein neuer, durchgängiger Prozess für das Safety Engineering vorgestellt.
Vollständig isolierte Sicherheitssysteme sind technisch sicher, sind jedoch nicht in der Lage, ein kosteneffizientes Risiko Management zu unterstützen. Die Digitalisierung bietet diesbezüglich neue Möglichkeiten. Wir werden aufzeigen, wie alle zur Funktionalen Sicherheit gehörenden Prozesse automatisiert und zu einem digitalisierten Risiko Management Prozess zusammengeführt werden können.
Sicherheitssysteme sind prinzipiell strikt von betrieblichen Automatisierungseinrichtungen zu trennen. Technologisch bleiben wir diesem Grundsatz treu, trotzdem holen wir sie aus der Isolation und machen sie zur sicheren Datendrehscheibe. Dabei übernehmen die Sicherheitssysteme neben klassischen Sicherheitsfunktionen weitere Aufgaben, um den Anlagenbetrieb effizienter zu gestalten.
Für die Einbindung in die kundenseitige Infrastruktur kann die HIMA Independent Open Platform dienen, die auf offenen Standards basiert. Sie beinhaltet eine „secure“ Datenintegration in übergeordnete Systeme und schützt nachgelagerte Einrichtungen.
„Es gibt kein Safety ohne Security. Mit dem ‚HIMA Security Environment‘ wird verhindert, dass die Security Exposition der digitalisierten Sicherheitslösung im Vergleich zu bisherigen Lösungen zunimmt."
Digitalisierung darf nicht zu einer Erhöhung betrieblicher Risiken führen – wie ändert sich die Betrachtungsweise unter der Berücksichtigung von Safety und Security?
J. de la Motte: Mit den Themen Industrie 4.0 und Industrial Internet of Things wird die vertikale Integration von Sicherheitssystemen und deren zugehörigen Einrichtungen in die Prozessautomatisierung zunehmend anspruchsvoller. Dies ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass infolge umfangreicheren Datenaufkommens, verursacht durch die Verwendung intelligenter Feldgeräte, zusätzliche Herausforderungen entstehen. Andererseits müssen auch zugehörige Einrichtungen wie zum Beispiel Engineering-Systeme in die Integrationskonzepte einbezogen werden, um für umfassende Security der Sicherheitslösungen sorgen zu können. Wir stellen mit dem Hima Security Environment hierzu eine neue, am Betrieb einer Gesamtanlage orientierte Lösung vor.
P. Sieber: Um verfahrenstechnische Anlagen wirtschaftlich zu betreiben, muss der gesamte Lebenszyklus aller Komponenten und ihr Zusammenwirken betrachtet werden. Eine digitalisierte Interpretation des Safety Engineering berücksichtigt neben der Normkonformität auch die Effizienz des Lifecycle Managements. Der Engineering-Aufwand über den gesamten Lebenszyklus wird damit erheblich reduziert. Kurz gesagt: Wir schaffen Mehrwert durch digitalisiertes Engineering, mit dem wir eine effizientere Vorgehensweise bei Entwurf, Implementierung und Test von Sicherheitseinrichtungen erreichen. Wichtig ist mir, und das hat ja auch Herr de la Motte schon betont: Ob digitalisiertes Engineering, der digitale Safety Lifecycle Support oder digitale Kommunikation bis in die Feldebene: bei allen Schritten spielt Security eine entscheidende Rolle.
Lassen Sie es mich noch einmal etwas anders formulieren: Die Sicherheitssysteme dienen der Risikoreduzierung im Anlagenbetrieb. In einer digitalisierten Welt müssen wir neben den bekannten Risiken wie z.B. technischem oder menschlichem Versagen auch die Risiken aus der IT und OT berücksichtigen und die Lösungen so konzipieren, dass sie auch bei einem erfolgreichen Cyberangriff auf die betriebliche Automatisierung die Gesamtanlage in den sicheren Zustand überführen können. Das gelingt uns mit dem Hima Security Environment für funktionale Sicherheit.
Wo bleibt dann noch ein Mehrwert beim digitalen Risikomanagement?
J. de la Motte: In der Vergangenheit waren Sicherheitssysteme Einrichtungen, welche „unter Verschluss“ gehalten wurden, und die – lassen Sie mich das einmal flapsig so ausdrücken – „hin und wieder aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen“ die Anlagen in den sicheren Zustand überführt haben. Letzteres tun Sicherheitssystem immer noch, allerdings tun sie dies heute vollständig transparent, das heißt wenn eine Sicherheitsabschaltung passiert, kann man genau erkennen warum. Dies ist einerseits erforderlich, um die Anforderungen der einschlägigen Sicherheitsnormen zu befolgen, andererseits besteht natürlich massives betriebliches Interesse daran, zu verstehen was passiert ist, wenn es passiert. Zur Transparenz, die wir heute unseren Kunden bieten gehört darüber hinaus, dass andere sicherheitsrelevante Aspekte wie zum Beispiel die Einhaltung der Anforderungsrate, die Nutzung von Brückungsschaltern und die Ergebnisse der Wartungs- und Prüfarbeiten erfasst und ausgewertet werden.
Wie hat HIMA seine Sicherheitssysteme für die Digitalisierung in der Prozessindustrie angepasst und das Engineering ausgestaltet?
S. Arent: Die wesentlichen Treiber der Digitalisierung im heutigen Engineering sind der Kostendruck und der Fachkräftemangel. Die typischen Engineering Tätigkeiten, wie das Übersetzen der verfahrenstechnischen Vorgaben in Funktionslogik oder das Definieren von Feldsignalen werden heute durch Softwaretools erledigt. Optimierungspotenzial sehen wir beim Vernetzen dieser Engineering Tools untereinander, um zum Beispiel Mehrfacheingaben zu vermeiden. Damit wird sowohl die Effizienz als auch die Qualität verbessert. Unser TÜV zertifiziertes Engineering Tool SILworX wird mit dem kommenden Release die Möglichkeit zur Integration sog. Plug-Ins anbieten. Es wird dem Nutzer ermöglicht, externe Tools einzubinden oder sogar selbst individuelle Features zu entwickeln. Diese erlauben es den Funktionsumfang von SILworX zielgerichtet zu erweitern und Hima in die Toollandschaft der jeweiligen Projektanforderungen zu integrieren.
Beispiele für solche Plug-Ins im Engineering sind der Feldbus-Konfigurator oder der MTP-Generator. Der Feldbus-Konfigurator ermöglicht ein deutlich effizienteres Engineering von Feldbussen, wie z.B. dem Ethernet APL – Advanced Physical Layer. Der MTP-Generator erlaubt eine Erstellung von MTP – Module Type Package unter Einbindung von Drittanbietern.
Vor wenigen Wochen hat Hima zeitgleich in Brühl und in Singapur ein Customer Solutions Center eröffnet. Welche Strategie verfolgen Sie damit?
J. de la Motte: Mit der Eröffnung der Customer Solutions Center in Brühl und Singapur schaffen wir völlig neue Möglichkeiten, um Safety- und Security-Lösungen gemeinsam mit unseren Anwendern und Partnern zu erleben, zu testen und weiterzuentwickeln. Durch die Bündelung der Expertise können Anwender-Fragestellungen zielgerichtet beleuchtet und validiert werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen ökonomischen, ökologischen, demografischen und politischen Herausforderungen gehen wir weiter voran, um in der Prozessindustrie die Themenblöcke Safety und deren Security sowie Digitalisierung der funktionalen Sicherheit zu besetzen und ein entsprechendes Lösungsportfolio zu erarbeiten.
„Wir wollen die immer komplexer werdende funktionale Sicherheit für die Anlagenbetreiber handhabbar halten.“
S. Arent: In beiden CSC sind jeweils fünf Disziplinen vereint: Consulting, Applications, Academy, Security Lab und der Experience Room, in dem Ideen konkretisiert werden. Für Trainings und Besprechungen stehen flexibel gestaltbare Räume mit modernster Technik zur Verfügung, Networking- und Catering-Bereiche laden zum Gedankenaustausch in inspirierender Atmosphäre ein. In gemeinsamen Workshops können Kunden zukünftig ihre Fragestellungen direkt vor Ort und mit den jeweiligen Experten von HIMA diskutieren. Die erarbeiteten Lösungsansätze werden anschließend im Experience Room mit modernster Hard- und Software sowie innovativen digitalen Ansätzen für Kundenprozesse getestet und können direkt validiert werden. Sowohl für Security, Open Integration als auch für die Digitalisierung des Safety Lifecycle bietet das Customer Solutions Center praxisnahe Lösungen. So gestalten wir die Zusammenarbeit mit unseren Kunden viel intensiver und generieren einen echten Mehrwert.
Eine letzte Frage: Warum sollen die Automatisierungsexperten der Prozessindustrie gerade an der diesjährigen NAMUR-Hauptsitzung teilnehmen?
J. de la Motte: Anlässlich der diesjährigen NAMUR-Hauptsitzung werden wir aufzeigen, wie wir Anlagenbetreiber bei der Digitalisierung der funktionalen Sicherheit unterstützen können. Dabei betrachten wir Safety- und Security-Aspekte ganzheitlich und präsentieren Lösungen, die auf Betreiberbedürfnisse wie Compliance, Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit zugeschnitten sind.
„Die Digitalisierung ist nicht nur ein Trend, sondern eine Notwendigkeit, um die Effizienz zu steigern sowie den Fachkräftemangel zu kompensieren.“