Routenplaner für Chemiker
Computergestütztes Synthesedesign mit ChemPlanner spart in der Pharmaforschung Zeit und Geld
Zeit ist Geld. Dies gilt insbesondere in der Arzneimittelforschung und -entwicklung. Die Pharmaindustrie gibt pro Jahr weltweit etwa 100 Mrd. USD für Forschung und Entwicklung aus. Daher sind Forscher stets auf der Suche nach Möglichkeiten, Moleküle schneller zu synthetisieren, um so die Zeit von der ersten Entdeckung und Patentierung eines Wirkstoffs bis zur Markteinführung eines neuen Medikaments zu verkürzen. ChemPlanner, ein Software-Tool, das in der organischen Chemie zur Vorhersage von Syntheserouten zu Zielmolekülen dient, hilft den Forschern dabei. Das von Wiley entwickelte und im September 2015 vorgestellte Tool wird als SaaS-Lösung (Software as a Service) vertrieben und auf den internen Servern gehostet. In diesem Jahr soll eine Version zur Installation auf lokalen Computern folgen. Dr. Michael Reubold sprach mit Dr. David Flanagan, Direktor Lab Solutions bei Wiley, darüber, wie ChemPlanner Pharmaforscher unterstützen kann.
CHEManager: Dr. Flanagan, was sind die wichtigsten Merkmale von ChemPlanner?
D. Flanagan: ChemPlanner ist ein Tool für Organiker zur Reaktionsvorhersage auf Basis des maschinellen Lernens. Ein Chemiker kann sein Zielmolekül zeichnen und ChemPlanner prognostiziert dann die kürzeste, schnellste und günstigste Syntheseroute zum Ziel. Dies geschieht sogar über noch nie zuvor publizierte Reaktionen auf der Grundlage von dem, was die Software über die organische Chemie gelernt hat.
Wie genau profitieren Synthesechemiker von dem Tool?
D. Flanagan: ChemPlanner besitzt drei Hauptmerkmale. Erstens steigert es die Produktivität in der Forschung, denn die Software verringert die aufwändige Literaturrecherche und verkürzt die Planungszeit, so dass die Forscher mehr Moleküle synthetisieren und Projekte schneller zum Ende bringen können. Zweitens wird die Kreativität gesteigert, denn ChemPlanner liefert Ideen für neue Routen und kann Routen vorschlagen, die man nicht unbedingt in Betracht gezogen hätte. Und schließlich ist das Tool einfach zu bedienen. Wir haben lange mit Chemikern an der Optimierung der Oberfläche und des Benutzererlebnisses gefeilt, so dass ChemPlanner jetzt gut in den Arbeitsablauf von Forschern passt.
Wie funktioniert das Tool, welche Daten dienen als Grundlage?
D. Flanagan: ChemPlanner funktioniert durch die Kombination branchenführender Chemieinformatik-Software mit hochwertigen Reaktionsdaten. Die Software analysiert eine Reaktionsdatenbank und isoliert einzelne Reaktionskerne, die es dann zu Regeln konzentriert. Diese Regeln, die automatisch durch Algorithmen extrahiert und in Reaktionsklassen eingeordnet werden, erkennt ein Chemiker beispielsweise als Namensreaktionen. Wenn ChemPlanner Millionen von Reaktionen analysiert, kann es Regeln ableiten, die im Grunde die gesamte organische Chemie abdecken. ChemPlanner nutzt derzeit die Reaktionsdatenbank ChemInform (CIRX) zur Generierung seiner Regel-Wissensdatenbank, zukünftige Kunden werden in der Lage sein, Regeln auch aus ihren eigenen Reaktionen abzuleiten. Zwar ist das nicht erforderlich, doch wird es Ihnen ermöglichen, eine angepasste Version von ChemPlanner mit fokussierter Abdeckung in den Bereichen der Chemie zu nutzen, die für Ihre speziellen Ziele besonders relevant sind.
Was macht ChemPlanner besonders für Pharmaunternehmen interessant?
D. Flanagan: Grundsätzlich ist ChemPlanner für alle nützlich, die organische Moleküle synthetisieren, darunter Branchen wie Pharma, Feinchemie, Agrochemie, Duft- und Aromastoffe, Biotechnologie sowie auch für Auftragsforschungsinstitute. Für die Pharmaindustrie ist es besonders wichtig, mehr Moleküle effizienter herzustellen. Wenn man bedenkt, dass es 10 bis 12 Jahre dauert, bis ein Medikament zur Zulassung gelangt, sollte jedes Produkt, das diese Zeit verkürzen könnte, sehr wertvoll sein. Patienten hätten nicht nur früher Zugang zu lebensverbessernden Medikamenten, sondern auch die Unternehmen hätten Ihr Molekül länger auf dem Markt, solange es noch unter Patentschutz steht.
Können Sie das Kosteneinsparpotenzial abschätzen, das ChemPlanner Pharmaunternehmen bietet?
D. Flanagan: Es ist schwierig, eine Kostenersparnis eines Produkts wie ChemPlanner in Zahlen zu fassen, doch wir können den Wert beziffern, den Pharmaunternehmen der Verkürzung der Zeit von der Entdeckung eines Wirkstoffs bis zur FDA-Zulassung zuschreiben. Die FDA erteilt einen sogenannten Priority Review Voucher, wenn ein neues Medikament für bestimmte Krankheiten entwickelt wird. Mit diesem Voucher können Pharmafirmen ihren FDA-Antrag für ein neues Medikament beschleunigen, was das Verfahren um vier Monate verkürzt. Diese Vouchers sind handelbar, und die letzten Vouchers wurden für 350 Mio. USD verkauft. Daraus können Sie errechnen, dass Pharmaunternehmen die Verkürzung des rund 12-jährigen Prozesses um einen Monat bis zu 87 Mio. USD wert sein könnte. Wir sind davon überzeugt, dass ChemPlanner das Potenzial für solche Zeitersparnisse besitzt.
Was unterscheidet Ihre Software von anderen auf dem Markt befindlichen Tools?
D. Flanagan: Heute nutzen Chemiker zur Planung von Syntheserouten vor allem A&I-Dienste wie Elsevier Reaxys oder SciFinder der CAS. Allerdings sind diese Produkte für reine Datenbankabfragen und überlassen den Großteil der geistigen Arbeit zur Syntheseplanung dem Chemiker. ChemPlanner erledigt zwei wichtige Aspekte, die ein normaler Reaktionsdatenbankservice nicht bietet. Zum einen analysiert ChemPlanner alle Möglichkeiten und prognostiziert die kürzeste, schnellste, günstigste, effizienteste Route zu einem Zielmolekül. Der Chemiker muss nicht mehr einzelne Reaktionen zusammensetzen und hoffen, dass er die beste Gesamtroute findet. Für einen Menschen ist es schwierig, im Kopf den Überblick über alle Variablen einer Routenplanung zu behalten, zum Beispiel die Anzahl der Schritte, die Zuverlässigkeit der Reaktion, Kosten sowie Verfügbarkeit der Ausgangsmaterialien und Interferenz von verschiedenen funktionellen Gruppen. Doch für einen Computer ist die Suche nach der optimalen Kombination dieser Variablen aus Millionen von möglichen Lösungen relativ einfach. Da ChemPlanner außerdem effektiv die gesamte organische Chemie „kennt“, kann es Reaktionen vorhersagen, die in der Literatur noch nicht beschrieben sind und bisher in keine Datenbank aufgenommen wurden.
Stellen wir uns die Leistungsfähigkeit der vorhergesagten Reaktionen doch einmal so vor: In der CAS-Datenbank sind etwa 100 Millionen Moleküle registriert. Doch die Zahl der möglichen kleinen Moleküle wird auf zwischen 1055 und 1065 angesetzt. Das bedeutet, dass nur eine verschwindend geringe Anzahl der möglichen Moleküle in der Literatur beschrieben und in Datenbanken aufgenommen wurden. Wenn wir die Anzahl der Moleküle in der CAS-Datenbank stellvertretend für die Anzahl der in Datenbanken erfassten Reaktionen nehmen, können wir auch davon ausgehen, dass nur eine verschwindend geringe Anzahl von möglichen Reaktionen in Datenbanken erfasst ist. Aus diesem Grund sind wir der Ansicht, dass das regelbasierte Lernen von ChemPlanner, das einen deutlich größeren Raum chemischer Reaktionen abdecken kann, einer einfachen Reaktionsdatenbank vorzuziehen ist.
Deckt sich diese Einschätzung mit dem Feedback, das Sie bisher von Forschern erhalten haben?
D. Flanagan: Die ChemPlanner-Version 1.0 kam im September 2015 auf den Markt und wir haben bereits viel positives Feedback von Kunden erhalten, die das Tool für ihre eigenen Syntheseziele einsetzen. Ihnen gefällt die Benutzeroberfläche, die Qualität der durch unsere Algorithmen erzeugten Prognosen und auch die solide Plattform sowie unsere Roadmap für weitere Produktverbesserungen und -entwicklungen. Seit dem Launch gab es zwei Updates, in die auch Verbesserungsvorschläge und Anregungen unserer Anwender eingeflossen sind.
Eines der Top-Ten-Pharmaunternehmen hat die erste Unternehmenslizenz erworben. Was sind Ihre Erwartungen für die Einführung von ChemPlanner auf dem Markt?
D. Flanagan: Richtig, einer der führenden globalen Arzneimittelhersteller hat eine Konzernlizenz erworben und wird sie für die chemische Forschung sowie für die Prozesschemie zur Senkung der Kosten bei der Herstellung eines Moleküls für klinische Studien nutzen. Der Pharmakonzern war einer der ersten Anwender der computergestützten Designsynthese und auch einer der ersten Kunden von ARChem, dem Vorgänger von ChemPlanner.
Wir denken, dass es genügend Wachstumsmöglichkeiten gibt, sowohl horizontal bei der Steigerung der Anzahl von Benutzern und Standorten bei einem Unternehmen, das ChemPlanner einsetzt, wie auch vertikal, wenn wir mit neuen Features und Funktionen aus unserer Roadmap Geld verdienen.