Richtige Entscheidungen treffen mit Big Data (Teil 2)
Interview mit Francois Eijgelshoven, General Manager EMEA-RUSSIA bei Quintiq
Alle an der Supply-Chain Beteiligten – Zulieferer, Produktionsbetrieb oder Logistikdienstleister – produzieren fortlaufend Daten unterschiedlichster Art. Richtig verarbeitet können diese „Big Data“ zu einer unschätzbaren Wissens- und Analyse-Quelle werden. Dr. Sonja Andres sprach hierzu mit Francois Eijgelshoven, dem General Manager EMEA-RUSSIA bei Quintiq. Im vorliegenden zweiten Teil des Interviews kommen nun moderne Analysetechnologien, die zusätzlich zur Supply-Chain-Optimierung wichtige Erkenntnisse liefern, und Möglichkeiten zur Sprache, wie Big-Data-Analysen die chemische Industrie in ihren Aktivitäten unterstützen können, z.B. in der Preisgestaltung.
CHEManger: Herr Eijgelshoven, wie beurteilen Sie die Möglichkeiten für die chemische Industrie, den Eintritt ungünstiger oder schädlicher Ereignisse innerhalb der Supply-Chain mit Hilfe von Big Data schon im Vorfeld zu unterbinden?
F. Eijgelshoven: Sehr hoch, wenn ein Unternehmen eine darauf spezialisierte IT-Lösung nutzt. Denn große Datenmengen allein bringen keinen Mehrwert. Ein Unternehmen muss auch in der Lage sein, daraus die relevanten Informationen zu filtern und in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Es muss ein besseres Verständnis dafür entwickeln, was die Daten mitteilen – das gelingt mit Predictive Analytics, also modernen Analysetechnologien, zusätzlich zur Supply-Chain-Optimierung.
Genau wie Predictive Maintenance den Wartungsbedarf einer Anlage einschätzt, um Störungen und Ausfällen in der Produktion vorzubeugen, können Predictive Analytics dies für den reibungslosen Ablauf der Lieferkette leisten. Bedingung ist eine integrierte Betrachtung der Lieferkette inklusive der vor- und nachgelagerten Stufen der Produktion. Die modernen IT-Lösungen liefern nicht nur Prognosen, wo Störungen zu erwarten sind, sondern konkrete Handlungsempfehlungen und Optionen, diese im Vorfeld zu unterbinden oder – wenn die Störungen nicht im Einflussbereich des Unternehmens sind – angemessen darauf reagieren zu können.
Wie weit diese Lösungen gehen können, zeigt beispielsweise die modulare Plattform von Quintiq. In dieser kann eine Selbstlernfunktion implementiert werden, die alle relevanten Faktoren der Lieferkette analysiert, Bezüge zwischen ihnen erkennt und daraus wichtige Erkenntnisse ableitet. Diese fließen dann automatisch zurück und beeinflussen die neuen Planungs- und Optimierungsprozesse. So erhalten Unternehmen entscheidende Wettbewerbsvorteile in punkto Zeit- und Kosteneffizienz, Liefertreue und Kundenzufriedenheit.
Lassen sich mit Hilfe von Big Data zum Beispiel Strategien für eine Supply-Chain-Optimierung entwickeln? Wie könnte dies konkret aussehen?
F. Eijgelshoven: Viele Unternehmen der chemischen Industrie siedeln die Bemühungen um Effizienzsteigerung und Kostensenkung immer noch ausschließlich im Bereich Produktion an. Damit werden vor- oder nachgelagerte Stufen der Lieferkette ausgeblendet und wichtige Potenziale verschenkt. Eine Optimierungsstrategie sollte jedoch integriert angelegt werden. So haben allein die spezifischen Eigenschaften eines chemischen Produkts große Auswirkungen auf die Planung der gesamten Logistikprozesse – von der Lagerung über den Transport bis hin zu Mehrwertdienstleistungen wie dem Abfüllen dieser Stoffe.
Ich gebe Ihnen gern ein Beispiel: Ein Tanklogistikdienstleister kann mit unserer Software auf Grundlage von Produktionsprognosen die Equipmentverfügbarkeit in seinem Netzwerk optimal gestalten – und damit Zeit und Kosten sparen. Denn für den Transport flüssiger chemischer Produkte kommen schließlich viele unterschiedliche Arten von Tankcontainern zum Einsatz: mit Temperaturführung, mit spezieller Beschichtung für entzündliche oder pastöse Produkte, mit Mehrkammertanks für Kleinmengen oder kombinierte Produkte. Die Software berücksichtigt bei der Planung auch wichtige Variablen wie Reinigungsregeln oder zuvor in den Behältern transportierte Produkte.
In einem europaweiten Netzwerk kann ein integriertes Planungstool die bedarfsgerechte Verteilung der Tankcontainer abbilden. Mittels belastbarer Prognosen werden also Kapazitätsengpässe, Leerfahrten oder Zeitverluste durch lange Anfahrtszeiten des passenden Equipments verringert oder ausgeschlossen.
Welchen Einfluss kann Predictive Analytics auf Vertrieb und Auftragsmanagement nehmen – Stichwort: Vorhersage des Kundenverhaltens?
F. Eijgelshoven: Effizienz und Kundenzufriedenheit sind oberste Ziele des Auftragsmanagements. Dazu muss bereits der Vertrieb die künftigen Kapazitäten realistisch einschätzen. Es geht darum, sich mit Hilfe eines intelligenten Systems an die dynamische Welt anzupassen – mit Hilfe eines Systems, das aus der Vergangenheit lernt, die Gegenwart wahrnimmt und anhand aller Informationen Vorhersagen für die Zukunft erstellt. Eine integrierte Plattform für Predictive Analytics, die die einzelnen Bereiche eines Werkes sowie die vor- und nachgelagerten Dienstleister mit einbezieht, unterstützt in hohem Maße das Auftragsmanagement bei der Umsetzung der Ziele.
Konkret geht es um solche Fragen wie: Kann eine Lieferung im gewünschten Zeitfenster erfolgen? Sind ausreichend Lagerkapazitäten, Personal und Equipment verfügbar? Ob ein Auftrag überhaupt zu den gewünschten Konditionen umsetzbar ist, kann anhand der Bedarfs- und Nachfrageprognosen gut abgeschätzt werden.
Predictive Analytics hilft einem Unternehmen darüber hinaus, anhand vorhandener Informationen und historischer Daten Muster zu erkennen und ein mögliches Kundenverhalten besser vorherzusagen. Wird ein Kunde beispielsweise in nächster Zeit mehr Lagerkapazitäten anfragen oder seine Lieferfenster neu definieren? Rechtzeitige Antworten auf solche Fragen der Zukunft erlauben es, schnell und wettbewerbsfähig auf Marktveränderungen zu reagieren.
Was macht die Quintiq-Lösung anders oder besser als herkömmliche Lösungen?
F. Eijgelshoven: Quintiq unterscheidet sich sowohl von herkömmlichen Standardlösungen als auch von Neuentwicklungen, die mit hohem Aufwand entstehen. Denn die Leistungsfähigkeit unserer Plattform verbindet Standardprozesse mit einem hohen Grad an Individualisierung. Was heißt das?
Die Quintiq-Plattform besteht zu 80% aus hoch effizienten Standard-Algorithmen, weitere 10% sind direkt auf die Branche des Unternehmens – also spezielle Lösungen etwa für Produktion oder Logistik – ausgerichtet. Und die letzten, entscheidenden 10% werden mit dem Kunden gemeinsam an dessen konkrete Prozesse, Unternehmensregeln und Vorgaben angepasst.
Hinzu kommt, dass Quintiq eine modulare Plattform ist. Die einzelnen Module reichen von der Feinplanung einzelner Bereiche bis hin zur Planung und Optimierung der gesamten Supply-Chain – sie können einzeln oder auch kombiniert eingesetzt werden. Über Schnittstellen werden sie mit anderen eingesetzten IT-Lösungen verbunden, eine Insellösung ist damit ausgeschlossen.
Ganz wichtig ist die Nutzerfreundlichkeit und Visualisierung. Denn selbst die beste digitale Plattform kann die menschliche Erfahrung und Intuition nicht ersetzen. In der Quintiq-Plattform kann daher der Nutzer auf seiner Benutzeroberfläche eine individuelle Ansicht wählen. Und zu guter Letzt schulen und begleiten wir Inhouse-Teams bei der individuellen Weiterentwicklung unserer Plattform an die steigenden Bedürfnisse des Unternehmens.
Wo sehen Sie in der näheren aber auch ferneren Zukunft wichtige Einsatzgebiete für Big-Data-Analysen?
F. Eijgelshoven: Ich denke, dass der Bereich Preisgestaltung anhand von Big-Data-Analysen in Zukunft eine größere Rolle in Unternehmen spielen wird. Denn unerheblich, ob es sich um Hersteller oder beispielsweise Logistikdienstleister handelt: Ein datengestütztes Pricing bietet einen enormen Wettbewerbsvorteil. Denn in die Ausgestaltung der Preise fließen nicht nur unterschiedliche Variablen ein, die von Kapazitäten und Lagerbeständen über Kundenbindung und Rabatte bis zu Markt- und Kostenentwicklungen reichen, sondern es fließen auch wichtige Informationen zu Wettbewerbern.
Mithilfe moderner und intelligenter Plattformen, die Preismodelle anhand von Daten in Echtzeit vorschlagen, kann also die Preisgestaltung zu einem bedeutenden Gewinnhebel werden. Denn die Vertriebsmitarbeiter sind damit immer auf dem aktuellsten Stand und können realistische Preise anbieten. Ein Gegeneinander von individuellen Entscheidungen, die Unternehmensziele untergraben können, wird verhindert.
Und nicht zuletzt wird der Bereich Big-Data-Analysen die Nachhaltigkeitsbemühungen der chemischen Industrie immer besser unterstützen können. Denn allein durch ein strukturiertes Lademittelmanagement können Leerfahrten reduziert und der CO2-Ausstoß verringert werden. Eine optimierte Gestaltung der gesamten Lieferkette führt so zu einer immer geringeren Umweltbelastung selbst bei steigender Produktion.
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