REACh-Revision auf dem Prüfstand
Erster EU-Praxis-Check betrachtet direkte Auswirkungen von möglichen Stoffverboten auf Unternehmen
Die EU-Chemikalienverordnung REACh ist seit 2007 in Kraft und soll ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sicherstellen. Die von der Europäischen Kommission im Oktober 2020 veröffentlichte Europäische Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit hat das Ziel, die Sicherheit von Mensch und Umwelt beim Umgang mit Chemikalien auch im Sinne der Nachhaltigkeit zu verbessern. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Revision der REACh-Verordnung. Noch ist unklar, ob und welche Änderungen im Zuge von REACh 2.0 zu erwarten sind, doch die Chemieindustrie in Europa ist alarmiert. So wurde u. a. diskutiert, neue Gefahrenklassen einzuführen und zahlreiche Stoffverbote auszusprechen. Eine potenzielle Gefährdung für die Existenz der gesamten Chemieindustrie in Europa. Im Sommer fand der erste EU-Praxis-Check zur REACh-Revision unter Walter Nussel, Beauftragter für Bürokratieabbau in Bayern, bei Delo Industrie Klebstoffe statt.
Gegenüber CHEManager erläutern Sabine Herold, geschäftsführende Gesellschafterin, und Michael Stumbeck, Leiter Chemie und Mitglied der Geschäftsleitung, die Ergebnisse des EU-Praxis-Checks.
CHEManager: Frau Herold, worum soll es bei der angekündigten REACh-Revision gehen?
Sabine Herold: Die geplante REACh-Revision der Europäischen Union ist im Zuge des Europäischen Green Deals ins Rollen gekommen. Daraus entwickelte die EU-Kommission Pläne, die bestehenden Regeln und Verfahren zur sicheren Verwendung von Chemikalien für Mensch und Umwelt zu überarbeiten und aus ihrer Sicht zu verbessern.
Herr Stumbeck, welche dieser Maßnahmen haben direkten Einfluss auf Delo und wie beurteilen Sie diese?
Michael Stumbeck: Die revidierte REACh-Verordnung sieht unter anderem vor, dass sowohl bestehende als auch neue Polymere berücksichtigt und bei der ECHA angemeldet werden müssen. Das bedeutet im schlimmsten Fall, dass Delo jeden einzelnen Klebstoff unseres Portfolios melden müsste – insgesamt 450 und pro Jahr rund 30 Stück! Ein enormer Arbeitsaufwand. Dabei stellt sich uns als Klebstoffhersteller die dringende Frage: Ab wann gilt eine Verbindung als neues Polymer? Bei Homopolymeren wie Polyethylen ist die Antwort vielleicht noch relativ einfach. Aber Klebstoffe bestehen im ausgehärteten Zustand aus Copolymeren und sind dadurch wesentlich komplexer. Grundsätzlich darf man nicht vergessen, dass die Klebstoff- und Lackindustrie komplexere Produkte herstellt als viele andere Bereiche der chemischen Industrie, was meines Erachtens eine differenzierte Betrachtung erfordert. Es gibt also noch viele offene Fragen, die bislang nicht beantwortet wurden und natürlich zu Verunsicherungen führen.
S. Herold: Das zentralste Thema der REACh-Revision, welches uns wohl am meisten beschäftigt, sind allerdings die verschärften Stoffverbote. In unserem Fall wären das insbesondere jene von Epoxidharzen, Isocyanaten und Acrylaten.
Was ist daran problematisch?
S. Herold: Die REACh-Revision bezieht sich auf potenzielle Gefahren, die von diesen Stoffen für Menschen ausgehen. Im Falle dieser drei Rohstoffe ist das ihre allergene Wirkung bei Hautkontakt. In ihrer Endanwendung, beispielsweise in Windkraftanlagen, organischer Fotovoltaik, als Wärmedämmung und in Matratzen oder in unserem Fall eben in lichthärtenden Klebstoffen sind die Stoffe unbedenklich – weshalb sie im Hausmüll entsorgt werden dürfen. Das heißt, für Endnutzer besteht kein Risiko. Bleiben also noch jene, die mit den Stoffen arbeiten. Hier kann ich Einschränkungen für die private Nutzung noch nachvollziehen. In der Industrie arbeitet jedoch qualifiziertes Fachpersonal unter strengen Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen und die Fertigung erfolgt oft hochautomatisiert. Sie merken also, ein Verbot für B2B, also den gewerblichen Bereich, und insbesondere die Industrie, macht einfach keinen Sinn.
Welche Auswirkungen hätten die Verbote konkret auf mittelständische Unternehmen wie Delo?
M. Stumbeck: Ein paar der diskutierten Stoffverbote wie das von endokrinen Disruptoren oder neurotoxischen Stoffen wären für uns relativ egal. Extrem weh tun würden uns aber die Verbote, die Auswirkungen auf Acrylate und Epoxidharze hätten. Konkret zeichnet sich folgendes Szenario ab: Bei dem für 2028 diskutierten Verbot von STOT RE/SE 2 könnten wir 15 % unserer Klebstoffe nicht mehr in der EU produzieren. Bei den für 2040 diskutierten Verboten unter anderem von allen hautsensibilisierenden oder chronisch aquatischen Substanzen sind es sogar 90 %. Die Produktion in Deutschland könnten wir damit einstellen.S. Herold: Das wäre das Ende der Chemieindustrie in Europa und die Wertschöpfung würde sich komplett ins Nicht-EU-Ausland verlagern. Dort würde dann ungeschultes Personal unter niedrigem Arbeitsschutz und Umweltstandards weiter produzieren und die fertigen Endprodukte würden wieder nach Europa importiert. Das ist weder gut für Mensch noch für die Umwelt. Deswegen waren die Stoffverbote unser wichtigstes Anliegen für den Praxis-Check.
"Die Stoffverbote waren
unser wichtigstes Anliegen
für den Praxis-Check."
Von wem ging die Initiative für den Praxis-Check aus und wer ist daran beteiligt?
S. Herold: Der „Praxis-Check“ ging von Walter Nussel aus. Er ist Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung. Mit seinem Team prüft er staatliche Regulierung realitätsnah zusammen mit betroffenen Unternehmen – und das idealerweise, bevor diese verabschiedet werden. Das Ziel ist natürlich, potenzielle Probleme frühzeitig zu identifizieren und dann auch Regelungen sinnvoll anzupassen. Dafür hat Nussel die zuständige Abteilungsleiterin sowie einen Fachexperten aus der federführenden EU-Generaldirektion zu Delo eingeladen. Zudem waren Vertreter der Bayerischen Staatskanzlei sowie der bayerischen Wirtschafts- und Umweltministerien dabei. Eine wirkliche produktive Runde, in der wir genau über dieses kritische Thema und dessen Auswirkungen auf die gesamte Chemieindustrie sprechen konnten.
Was waren die wichtigsten Ergebnisse des Praxis-Checks und wie schätzen Sie diese ein?
M. Stumbeck: Eines der wichtigsten Ergebnisse war, dass es ein großes Defizit hinsichtlich transparenter und verständlicher Kommunikation gibt. Dadurch entstehen in der Praxis enorme Unsicherheiten und fehlende Planungssicherheit. Bei den Stoffverboten hat sich beispielsweise herausgestellt, dass der B2B-Bereich im Prinzip von diesen Verboten ausgenommen werden soll. Damit wäre Delo von diesen Verboten nicht betroffen, was wirklich eine große Erleichterung war.
"Es gibt ein großes Defizit
hinsichtlich transparenter und
verständlicher Kommunikation."
S. Herold: Es wurde auch deutlich, dass EU-Regelungen einen größeren Praxisbezug benötigen. Sie sollten vorab mit den Betroffenen stärker besprochen und nicht über unsere Köpfe hinweg getroffen werden.
Wie geht es mit der REACh-Revision weiter? Wie könnte ein Kompromiss aussehen?
S. Herold: Das Fazit des Praxis-Checks war überraschend positiv. Wir sehen einen Kompromiss bei den Stoffverboten, wenn diese lediglich für private Endverbraucher, also den B2C-Bereich gelten würden. Was letztlich wirklich umgesetzt wird, bleibt abzuwarten, da sich die neue Kommission gerade erst formiert und wir nicht wissen, welche Schwerpunkte sie setzen wird. Insgesamt ist jedoch zu erwarten, dass sowohl die Kommission als auch das Parlament die Wettbewerbsfähigkeit stärker in den Fokus nehmen werden als in der letzten Legislaturperiode.
ZUR PERSON
Sabine Herold ist geschäftsführende Gesellschafterin von Delo. Nach Abschluss ihres Studiums des Chemieingenieurwesens an der Universität Erlangen-Nürnberg stieg sie 1989 als Anwendungsingenieurin bei Delo ein. 1998 übernahm sie, gemeinsam mit ihrem Ehemann Wolf Herold, die Firma im Rahmen eines Management-Buy-Outs und entwickelte diese zu einem weltweit tätigen Unternehmen. Sabine Herold ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande und der Bayerischen Staatsmedaille für besondere Verdienste um die bayerische Wirtschaft. Sie engagiert sich ehrenamtlich u.a. in den Präsidien von BDI und VCI.
ZUR PERSON
Michael Stumbeck ist Leiter der Chemie bei Delo und Mitglied der Geschäftsleitung. Nach dem Abschluss seines Studiums zum Diplomchemiker an der Technischen Universität München promovierte er dort am Lehrstuhl für Makromolekulare Stoffe mit Schwerpunkt physikalischer Polymerchemie. Nach der Promotion wechselte Stumbeck 1998 als Laborleiter in den Bereich Forschung & Entwicklung zu Delo, 2012 übernahm er die Leitung der F&E-Abteilung. Seit 2023 ist er Mitglied der Geschäftsleitung von Delo.
Downloads
Kontakt
DELO Industrie Klebstoffe
DELO-Allee 1
86949 Windach
Deutschland