Anlagenbau & Prozesstechnik

Pneumatische Förderung von MetallteilenStephan Brand, Aerzener Maschinenfabrik mit Unterdruck

Drehkolbengebläse zur Rückführung von Stanzabfällen bei der Batterie-Produktion

02.09.2011 -

CITplus - Staubförmige Güter mit Unterdruck durch ein Rohrleitungssystem zu fördern, ist ein alter Hut. Dagegen ist der pneumatische Unterdruck-Transport von metallischen Stanzteilen eine echte Herausforderung; besonders, wenn es sich dabei um kleine, unterschiedlich geformte Bleiplättchen mit dem hohen spezifischen Gewicht handelt. Mit dem Drehkolbengebläse der Aerzener Maschinenfabrik kann jedoch auch diese Aufgabe gemeistert werden.

Bei Johnson Controls in Hannover müssen ca. 11 t pro Stunde dieser Bleiplättchen im Rund-um-die-Uhr-Betrieb über eine Strecke von ca. 50 m mit mehreren engen 90°-Bögen auf eine Höhe von ca. 6 m gefördert werden. Johnson Controls setzt weltweit in der Produktion von Bleigittern für Starterbatterien für Automobile das Unterdruck-Transport-Verfahren für den Transport der Stanzabfälle ein. Für eine neue Fertigungsstraße von Batteriegittern im Werk Hannover hat sich das Unternehmen zur Erzeugung des benötigten Unterdrucks für ein Drehkolbengebläse der Aerzener Maschinenfabrik entschieden.
Die Batteriemarke Varta steht als Teil des Markenportfolios von Johnson Controls für höchste Qualität, innovative Technologie und langjährige technische Erfahrung. Starterbatterien für Automobile sind Reihenschaltungen von Bleiakkumulator-Zellen. Sie werden durch Bleigitter gebildet, die früher im Varta-Werk in Hannover in Formen gegossen wurden. „Heute produzieren wir in Hannover diese Bleigitter in vollautomatischen Produktionsstraßen", erläutert Ahmad Abu-Shaqra, Projekt-Manager in den europäischen Batteriewerken von Johnson Controls.
Aus dem geschmolzenen Blei entsteht zunächst eine endlose Bramme, die dann in einer Walzstraße zu einem dünnen Bleiband geformt wird. Daraus entstehen in der vollautomatischen Stanzstation Bleigitter für die Herstellung der Akkumulator-Zellen. Bei diesem Stanzvorgang verbleibt nur ein geringer Bruchteil des Materials im Produkt. Der weit überwiegende Rest - sehr kleine Bleiplättchen in unterschiedlichen Formen mit einem spezifischen Gewicht von 11,37 g/ cm³ - wird anschließend in den Produktionskreislauf zurückgeführt und erneut eingeschmolzen.
Johnson Controls hatte sich zur Rückführung dieser Stanzabfälle in die Schmelze nach mehreren alternativen Versuchen für die Saugförderung entschieden. Bei dieser Lösung werden die Stanzabfälle mit Unterdruck durch eine Rohrleitung von der Stanzposition zurück zur Schmelzstation gesaugt. Dieses Verfahren wurde in den transatlantischen Werken und in anderen europäischen Werken bereits realisiert. Die bisher in Betrieb befindlichen Produktionsanlagen für die Bleigitter wurden mit Drehkolbengebläsen amerikanischer Fertigung ausgestattet.

Wechsel zum Aerzener ­Drehkolbengebläse
„Zunächst wollten wir in unserem Werk Hannover eine komplett neue Fertigungsstraße einschließlich eines neuen Drehkolbengebläses für die Unterdruckförderung der Stanzteile aus den USA installieren. Schließlich setzten wir jedoch eine in einem anderen US-Werk bereits vorhandene Produktionsanlage nach Hannover um - allerdings ohne das dort auch vorhandene Drehkolbengebläse. Nach der Auswertung einer Kosten-Nutzen-Analyse haben wir die neue Fertigungsstraße Anfang 2010 mit einem Drehkolbengebläse der Baureihe Delta Blower Generation 5 der Aerzener Maschinenfabrik in Betrieb genommen", erklärt Ahmad Abu-Shaqra.
Die Aerzener Maschinenfabrik baut seit 1868 ölfrei verdichtende Drehkolbengebläse. Mit der aktuellen Generation 5 bietet die Aerzener Maschinenfabrik dem Betreiber jetzt noch weitergehende Vorteile:

  • einfache Bedienung und Wartung ausschließlich von der Frontseite; Ölstandskontrolle durch ein von außen sichtbares Schauglas;
  • platzsparende Side-by-Side-Aufstellung direkt nebeneinander ohne Zwischenräume;
  • Belüftung aller Anlagen mit Schallhaube durch mechanischen Lüfter auf der Gebläsewelle ohne zusätzlichen Elektromotor;
  • um durchschnittlich ca. 6 bis 8 dB(A) gesenkter Geräuschpegel;
  • kein schalldämmendes Adsorptionsmaterial dank intensiver Luftumlenkungen im Grundträger;
  • ATEX-Ausführung optional lieferbar.

Das Aerzener Drehkolbengebläse ist in die Gesamtanlage nach folgendem Konzept eingebunden: Die in der Stanze anfallenden Abfälle gelangen in eine ca. 50 m lange Saugleitung und werden dann über einen Abscheider dem Schmelzprozess wieder zugeführt. Hinter dem Abscheider ist das Drehkolbengebläse zur Erzeugung des Unterdrucks installiert. Dieses Gebläse wurde über die Firma Georg Stein Process Equipment, Spezialist für pneumatische Förderung mit Sitz in Melle, bezogen. Mit dieser Lösung wurde das bisherige Verfahren der pneumatischen Saugförderung beibehalten, die physikalischen Rahmenbedingungen der Saugpneumatik wurden bis an die Grenze des Möglichen verbessert und die Produktionsbedingungen an deutsche Vorschriften angepasst. „Durch diese Maßnahmen konnte für die Saugpneumatik eine optimale Funktionssicherheit garantiert werden", berichtet Georg Stein. Dank des unkomplizierten Aufbaus des Gebläses beschränkt sich dessen kontinuierliche Überwachung auf die Kontrolle des Unterdrucks und des Filters. Erforderliche vorbeugende Wartungsarbeiten werden in speziellen Wartungsschichten durchgeführt.

Saugen oder Drücken
Georg Stein empfahl zwar im Gegensatz zur wiederum realisierten Saugpneumatik zunächst das absolut sichere Verfahren der Druckpneumatik, bei dem die Stanzabfälle nicht zur Schmelze zurückgesaugt, sondern mit Überdruck dorthin zurückgeblasen werden. Dieser Vorschlag wurde jedoch nicht realisiert, weil die bei der Herstellung der Bleigitter anfallenden Stanzabfälle in allen weltweit 19 Anlagen von Johnson Controls zur Produktion von Automobil-Starterbatterien ausschließlich mit Unterdruck zur Schmelzstation zurück transportiert werden. Als Grund nennt Ahmad Abu-Shaqra die Erwartungshaltung der multinationalen Kunden. Sie sehen in weltweit einheitlichen Fertigungsverfahren eine unverzichtbare Voraussetzung für einheitlich hohe Qualitätsstandards der Endprodukte. Außerdem erfolgte die Umsetzung der neuen Lösung in Hannover unter einem engen Zeitlimit, so dass zusätzliche Überlegungen für einen Umstieg vom Unterdruck- auf den Überdruck-Transport nicht durchgeführt werden konnten.
Für eine zusätzliche, für 2011 geplante Produktionsstraße in Hannover wird jedoch zusammen mit Georg Stein geprüft, ob der Transport der Stanzabfälle in Zukunft nicht doch von der bisherigen Saug- auf die absolut sichere Druckpneumatik umgestellt werden sollte. Als gravierenden Vorteil der Druckpneumatik nennt Spezialist Stein den deutlich höheren Druckunterschied. Mit einer Saugpneumatik kann ein maximaler Druckunterschied von nur 0,5 bar überbrückt werden. Dagegen lässt sich bei der Druckpneumatik im Bereich der Drehkolbengebläse eine Druckdifferenz von max. 1 bar überbrücken.
Durch diesen doppelt so hohen Druckunterschied hat sich die Druckpneumatik nach den langjährigen Erfahrungen von Georg Stein als der absolut sichere Weg für die pneumatische Förderung von Gütern bewährt. Aktuell wird mit dem bei Johnson Controls in Hannover realisierten Fördersystem mit 0,5 bar Unterdruck eine maximale Förderkapazität von 10,8 t/h erreicht.

Entscheidung für Aerzen
Der erste Kontakt zur Aerzener Maschinenfabrik entstand vor Jahren durch einen Teilnahme eines Mitarbeiters von Johnson Controls an einer Veranstaltung über Aerzener Vordruckverdichter. Einer Besichtigung des Werkes in Aerzen folgte die Besichtigung einer Referenzanlage bei einem Betreiber. „Die Laufruhe dieser Anlage, die Besichtigung der Produktionsanlagen in Aerzen und die äußerst sorgfältige Montage haben uns beeindruckt. Wir erlebten die Aerzener Maschinenfabrik als kompetenten, verantwortungsbewussten Hersteller mit einer langjährigen erfolgreichen Unternehmensgeschichte. In diese Vorgespräche war Georg Stein bereits eingebunden. Daraus entstand eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit", versichert Ahmad Abu-Shaqra.
Anschließend wurde aus vorgegebenen Rahmenparametern im engen Schulterschluß zwischen Johnson Controls, der Aerzener Maschinenfabrik und Georg Stein das Konzept für den Transport der Stanzabfälle entwickelt. Vorgegeben waren die Zahl der Hübe pro Zeiteinheit, das zu transportierende Material, dessen Größe und Gewicht. Bei der Auslegung des zu installierenden Gebläses mussten zusätzlich die Besonderheiten der Transportleitung (Länge und Form der Leitung, Beschleunigungsstrecke, Zahl der Rohrbögen, Höhendifferenz zwischen Eintrags- und Austragsstelle) berücksichtigt werden. Nach der Ermittlung des optimalen Rohrquerschnitts und der idealen Luftströmung wurde das entsprechende Drehkolbengebläse aus der Aerzener Baureihe Delta Blower Generation 5 ermittelt.
Das neue Gebläse arbeitet trotz der Installation auf einer ca. 6 m hohen Stahlkonstruktion dank der sehr guten Schalldämmung extrem leise und ohne Schwingungsübertragungen.

Zukunftspläne
„Mit der jetzt realisierten Lösung liegen wir zwar an der Grenze des physikalisch Machbaren. Wir befinden uns aber immer noch auf der sicheren Seite und das Unterdruck-Transportsystem arbeitet seit seiner offiziellen Inbetriebnahme im Januar 2010 einwandfrei. Wir erweitern unsere Produktionsanlagen weltweit. Deshalb wurde unsere neue Anlage in Hannover inzwischen schon mehrfach von Konzern-Mitarbeitern aus anderen Ländern besichtigt. Sie waren beeindruckt von dem zusammen mit der Aerzener Maschinenfabrik und Georg Stein realisierten Gesamtkonzept. Auf der Basis unserer bisher schon gewonnenen Erkenntnisse prüfen wir jetzt bereits sehr intensiv die Möglichkeit, diese Unterdruck-Technik künftig durch die Überdruck-Pneumatik zu ersetzen, bei der wir dann ebenfalls wieder Drehkolbengebläse aus Aerzen einsetzen wollen. Bei diesen Überlegungen werden wir wieder den großen Erfahrungsschatz von Georg Stein bei der pneumatischen Förderung nutzen", prognostiziert Projekt-Manager Abu-Shaqra.