New Business Development auf dem Prüfstand
Fünf Fragen, über die es sich nachzudenken lohnt
Die chemische Industrie sieht sich durch zunehmende Globalisierung, Verkürzung von Produktlebenszyklen und zunehmende regulatorische Rahmenbedingungen einem immer stärkeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Zur nachhaltigen Entwicklung setzen viele Firmen daher neben etablierten Bereichen wie F&E und Innovationsmanagement in den letzten Jahren vermehrt auf New Business Development (NBD). Obwohl es für NDB keine einheitliche Definition gibt, handelt es sich meist um die Neu- oder Weiterentwicklung von Aktivitäten entlang der gesamten betrieblichen Wertschöpfungskette bis hin zur Neuorientierung des Geschäftsmodells.
Aber wie gut funktioniert das in der Praxis? Lassen Sie uns gemeinsam hierzu über ein paar Fragen nachdenken.
Frage 1:
Ist New Business Development neu?
Die chemische Industrie sieht sich seit jeher als Innovationstreiber. Das betrifft nicht nur neue Stoffe und Verfahren, die Neuentwicklungen in nachgelagerten Schritten der Wertschöpfungskette stimulieren. Auch die chemische Industrie selber hat immer wieder gezeigt, dass Geschäftsmodelle innovativ und erfolgreich transformiert werden konnten.
Was also ist wirklich neu an New Business Development? Hat die chemische Industrie diese Aktivität nicht eigentlich immer schon betrieben? Welche Vorteile birgt die Bündelung von NBD-Aktivitäten in einem eigenständigen Funktionsbereich jenseits von Synergieeffekten und externer Sichtbarkeit? Oder reden wir hier über „alten Wein in neuen Schläuchen"?
Frage 2:
Warum ist Chemie nicht innovativ?
Die chemische Industrie sieht sich seit jeher als Innovationstreiber. Externe Betrachter sind hier zum Teil anderer Meinung. In einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group (BCG) schaffen es nur zwei Chemieunternehmen in die Top 50 der weltweit innovativsten Unternehmen. Und belegen dabei auch nur die Plätze 45 und 48. Sollten Innovationstreiber nicht besser dastehen? Oder wird der Einfluss von Innovationsimpulsen der chemischen Industrie in weiterverarbeitenden Branchen nicht ausreichend gewürdigt? Auch Unternehmensberater dürfen sich ja einmal irren.
Aber wie ist es zu bewerten, wenn selbst Manager aus der chemischen Industrie selber zugeben, dass ein „Return on Innovation" in ihren Unternehmen nicht bekannt ist? Wenn selbst die Frage danach, ob sich Innovationen eigentlich lohnen, nicht quantitativ beantwortet werden kann? Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine jüngst veröffentlichte Studie von Wolfram Keller Management Consulting und K3 Management Partners. Und welches Ergebnis würden wir eigentlich erhalten, wenn wir den - vermutlich ebenfalls nicht bekannten - „Return on New Business Development" messen würden?
Frage 3:
Wie gut funktioniert NBD?
New Business Development wird in der chemischen Industrie ganz unterschiedlich gehandhabt und betrieben. Das fängt schon bei der Organisation an: In einigen Unternehmen wird NBD geschäftsbereichsübergreifend betrieben, in anderen hingegen ist NBD einem Geschäftsbereich oder sogar einem Funktionsbereich innerhalb dieses Geschäftsbereichs (z.B. Marketing) hierarchisch zugeordnet. Welche Auswirkungen diese unterschiedlichen Organisationsformen auf die Vitalität von NBD-Aktivitäten haben, ist nicht bekannt.
Auch die oft zitierte Unternehmenskultur spielt vermutlich eine wichtige Rolle bei der Umsetzung in die Praxis. Beobachten Sie doch z.B. einmal, wie Ihr Unternehmen eigentlich mit neuen Ideen umgeht. Inwiefern ist Ihr Umfeld überhaupt bereit, sich eine neue Idee anzuhören oder sogar darüber zu diskutieren? Oder ernten Sie bei neuen Ideen eher Schweigen und Gleichgültigkeit?
Und warum müssen sich eigentlich so viele Unternehmen bei Themen wie Innovation oder New Business Development Expertise von außen holen? Schon eine kurze Internetrecherche zeigt uns doch unzählige „praxisnahe", „anwendungsorientierte" und „vielfach erprobte" Rezepte mit „Erfolgsgarantie". Mal im Ernst: Für die meisten der dort aufgeführten Ideen und Konzepte brauchen Unternehmen doch keine externe Unterstützung, oder? Und wenn doch: Hilft uns diese externe Unterstützung dann auch wirklich, die internen Hürden nachhaltig zu umschiffen?
Frage 4:
Können Chemiker NBD?
Welche Kenntnisse und Fähigkeiten brauche ich eigentlich als Mitarbeiter, um New Business Development erfolgreich betreiben zu können? Experten aus der Industrie betonen hier immer wieder die zentrale Bedeutung interdisziplinärer Kompetenzen. Dabei scheinen sich chemisches Fachwissen und betriebswirtschaftliches Denken, gepaart mit einer kommunikationsstarken Persönlichkeit als zentrale Elemente eines „idealen NBD-Mitarbeiters" herauszukristallisieren.
Neu ist das nicht. Robert Cooper, der Vater des „Stage-Gate-Prozesses", bemerkte schon 1975, dass viele Projekte im Bereich der Neuentwicklung von Produkten gerade durch unzureichende Analysen in „marktnahen Aktivitäten" (z.B. Anfertigung einer Marktanalyse oder Erstellung eines Businessplans) scheitern. Das sind interessanterweise genau die Bereiche, in denen die vielbeschworenen „interdisziplinären Kompetenzen" eigentlich zum Tragen kommen sollten. Man mag argumentieren, dass Cooper nur von „neuen Produkten" gesprochen hat, aber wer garantiert uns, dass bei „neuen Geschäftsfeldern" im New Business Development nicht ähnliche Herausforderungen auf uns lauern?
Gut zwanzig Jahre nach Cooper schreckte dann Prof. Erich Staudt mit seinem Buch „Chemiker: Hochqualifiziert aber inkompetent?" auf. Seine Untersuchungen (basierend auf Umfragen in der chemischen Industrie) attestierten Absolventen von Chemie-Studiengängen u.a. auch mangelnde Interdisziplinarität und zu wenig unternehmerisches Denken beim Eintritt in die Praxis. Inwiefern die seit Mitte der 1990er-Jahre erfolgte Entwicklung der Wirtschaftschemie-Studiengänge in Deutschland dies nachhaltig verändert hat, ist nicht bekannt. Experteninterviews der Hochschule Fresenius mit Unternehmen der chemischen Industrie zufolge hat sich aber auch knapp 40 Jahre nach Cooper trotz all unserer Bemühungen das Bild des zwar fachlich hervorragend ausgebildeten aber interdisziplinär wenig bewanderten Chemieabsolventen leider nicht grundsätzlich geändert. Was können und sollten Universitäten und Hochschulen also tun, um ihren Beitrag zur Entwicklung der chemischen Industrie zu verbessern?
Frage 5:
Engt die Bürokratie zu sehr ein?
Wirft man einen Blick in aktuelle Studien zur Situation und zur Perspektive der chemischen Industrie in Deutschland, dann trüben zahlreiche Wolken im bürokratischen Himmel das Bild: Rohstoffkostennachteil (Stichwort: US-Schiefergas-Boom), steigende Energiekosten (Stichwort: EEG-Umlage), zunehmender bürokratischer Aufwand (Stichwort: REACh-Verordnung) und sogar der Verlust an Innovationskraft (Stichwort: Abnehmender Anteil Deutschlands an internationalen Patentanmeldungen in der Chemie).
Was kann ein noch so intelligent ein- und umgesetztes New Business Development zur künftigen Entwicklung von Unternehmen und einer ganzen Branche beitragen, wenn die politischen Rahmenbedingungen irgendwann zu eng gefasst werden? Welche Impulse benötigt die Chemiebranche von der Politik, um auch langfristig beweglich zu bleiben?
Antworten auf Fragen suchen statt geben
Diese fünf Fragen gehen mir durch den Kopf, wenn ich über New Business Development nachdenke. Und sie sind sicherlich nicht die einzigen, geschweige denn für alle Unternehmen die wichtigsten. Die Antwort auf die Fragen habe ich nicht. Ich würde sie auch gar nicht geben wollen. Irgendwie habe ich Angst davor, dass dann wieder oberflächliche Kochrezepte herauskommen, mit denen man in der Praxis nachher doch nichts anfangen kann. Und irgendwie habe ich Angst davor, dass ich New Business Development dann als „verstanden" abhaken würde, um schnell wieder zur Tagesordnung überzugehen. Ich glaube, das Thema ist gerade wegen all der offenen Fragen zu wichtig, um schnell übergangen werden. Lassen Sie uns gemeinsam über die Fragen nachdenken und diskutieren. Diese Reise wird spannend, erkenntnisreich und lohnt sich - für New Business Development!
New Business Development
7. bis 8. September 2015, Idstein
GDCh-Kurs: 420/15
Leitung: Prof. Thorsten Daubenfeld und Prof. Klaus Griesar
Weitere Informationen und Anmeldung über:
Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), Fortbildung
Tel.: +49 69 7917 291 oder +49 69 7917 364
www.gdch.de/fortbildung
Kontakt
Hochschule Fresenius gem. GmbH