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Nationale Wasserstoffstrategie - Fahrplan für die Energiezukunft

Die nationale Wasserstoffstrategie will Wasserstoff als Dekarbonisierungsoption etablieren

12.08.2020 - Wasserstoff hat als zukünftiger Energieträger das Potenzial, unser gesamtes Energiesystem nachhaltig zu verändern.

Wasserstoff hat als zukünftiger Energieträger das Potenzial, unser gesamtes Energiesystem nachhaltig zu verändern. Die Bundes­regierung möchte das Thema mit der neuen nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) nicht nur konzertiert unter Einbeziehung aller beteiligten Ministerien angehen, sondern auch im engen Kontakt mit Wirtschaft und Wissenschaft. Wie ist die nationale Wasserstoffstrategie fachlich-wissenschaftlich einzuordnen?

Wasserstoff ist ein extrem vielfältiger Energieträger: In Mobilitätsanwendungen wird die Effizienz des elektrischen Antriebs mit der hohen Reichweite eines stofflichen Energieträgers kombiniert. Ein Beitrag in der Wärmeversorgung kann z. B. durch Beimischung in das Erdgasnetz geleistet werden und als Gas gespeichert kann Wasserstoff für die Stromerzeugung zur Verfügung stehen. Für die energieintensive Grundstoffindustrie eröffnen sich Optionen in der Bereitstellung von Hochtemperaturwärme ebenso wie in Formen der nicht-energetischen Nutzung, z. B. als Reduktionsmittel oder als Grundstoff für eine alternative Rohstoffversorgung in der Chemieindustrie. In einigen Bereichen, wie der Chemieindustrie und der Stahlindustrie, ist Wasserstoff langfristig nahezu alternativlos und daher ist der Fokus auf die industrielle Nutzung in den Grundstoffindus­trien, speziell auch der chemischen Industrie, ausdrücklich zu begrüßen.

Diese Vielfältigkeit ist aber auch die größte Herausforderung. Nach welchen Kriterien wird Wasserstoff, insbesondere grüner Wasserstoff genutzt?

Im Kontext der NWS wird hierunter nur Wasserstoff verstanden, der unter Einsatz erneuerbarer Ener­gien bereitgestellt wird; er wird in das Zentrum der Überlegungen gestellt. Aufgrund des hohen Aufwands in der Herstellung wird grüner Wasserstoff aber absehbar ein knappes Gut bleiben. Diese Fokussierung, geprägt von der Debatte um ­„Lock-ins“ in fossile Technologien, birgt die Gefahr, das Potenzial für eine frühzeitige Wasserstoffnutzung nicht im nötigen Umfang zu adressieren.

Wasserstoff wird zu einem wichtigen Handelsgut innerhalb Europas werden, dessen Herkunft nachverfolgbar sein muss.

Kurt Wagemann, Geschäftsführer, Dechema

Grüner Wasserstoff wird absehbar mittelfristig bis vielleicht sogar langfristig deutlich teurer sein als andere technologische Optionen wie blauer oder schwarzer Wasserstoff entsprechend der heutigen Farbenlehre. Bei der sehr günstigen Annahme von einem Strompreis für den erneuerbaren Strom von 4 ct/kWh lägen die Grenzkosten für grünen Wasserstoff bei rund 2,20 EUR/kg.

Dem steht auf Erdgasbasis produzierter Wasserstoff mit einem heutigen Preis von 1,50–2,00 EUR/ kg gegenüber. Vor diesem Hintergrund ist zu bedenken, dass sich die Grundstoffindustrien durch einen sehr hohen Energiebedarf für die chemischen Umwandlungen auszeichnen, gleichzeitig aber auch durch eine relativ geringe Wertschöpfung pro eingesetzter Einheit Energie. Dies hat zur Folge, dass in diesen besonders kostensensitiven Bereichen, die auch im internationalen Wettbewerb stehen, erhöhte Rohstoffkosten die Implementierung neuer Technologien verzögern, ebenso wie den notwendigen Ausbau der Infrastrukturen. Daher besteht die zentrale Herausforderung darin, die Kosten für grünen Wasserstoff sehr schnell und substanziell gegenüber dem aktuellen Kostenniveau abzusenken.

Hinzu kommt, dass absehbar nicht ausreichend heimischer grüner Wasserstoff verfügbar sein wird: Am Beispiel eines – noch hypothetischen – Elektrolyseurs von 1 GW Leistung sei dies veranschaulicht. Bei 4.000 Volllaststunden (Off-Shore-­Windpark) und einer Effizienz von 70 % produziert er aus 4 TWh Strom ca. 71,5 kt Wasserstoff. Daraus können zusammen mit CO2 über den Fischer-Tropsch-Prozess 167 kt synthetisches Naphtha oder mit Wasserstoff als Reduktionsmittel 1,3 Mio. t Roheisen hergestellt werden. Aktuell wird in Deutschland von der Chemieindustrie rund die 100-fache, in der Stahlindustrie rund die 22-fache Menge produziert. Daher würde sich aus der Chemie- und Stahlindustrie unter dieser vereinfachten Rechnung ein Bedarf von 122 GW Elektrolyseurleistung ableiten, mit 500 TWh erneuerbarem Strom – also ungefähr der Menge, die aktuell von erneuerbaren Energien im Stromsystem bereitgestellt wird (452 TWh im Jahr 2019).

Importe aus einer Produktion an begünstigten Standorten werden daher notwendig sein. Diese sollten im Kontext einer vertrauensvollen Zusammenarbeit und in Rücksichtnahme auf die energie- und entwicklungspolitischen Ziele der Exportländer entwickelt werden. Derzeit werden bspw. Länder wie Marokko, Chile oder Australien diskutiert und erste Verhandlungen wurden aufgenommen.

In die gleiche Richtung denkt auch die neue europäische Wasserstoffstrategie, die 40 GW installierte Elektrolyseurleistung bis 2030 in der EU und weitere 40 GW außerhalb der EU vorsieht.

Die NWS will Wasserstoff als Dekarbonisierungsoption über einen Leitmarkt etablieren. Dies ist aufgrund der kurzen Zeit und der stark bevorzugten Nutzung von grünem Wasserstoff anspruchsvoll. Es ist zu erwarten, dass sich ein europäischer Binnenmarkt für Wasserstoff etablieren wird und sich damit die deutsche NWS in einen europäischen Kontext einordnen wird. Wasserstoff wird zu einem wichtigen Handelsgut innerhalb Europas werden, dessen Herkunft aber nachverfolgbar sein muss; es wird eines Quellennachweises bedürfen.

Aufgrund des hohen Aufwands in der Herstellung wird grüner Wasserstoff absehbar ein knappes Gut bleiben.

Florian Ausfelder, Sprecher „Energie und Klima“, Dechema


Für eine erfolgreiche Implementierung bedarf es einer Förderung von Forschung und Entwicklung (F&E) für das Scale-up der Elek­trolyseure bis in den GW-Bereich und Investitionsmittel für den Roll-out der Elektrolysekapazitäten. Zentral wird aber sein, zu welchen Kosten der Wasserstoff nachher zur Verfügung steht und ob dies im Vergleich zu den Alternativen wettbewerbsfähig ist. Hier sind noch beträchtliche Herausforderungen zu meistern, sowohl im notwendigen zusätzlichen Ausbau der erneuerbaren Energien, den Kosten für grünen Strom und dem Umbau der Prozessketten.

Deutschland ist aktuell im Bereich F&E sehr gut dabei. Es ist ein starkes Engagement sowohl der industriellen Endanwender als auch im Anlagenbau zu beo­bachten. In diesem Sinne werden von der NWS wichtige Impulse für die weitere Entwicklung ausgehen. Hierbei müssen aber im industriellen Umfeld die Chancen einer Zusammenarbeit stärker wahrgenommen werden und es gilt, die akademische Community hinsichtlich der industriellen Herausforderungen zu sensibilisieren. Nur dann lassen sich, ausgehend von einer frühzeitigen Zusammenarbeit in F&E-Projekten über Branchengrenzen hinweg, gemeinsam die Herausforderungen erfolgreich meistern. Im Rahmen der Forschungsoffensive sind auch große Forschungsvorhaben unter der Überschrift „Wasserstoff in der Stahl- und Chemieindustrie“ als zukunftsweisende Angebote angekündigt, um Klimaneutralität zu erreichen. Damit sollen frühzeitig relevante Prozesse adressiert werden, um sie zukunftsfähig und nachhaltig zu gestalten.

Zur Person

Kurt Wagemann ist seit 1989 für die Dechema tätig. 2010 übernahm er die Position des Geschäftsführers. Wagemann leitet den wissenschaftlichen Beirat Energie am Karlsruher Institut für Technologie. Außerdem ist er einer der Koordinatoren des Kopernikus-Projektes Power-2-X, einer Forschungsinitiative des BMBF. Wagemann studierte Chemie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und promovierte am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Seit 2011 ist er Honorarprofessor der Universität Stuttgart.

Zur Person

Florian Ausfelder trat 2007 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungs- und Projektkoordination in die Dechema ein. Seit 2017 ist er Teamleiter und Themensprecher für den Bereich „Energie und Klima“. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Transformation der Chemie­industrie im Kontext der Energiewende. Ausfelder hat Chemie an der Technischen Universität Karlsruhe und an der University of Edinburgh studiert und 2002 in Edinburgh in physikalischer Chemie promoviert.

Kontakt

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