Nachhaltige Biotechnologie
02.04.2013 -
Nachhaltige Biotechnologie – „Entwicklungspromotor": Alternative zu integriertem Geschäftsmodell. Der Abstand zwischen den USA und Deutschland hat sich in den letzten Jahren infolge einer dynamischen Entwicklung auf beiden Seiten des Atlantiks nicht verringert.
Bei insgesamt günstigen Umfeldbedingungen und Standortfaktoren stagniert die Anzahl der deutschen Biotechnologie-Unternehmen bereits seit mehreren Jahren.
Gleichzeitig droht infolge der Entwicklungsfortschritte von Biotechnologie-Unternehmen eine Übernahmewelle durch große Pharmaunternehmen. Wie nachhaltig ist eine eigenständige Biotechnologie in Deutschland? - Droht ein Ausverkauf der deutschen Biotechnologie-Unternehmen an „Big Pharma"?
Attraktive Biotechnologie-Unternehmen im Visier von Pharmaunternehmen Neben der aktuellen Diskussion über Elitehochschulen, Übernahmen von Pharmaunternehmen und die am 1. April 2007 in Kraft getretene Gesundheitsreform ist es momentan um deutsche Biotechnologie-Unternehmen vergleichsweise still geworden.
Trotz der Förderung einer stärkeren Clusterbildung besteht weiterhin ein diffuses Bild von der Nachhaltigkeit der medizinischen Biotechnologie in Deutschland. Fragen nach der Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den USA werden dabei ebensogestellt, wie die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells der Biotechnologie-Unternehmen diskutiert wird (Abb. 1).
So ist mit Actelion lediglich ein deutsches Unternehmen unter den Top-20 der weltweit führenden Biotechnologie-Unternehmen vertreten - inzwischen hat sich mit Merck nach der Akquisition von Serono ein zweites deutsches Unternehmen hinzugesellt.
Selbst wenn deutsche Biotechnologie-Unternehmen sich künftig erfolgreich in Richtung der Top-20 entwickeln sollten, so stellen Übernahmen wie beispielsweise die von Celltech, Chiron und Cambridge Antibody Technologies durch große Pharmaunternehmen wie UCB, Novartis und AstraZeneca die Nachhaltigkeit einer eigenständigen deutschen Biotechnologie in Frage.
Infolge der ungenügend gefüllten Forschungspipeline und auslaufender Produktpatente wächst der Druck auf etablierte Pharmaunternehmen, entfallende Umsätze und Margen durch Lizenznahmen und Akquisitionen attraktiver Projekte und Unternehmen zu kompensieren.
Demzufolge werden sämtliche Biotechnologie-Unternehmen weltweit auf die Attraktivität ihres Projektportfolios und Akquirierbarkeit geprüft.
Bisheriges integriertes Geschäftsmodell für Biotechnologie-Unternehmen hoch riskant
Beflügelt durch den Erfolg von Amgen oder Biogen Idec ver folgt die überwiegende Zahl der Biotechnologie-Unternehmen die Etablierung eines integrierten Geschäftsmodells. Dieses beinhaltet die eigenverantwortliche Erforschung, Entwicklung, Zulassung sowie Vermarktung und den Vertrieb eigener Produkte.
Ohne Zweifel steigt der Wert erfolgreich entwickelter Projekte nahezu exponentiell mit der Entwicklungsphase – das gilt aber auch für Kosten, Risiken und Komplexität. Die Biotechnologie-Unternehmen sind bei limitierter Kapitalausstattung und hohem Kapitalbedarf von risikoadjustiert mehr als 800 Mio. € bis zur erfolgreichen Markteinführung eines Produkts jedoch gezwungen, sich auf ein oder wenige Projekte zu beschränken.
Der Ausfall hoffnungsvoller Projekte infolge unterschätzter Ausfallrisiken sowie Finanzierungsengpässe hat zahlreiche Biotechnologie-Unternehmen ihrer Perspektive und Nachhaltigkeit beraubt.
Unternehmensaufgaben, ungeplante Lizenzerteilungen und der Verkauf der Unternehmung waren die Folgen. Zudem waren zahlreiche Unternehmen mit dem Aufbau der erforderlichen Organisation in einem anspruchsvollen, hoch regulierten Marktumfeld mit hoher Wettbewerbsintensität parallel zur anspruchsvollen Projektbearbeitung überfordert.
Daher erscheint die Verfolgung des Geschäftsmodells eines „Integrierten Unternehmens" riskant und ist auf Dauer von geringer Robustheit und Nachhaltigkeit.
„Entwicklungspromotor" als robustere und nachhaltigere Alternative
Im Gegensatz zu etablierten, großen Pharmaunternehmen scheint die Zusammenarbeit von Biotechnologie-Unternehmen mit Ideen liefernden Wissenszentren deutlich besser zu gelingen.
Faktoren wie starke Spezialisierung, hohe Flexibilität, schnelle Entscheidungsfindung und enge räumliche Nähe sprechen für eine höhere Affinität zwischen Wissenszentren und Biotechnologie-Unternehmen.
Hierdurch entsteht ein wesentlicher strategischer Wettbewerbsvorteil in der Konkurrenz um Ideen zwischen Biotechnologie-Unternehmen und den großen Pharmaunternehmen.
Während die großen Pharmaunternehmen in der späten Entwicklung und Zulassung sowie in der Vermarktung und im Vertrieb strategische Wettbewerbsvorteile aufweisen, besitzen die Biotechnologie-Unternehmen diese an der Schnittstelle zur Wissenschaft.
Daher bietet sich das Geschäftsmodell des „Entwicklungspromotors" für Biotechnologie-Unternehmen als Alternative zum „Integrierten Unternehmen" an (Abb. 2).
Ein „Entwicklungspromotor" arbeitet zusammen mit Wissenszentren auf ausgewählten, klar definierten, aussichtsreichen Forschungsfeldern.
Entstehende Forschungsideen werden bis zum Ende der Phase I entwickelt, um sie sodann an große Pharmaunternehmen oder bestehende integrierte Biotechnologie-Unternehmen zu lizenzieren oder zu veräußern.
Da die großen Pharmaunternehmen fast ausnahmslos auf absehbare Zeit auf Drittprojekte angewiesen sein werden, existiert eine nachhaltige Konkurrenzsituation um attraktive Entwicklungsprojekte zu hohen Preisen.
Im Gegensatz zu „Integrierten Unternehmen" sind daher die Kernkompetenzen des „Entwicklungspromotors" auf einige wenige Wertschöpfungsschritte fokussiert.
Wesentliche Kernkompetenzen sind das Screening und Scouting attraktiver Ideen, ein professionelles Management der Entwicklungsprojekte und des Projektportfolios sowie das Verhandlungs- und Vertragsmanagement mit großen Pharmaunternehmen.
Im Gegensatz zu den „Integrierten Unternehmen" sollte die Projektpipeline der „Entwicklungspromotoren" eine größere Zahl von (möglichst) fünf bis zehn Projekten aufweisen.
Neben der deutlich stärkeren Streuung der Risiken über mehrere Projekte besteht bei dem Geschäftsmodell des „Entwicklungspromotors" eine deutlich geringere strategische und finanzielle Abhängigkeit von einem einzelnen Projekt, so dass dieses Geschäftsmodell eine deutlich höhere Robustheit und Nachhaltigkeit im Vergleich zum „Integrierten Unternehmen" verspricht.
Da der Erfolg des Modells auf der Fortführung einer funktionierenden Schnittstelle gegenüber den Wissenszentren basiert, sollte es gleichzeitig einen stärkeren Schutz vor Übernahmen durch große Pharmaunternehmen bieten (Abb. 3).
„Entwicklungspromotoren" erhöhen Nachhaltigkeit der Biotechnologie in Deutschland
Trotz einer starken Intensivierung der Anstrengungen der Universitäten sowie öffentlicher und privater Transferagenturen wird das Ideenpotential deutscher Hochschulen bislang immer noch nicht vollständig ausgeschöpft.
Umgekehrt war auch aufgrund der horizontalen Ausrichtung integrierter Biotechnologie-Unternehmen deren Nachfrage nach entwicklungsfähigen Ideen in Richtung der Wissenszentren bislang begrenzt.
Sollten sich die Biotechnologie-Unternehmen stärker als „Entwicklungspromotoren" begreifen, so sollte dies zu einer deutlichen Vitalisierung der Schnittstelle zwischen Wissenszentren und Unternehmen über das heute erreichte Maß hinaus führen.
Wie eine aktuelle Auswertung des Themenportfolios der medizinischen Biotechnologie zeigt, entstehen in einer Reihe von Feldern jedes Jahr zahlreiche patentierte Ideen.
So ist im Zeitraum von 2000 bis 2004 die Zahl der Patente beispielsweise für Impfstoffe, Diagnose und Therapie von Krebs, Stammzellen, rezeptorverändernde Substanzen, Antikörper, Inhibitoren und Antagonisten um mehr als 10 % pro Jahr gewachsen.
Der relative Marktanteil Deutschlands an den Patentanmeldungen lag in diesem Bereich bei einem Wert von durchschnittlich etwa 0,25. Damit verfügte Deutschland über 25 % der Patentanmeldungen des stärksten Wettbewerbers.
Wenngleich diese Zahl klein erscheinen mag, so liegt sie dennoch deutlich höher als der relative Anteil der deutschen Forschungsaufwendungen oder der relative Anteil deutscher Biotechnologie-Unternehmen am Gesamtumsatz oder Kapitalwert aller Biotechnologie-Unternehmen (Abb. 4).
Die Zusammenarbeit der deutschen „Entwicklungspromotoren" ist nicht notwendigerweise auf die Zusammenarbeit mit deutschen Wissenszentren beschränkt. Vielmehr sollten sie weltweit nach attraktiven Entwicklungsprojekten suchen und internationale Partnerschaften knüpfen.
Allerdings lassen sich die vorstehend genannten strategischen Wettbewerbsvorteile primär mit deutschen Wissenszentren ausspielen. Zusammenfassend gesehen sind die stärkere Ausrichtung der Biotechnologie-Unternehmen auf ein Geschäftsmodell als „Entwicklungspromotor" und eine weitere Intensivierung der Schnittstelle zwischen Biotechnologie-Unternehmen und Wissenszentren zwei wesentliche Hebel, um die Position und Perspektiven der deutschen Biotechnologie-Unternehmen zu verbessern.
Innerhalb der mittlerweile wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen und Standortfaktoren bietet sich damit für Deutschland und seine Biotechnologie-Unternehmen die Chance, ungeachtet der starken Konkurrenz insbesondere durch USamerikanische Unternehmen nachhaltig an den Chancen der Biotechnologie zu partizipieren.
Kontakt: Dr. Thomas Röhm
Dr. Frank Bressau
Dr. Axel Heinemann
The Boston Consulting Group, München
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