Mittelstand – Mit Innovation punkten, Nischen besetzen
Bleibt Deutschland ein attraktiver Standort für die mittelständische Chemieindustrie?
Rund 2.000 Unternehmen in Deutschland gehören zur chemischen Industrie, ein Großteil davon sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU) - also Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten. Viele der Unternehmen sind inhabergeführt und blicken auf eine lange Tradition zurück. Dr. Andrea Gruß befragte Reinhold von Eben-Worlée, Vorsitzender des Ausschusses Selbständiger Unternehmer im Verband der Chemischen Industrie, zu den Strategien des Mittelstands vor dem Hintergrund eines zunehmenden internationalen Wettbewerbs.
CHEManager: Die deutsche Chemieindustrie hat im Jahr 2014 193,6 Mrd. Mrd. EUR erwirtschaftet. Welchen Betrag dazu leisten kleine und mittelständische Chemieunternehmen?
R. von Eben-Worlée: Die mittelständischen Chemieunternehmen sind eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft. Sie haben mehr als 160.000 Beschäftigte und stellen damit über ein Drittel aller Arbeitsplätze in der Chemie. Indes erwirtschaften sie rund 30% des deutschen Chemieumsatzes. Insgesamt zählen über 90% aller Chemiebetriebe hierzulande zum Mittelstand. Eine so ausgeprägte mittelständische Unternehmenskultur besitzt keine andere Chemienation auf der Welt.
Wo liegen wesentliche Unterschiede zwischen den Geschäftsmodellen der mittelständischen Chemie und der großer Chemiekonzerne?
R. von Eben-Worlée: Anders als in anderen Branchen, wie beispielsweise in der Automobilindustrie, sind die Chemiemittelständler nicht Zulieferer, sondern überwiegend Kunden der Großunternehmen. Ihre besondere Stärke liegt darin, maßgeschneiderte Produkte und Lösungen für andere Industriezweige zu entwickeln. Daher produziert der Chemiemittelstand schwerpunktmäßig Fein- und Spezialchemikalien, die in der Mitte oder am Ende der langen Wertschöpfungsketten stehen. Die Strategie heißt, durch Innovationen zu punkten und Nischen zu besetzen. Damit sind die kleinen und mittleren Chemieunternehmen sehr erfolgreich. Sie sind nicht selten Marktführer auf ihrem Gebiet - in Deutschland, in Europa und manchmal auch weltweit.
...also sogenannte „Hidden Champions"?
R. von Eben-Worlée: Ja, der Begriff „Hidden Champion" ist letztendlich ein Synonym für kaum bekannte Marktführer in speziellen Nischen. Der Chemiemittelstand zeichnet sich durch viele solcher Unternehmen aus. Die Stärke und Bedeutung des Mittelstands in Deutschland ist historisch gewachsen. Kleine und mittlere Betriebe haben häufig eine lange Tradition, in der sie zu einem spezialisierten Teil des Industrienetzwerks geworden sind. Überwiegend handelt es sich dabei um Familienunternehmen, die oftmals auch eigentümergeführt sind. Sie verfolgen eher längerfristige und nicht an den Anforderungen des Kapitalmarkts ausgerichtete Geschäftsmodelle. Unternehmerischer Weitblick und die Bereitschaft, Durstrecken durchzustehen, tragen auch zum Erfolg bei - bis zur Marktführerschaft in einem Segment und manchmal bis zur Rolle eines „Hidden Champion".
Die Branche bezeichnet sich selbst als Innovationsmotor für Deutschland. Welche Rahmenbedingungen fördern Innovation?
R. von Eben-Worlée: Die Innovationslösungen der Chemie ermöglichen anderen Industriezweigen bessere Produkte herzustellen. Das ist eine Tatsache. In keiner anderen Branche betreiben so viele Unternehmen kontinuierlich Forschung und Entwicklung. Um die Innovationsfähigkeit weiter zu fördern, ist mehr Aufgeschlossenheit von Politik und Gesellschaft für neue Technologien notwendig. Konkret würde eine steuerliche Forschungsförderung dem Mittelstand besonders helfen, bei Forschung und Entwicklung noch besser zu werden. Im Ausland funktioniert das bereits sehr erfolgreich. Die Projektförderung des Bundes ist dagegen für KMU eher ungeeignet. Das Screening der Programme ist zu aufwändig und die Antragstellung zu kompliziert. Dafür haben mittelständische Betriebe weder Zeit noch Personal.
Eine Studie von Oxford Economics machte im vergangenen Jahr auf die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands für die Chemiebranche aufmerksam. Wie bewerten Sie diesen Trend?
R. von Eben-Worlée: Die Oxford-Studie hat gezeigt, dass der Chemiestandort Deutschland im internationalen Vergleich seit längerer Zeit an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Das wird an seinem schwindenden Anteil am globalen Exportmarkt deutlich. Dieser Trend hat sich seit 2008 sogar noch verstärkt. Und auch bei den Investitionen zeigt sich ein ähnlich beunruhigendes Bild: Während die USA und China von 2008 bis 2013 ihre Investitionen nahezu verdoppelten, wuchsen sie in Deutschland kaum noch. Ökonomische und politische Faktoren spielen hier eine Rolle: Schwaches Wachstum in Europa und eine Industriepolitik in Deutschland, die den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft aus den Augen verloren hat. Der Chemiemittelstand spürt diese Entwicklungen besonders stark, weil er größtenteils in Deutschland produziert.
Welche Maßnahmen ergreifen mittelständische Unternehmen, um diesem Trend zu begegnen?
R. von Eben-Worlée: Der Mittelstand hat viele Möglichkeiten, sich an die verschlechternden Standortbedingungen in Deutschland anzupassen. Das unterstreicht eine aktuelle Befragung von VCI-Mitgliedern durch die Unternehmensberatung Wieselhuber & Partner (Anm. d. Red.: siehe Beitrag): 66% der Mittelständler versuchen, sich durch stärkere Innovationsanstrengungen einen Vorteil im Wettbewerb zu erarbeiten. 63% möchten gegenüber der Konkurrenz durch eine höhere Kundenbindung punkten - zum Beispiel durch noch mehr Kundenservice oder durch speziell auf die Kunden zugeschnittene Produkte. 65% der Unternehmen planen, in den kommenden Jahren ihre Geschäfts- und Produktionsprozesse zu optimieren, um dadurch die Effizienz zu steigern und die Ertragskraft zu erhöhen. Nahezu alle Unternehmen wollen zukünftig ihr Geschäft stärker international ausbauen - überwiegend durch Exporte, aber auch durch Vor-Ort-Produktion. Das grundsätzliche Geschäftsmodell eines Mittelständlers steht aber kaum zur Disposition. Viele Unternehmen wollen auch in Zukunft neue Geschäftsfelder erschließen, während sich kaum ein Betrieb von angestammten Geschäftsfeldern trennen möchte.
Rückläufige Investitionen im Inland werden oft im Zusammenhang mit einer abnehmenden Wettbewerbsfähigkeit des Standorts diskutiert. Auf der anderen Seite wird eine stärkere Internationalisierung des Mittelstands zur Sicherung dessen Wettbewerbsfähigkeit gefordert. Wie bewerten Sie die Entwicklung der Investitionen?
R. von Eben-Worlée: Die Studie von Oxford Economics macht eindrucksvoll klar, dass eine Wettbewerbsschwäche des Produktionsstandortes zu einer Investitionsschwäche im Inland führt und dadurch den Abwärtstrend verstärkt. Investitionen der Unternehmen im Ausland stärken hingegen die Wettbewerbsfähigkeit, wenn sie der Markterschließung dienen. Der Mittelstand hält sich hier zwar noch zurück. Die Zahl der Mittelständler mit Produktionsstätten im Ausland steigt jedoch kontinuierlich - und das ist auch gut und richtig so. Im Inland kann man derzeit nicht von einer Investitionsschwäche des Mittelstands sprechen. Die Unternehmen bekennen sich zum Standort Deutschland, und sie wollen hierzulande auch künftig investieren. Aber starkes Wachstum findet bekanntlich oft in Ländern außerhalb Europas statt. Unsere neue Umfrage hat auch ergeben, dass bei den Belastungen durch Bürokratie- und Regulierungskosten und bei den Energie- und Rohstoffkosten mittlerweile die Schmerzgrenze erreicht ist. Die Gefahr wächst, dass nach der Großchemie auch der Mittelstand Investitionen verstärkt ins Ausland verlagert.
Welche Beiträge kann die Politik leisten, um mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten?
R. von Eben-Worlée: Erstens müssen die staatlich verursachten Energiekosten runter. Die Strompreise machen dem Mittelstand schwer zu schaffen. Fast alle KMU in der chemischen Industrie zahlen die volle EEG-Umlage - 2014 fast 1 Mrd. EUR. Die jüngste Reform des EEG hat für uns statt Entlastung noch mehr Unsicherheit gebracht. Zweitens brauchen wir so schnell wie möglich eine rechtsfeste Lösung für die Erbschaftsteuer. Sie muss auch größeren Mittelständlern einen angemessenen Rahmen für die Übertragung des Betriebsvermögens an die nächste Generation unter Einhaltung festgeschriebener Beschäftigungsgarantien an die Hand geben. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Ende letzten Jahres ist der Gesetzgeber gefordert, die Verschonungsregeln so zu formulieren, dass der Übergang ohne Kapitalabfluss aus dem Unternehmen weiter möglich bleibt.