Mehr als ein Hafen
Der Hafen von Antwerpen-Brügge soll Menschen, Klima und Wirtschaft in Einklang bringen
Im April 2022 wurden die Häfen von Antwerpen und Zeebrügge vertraglich unter dem Namen Port of Antwerp-Bruges zusammengelegt. Mit einem Gesamtumschlag von 289 Mio. t/a ist der Hafen Antwerpen-Brügge eine wichtige Drehscheibe für den globalen Handel und die Industrie. Mit einem Umschlag von 147 Mio. t/a ist er außerdem der wichtigste Exporthafen Europas. 1.400 Unternehmen und das größte integrierte Chemie-Cluster Europas sind hier angesiedelt. Der Hafen sorgt direkt und indirekt für insgesamt 164.000 Arbeitsplätze und eine Wertschöpfung von 21 Mrd. EUR. Knapp ein Jahr nach der Fusion der beiden Häfen bat Birgit Megges Jacques Vandermeiren, CEO, und Tom Hautekiet, COO des Hafens Antwerpen-Brügge, um eine Bestandsaufnahme und eine Stellungnahme zu den Zukunftsplänen, insbesondere im Bereich der Energietransition.
CHEManager: Wie hat sich der Hafen von Antwerpen-Brügge im ersten Jahr nach dem Zusammenschluss entwickelt?
Jacques Vandermeiren: Im ersten Jahr der Fusion konnten wir die Wettbewerbsfähigkeit und den Mehrwert unseres vereinten Hafens im Markt, für unsere Kunden und die Unternehmen, die sich am Hafen Antwerpen-Brügge angesiedelt haben, bestätigen. Wir stehen als Welthafen natürlich im Zentrum der logistischen und geopolitischen Herausforderungen dieser Zeit. Dank der beiden komplementären Plattformen Antwerpen und Zeebrügge konnten wir unsere jeweiligen Stärken bündeln und uns so auch 2022 sehr gut halten.
Tom Hautekiet: Insgesamt ist es uns gelungen, unsere Standorte miteinander zu vernetzen und eine gemeinsame Organisationsstruktur zu etablieren. Wir haben den Schienengüterverkehr zwischen unseren beiden Standorten gebündelt. Dank des Zusammenschlusses konnten wir außerdem erreichen, dass die Mündungsschifffahrt von Zeebrügge aus auf niederländische Häfen ausgeweitet wird. Zeebrügge ist für größere Schiffe mit mehr als 2.500 t nicht über die normale Binnenschifffahrt erreichbar, daher fahren technisch verstärkte Binnenschiffe innerhalb einer Entfernung von fünf Seemeilen von der Küste. Dieses neue Abkommen sichert einen besseren Zugang zu Zeebrügge – auch vor dem Hintergrund, dass wir in den kommenden Jahren bei Kapazitätsengpässen im Containerumschlag in Antwerpen auf freie Kapazitäten in Zeebrügge ausweichen werden.
Was waren die größten Herausforderungen im Jahr 2022 für den fusionierten Hafen?
T. Hautekiet: Die Logistik- und Energieströme haben sich im vergangenen Jahr stark verändert. Die Herausforderungen waren für uns vor allem im Containerverkehr zu spüren. Die weltweit beeinträchtigte Containerschifffahrt und die daraus resultierende Überlastung mit Spitzenaufkommen und Verspätungen haben das Volumen das ganze Jahr über unter Druck gesetzt. Darüber hinaus verursachte der Krieg in der Ukraine einen Rückgang des Verkehrs mit Russland, einer unserer bisher starken Handelspartner, um 59 %. Dahingegen war bei trockenen und flüssigen Massengütern ein starkes Wachstum zu verzeichnen, insbesondere bei Kohle und LNG. Die Auslastung der LNG-Anlagen in Zeebrügge ist seit Beginn des Krieges von 10 auf 90 % gestiegen. Ein großer Teil wird nach Deutschland und in die Niederlande exportiert.
„Die Logistik- und Energieströme haben sich im vergangenen Jahr stark verändert.“
J. Vandermeiren: Nichtsdestotrotz gehen wir davon aus, dass sich auch der Containerverkehr wieder erholen und die Zahlen steigen werden. Parallel zur Umsetzung des Projekts Extra Container Capacity Antwerp, kurz ECA, arbeiten wir daher weiter an einem „Containerplan 22-30“ und investieren in strategische Infrastrukturen wie die Modernisierung des Europa-Terminals in Antwerpen sowie die „Neue Schleuse“ und die „Maritime Logistikzone“ in Zeebrügge.
Welche Projekte wurden im vergangenen Jahr bereits umgesetzt oder neu initiiert?
J. Vandermeiren: Im vergangenen Jahr sind wir bei einigen wichtigen Projekten, die bereits vor der Fusion initiiert wurden, vorangekommen. Die Umsetzung unseres NextGen Districts, der die Kreislaufwirtschaft am Standort fördern soll, ist beispielsweise beinahe abgeschlossen. Zudem sind wir der erste Hafen, der das GDP-Zertifikat – Good Distribution Practice – für den Vertrieb von Arzneimitteln eingeführt hat. Unser Team hat lange und hart darauf hingearbeitet.
T. Hautekiet: Der Hafen Antwerpen-Brügge hat außerdem die Bewilligung für 50 Mio. EUR Fördermittel der EU erhalten, um gemeinsam mit unseren Partnern Air Liquide und Fluxys CO2-Transport- und Exportanlagen zu bauen. Der „Antwerp@C CO2 Export Hub“ wird eine frei zugängliche Infrastruktur für den Transport, die Verflüssigung und die Verladung von CO2 auf Schiffe zur dauerhaften Offshore-Lagerung werden. Das an den Standorten der Industrieunternehmen im Hafen Antwerpen-Brügge abgeschiedene CO2 wird gesammelt und über ein frei zugängliches Pipelinenetz innerhalb des Hafens transportiert. Darüber hinaus sind wir stolz, mit dem Unternehmen PureCycle dessen erste Polypropylen-Recyclinganlage in Europa in unserem NextGen District verwirklichen zu können. Die Reinigungstechnologie von PureCycle ist ein Wendepunkt in der Kreislaufwirtschaft und wird einen großen Einfluss darauf haben, dass die Kunststoffindustrie – und vor allem das Chemie-Cluster um den Hafen Antwerpen-Brügge – noch nachhaltiger wird. Mit dem Bau der Anlage wird nach Abschluss des Genehmigungsverfahrens – voraussichtlich im Jahr 2024 – begonnen.
Es fällt auf, dass die genannten Projekte allesamt in den Bereichen Energietransition und Kreislaufwirtschaft verhaftet sind. Liegt hier ein besonderer Schwerpunkt des Hafens Antwerpen-Brügge?
J. Vandermeiren: Absolut. Der Hafen von Antwerpen-Brügge ist für uns mehr als ein Hafen, mehr als Transport, mehr als Tonnen und TEUs. Wir sind ein Hafen von Menschen, für Menschen. Wir beabsichtigen, der erste Hafen der Welt zu werden, der Menschen, Klima und Wirtschaft in Einklang bringt. Wir wollen das Tor zu grüner Energie in Europa werden. Mit diesem Ziel sind wir als gemeinsame Hafenplattform im ersten Jahr gestartet und ein großes Stück vorangekommen. Zum Beispiel wurde auch die Wasserstoffstrategie, um den Hafen zu einer europäischen Wasserstoffdrehscheibe für den Import, die lokale Produktion und den Umschlag von Wasserstoff und Wasserstoffträgern zu machen, weiter konkretisiert.
„Wir wollen das Tor zu grüner Energie in Europa werden.“
T. Hautekiet: Auch hier bewährt sich unsere Strategie, die jeweiligen Schwerpunkte der Standorte zu nutzen und zu entwickeln. Antwerpen kann zum Beispiel bereits heute mit seinen bestehenden Terminals Wasserstoffträger wie Ammoniak oder Methanol aufnehmen und speichern. Zeebrügge hat dagegen einen direkten Zugang zum Meer und beherbergt das größte LNG-Terminal Belgiens.
Der Hafen von Antwerpen beherbergt das größte integrierte Chemie-Cluster Europas. Welche Bedeutung hat der Zusammenschluss – auch in dieser Hinsicht – für die chemische Industrie?
J. Vandermeiren: Nachhaltige Transportlösungen und nachhaltige Energieträger sind auch grundlegend in den Bestrebungen der chemischen Industrie, die Produktion zu dekarbonisieren, verankert. Der Zusammenschluss der Häfen Antwerpen und Zeebrügge macht uns zu einem noch stärkeren Partner, der die Unternehmen bei der Erreichung ihrer Klimaziele unterstützt.
T. Hautekiet: Der Hafen Antwerpen-Brügge sieht sich in einer Schlüsselrolle für die Produktion, den Vertrieb und die Nutzung von grünem Wasserstoff. Unsere Position in der internationalen Logistikkette, die Infrastruktur und das Pipelinenetz sind entscheidend, um den Markthochlauf von Wasserstoff und seinen Derivaten zu beschleunigen.
Die Vorteile der Häfen sind nicht nur für die lokalen Chemieunternehmen spürbar. Welches Wertschöpfungspotenzial haben sie für die Industrie im Hinterland?
J. Vandermeiren: Auch für die chemische Industrie im Hinterland wird der Hafen Antwerpen-Brügge eine entscheidende Rolle für die Versorgung mit nachhaltiger, klimafreundlicher Energie spielen. Angesichts der aktuellen Entwicklungen erwarten wir den Import der ersten Mengen an kohlenstoffarmen Wasserstoffträgern wie Ammoniak und Methanol per Schiff für das Jahr 2026, die dann auch per Binnenschiff und Bahn in deutsche Industrieregionen transportiert werden können. Zurzeit sind wir dabei zu analysieren, welche Mengen benötigt werden, wo zusätzliche Investitionen erforderlich sind und wo mögliche Engpässe bestehen, damit wir infrastrukturell gerüstet sind.
T. Hautekiet: Bis 2027 soll hier auch ein neues Importterminal für nachhaltiges Ammoniak gebaut werden, das Lösungen für die Lagerung sowie den Transport per Bahn und Binnenschiff ins Hinterland bietet. Eine direkte Pipeline-Anbindung an Industriestandorte ist ebenfalls möglich.
Zum Abschluss ein Blick in die fernere Zukunft: Welches Hauptziel möchten Sie in den nächsten Jahrzehnten erreichen?
J. Vandermeiren: Unser Ziel ist es, bis 2050 klimaneutral zu sein und unsere Partner und Unternehmen an unseren Häfen auf diesem Weg mitzunehmen und zu begleiten.
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