Anlagenbau & Prozesstechnik

Manuelle Reinraumreinigung: Auslaufmodell oder Aufgabe mit Zukunft?

23.01.2018 -

Die spontanen Antworten auf diese Frage könnten gegensätzlicher nicht ausfallen: Auf manuelle Reinigungsprozesse können wir auch in Zukunft nicht verzichten. Oder: Angesichts des (informations-) technischen Fort­schritts werden Reinigungsprozesse vollständig von automatischen Systemen übernommen. Der nachfolgende Beitrag sucht Antworten zur Zukunftsfähigkeit der manuellen Reinraumreinigung.

Viele technische, Lifestyle- und pharmazeutische Produkte werden ohne „Reine Herstellungsumgebung“ nicht mehr denkbar sein. Partikuläre Kontaminationen begrenzen zunehmend die Miniaturisierung technischer Produkte und die dafür erforderliche Präzision; solche mit krankheitsübertragendem Potenzial gefährden die Sicherheit von Medizinprodukten und Arzneimitteln.
Die Reinigung und Desinfektion von Oberflächen wird auch künftig Bestandteil für den sicheren Betrieb von Reinräumen bleiben. Einerseits werden auch neue, innovative Herstellungsprozesse Kontaminationen freisetzen, andererseits wird der Mensch als wichtige Kontaminationsquelle im Reinraum nicht unverzichtbar werden. Aus heutiger Sicht können die folgenden drei wesentlichen „Dekontaminationssysteme“ identifiziert werden:

  • Automatisierte Systeme,
  • Roboter-basierte Systeme,
  • „Manuelle Systeme“, d. h. Reinigungs­personal.

Automatisierte Reinigungssysteme
Systeme zur Oberflächenreinigung werden bereits seit längerem außerhalb von Reinräumen realisiert. Sie sind fest installiertes Equipment in Gebäuden, Anlagen und Produktionsräumen und integrales Bestandteil des Planungsprozesses. Sie sind wenig flexibel, nachträgliche Anpassungen sind mit tiefen Eingriffen in die Konstruktion von Gebäuden und Anlagen verbunden.
Die Reinigungsprozesse und die zugehörige Zeitintervalle sind in einer speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) hinterlegt und werden nach festgelegten Intervallen oder nach manuellem Start ausgeführt. In der Gebäudetechnik sind solche Systeme z. B. zur automatischen Reinigung großflächiger Glasfassaden installiert.
In Reinräumen finden sich automatische Systeme für CIP- oder SIP-Prozesse. Diese reinigen nicht zugängliche Oberflächen mit Produktberührung wie Behältnisse und Rohrleitungen. Für leicht zugängliche Oberflächen finden automatische Systeme keine Anwendung. Lediglich manuell geführte Scheuer- und Spülmaschinen sowie Reinraumstaubsauger kommen – ausschließlich für die Bodenreinigung – zur Anwendung.

Roboter für Dekontaminationsprozesse
Serviceroboter zur Boden- und Glasreinigung erfreuen sich im Haushaltsbereich ständig wachsender Beliebtheit. Mit dem Dustbot von 1985 fanden Sie Eingang in den Alltag. Haben sie eher zufällig für die Entfernung von Verschmutzungen an heimischen Böden und Glasflächen gesorgt, so sind sie inzwischen zur systematischen Arbeitsweise fähig und werden zunehmend für industrielle Anwendungen interessant. Ihre ursprüngliche Bauform ist scheibenförmig bis zylindrisch, damit wird eine maximale Manövrierfähigkeit erreicht („Wenden auf der Stelle“, Abb. 1). Mit der Integrierung sensorischer Fähigkeiten und nachgeschalteter Entscheidungsalgorithmen unterscheiden sie sich von automatischen Systemen:

  • Frontale Ultraschallsensoren: Erkennen von Hindernissen, selbständiges Ausweichen.
  • Spezifische Sensoren an der Unterseite: Erkennen von Unebenheiten, Absätzen, ja selbst von besonderen Verschmutzungen. Saugroboter erkennen die Bodenbeschaffenheit und passen die Saugleistung an.
  • Kameras und interne Bildverarbeitung: Orientierung im Raum, Erfassung und Speicherung der Grundrisse und der Ladestation.
  • Interne Rechentechnik: Powermanagement, Generierung effektiver Reinigungsmuster.

Möglichkeiten und Grenzen
In der pharmazeutischen Herstellung übernehmen fest installierte Roboter zunehmend hochredundante Vorgänge im Bereich Abfüllung und Verpackung. 2013 wurden etwa 1/5 der pharmazeutischen Verpackungsprozesse von Robotern übernommen, für 2018 wird ein Anteil von mehr als ein Drittel erwartet. Der Anteil mobiler Reinigungsroboter im kontrollierten Umfeld ist deutlich geringer. Zwischen den Anforderungen im heimischen und dem partikel- bzw. keim-kontrollierten Umfeld bestehen gravierende Unterschiede:

  • Limitierte Partikelfreisetzung, so dass ISO 5 Bedingungen eingehalten werden.
  • Dichtheit des Roboters, d. h. kein Eindringen von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln.
  • Schutz vor unbemerkter Kontaminations­verschleppung.
  • Sterilisierbarkeit (z. B. H2O2, Chlordioxid, ­trockene und feuchte Hitze).

Der 100 % vollständigen, selbständigen Bearbeitung von (Boden-) Flächen stehen weitere technische Grenzen gegenüber:

  • Bauhöhe – Installiertes Equipment kann nur bedingt unterfahren werden.
  • Bauform – Reinigendes Prinzip befindet sich innerhalb der Abdeckung /Karosse. Häufig verbleiben nicht bearbeitete Randstreifen.
  • Der Wechsel des Wischmittels und der Prozesslösungen erfordert manuelle Eingriffe.

Technische Fähigkeiten „konventioneller“ Reini­gungsroboter, die zu bemerkenswerten Reinigungsergebnissen führen, könnten sich in der kontrollierten Umgebung sogar als Risiken erweisen (Tab. 1).
Spätestens bei den Anforderungen an die Wand-, Decken- und Arbeitsflächenreinigung werden weitere Anwendungsgrenzen deutlich (Tab. 2). Ein Robotereinsatz ist demnach am ehesten für die Bearbeitung frei zugänglicher Bodenflächen denkbar. Die Steuerung und Sensorik ermöglichen die systematische Bearbeitung einer Oberfläche durch exakte parallele, gleichmäßige Arbeitsbahnen mit minimaler Überlappung (Abb. 1, rechts). Dadurch wird eine hohe Effektivität erreicht. Anwendungsbereiche sind Flure und Gänge, wobei im Eck- und Kantenbereich Risiken für die unvollständige Bearbeitung verbleiben und zweckdienliche Reaktionen auf besondere Kontaminationen (noch) nicht möglich sind.

Der Clean Operator – universeller ­Roboter mit menschlichen Schwächen
Reinigungskräfte, die auf die Reinigung von Reinräumen spezialisiert sind, werden auch Clean-Operator genannt. Deren Möglichkeiten zur sicheren Bearbeitung kritischer Bereiche wie Kanten, Ecken, Überbauungen usw. sind praktisch unbegrenzt. Durch geeignete Hilfsmittel bearbeitet die menschliche Hand einerseits komplizierte Strukturen, andererseits auch schwer erreichbare Oberflächen, z. B. im Deckenbereich. Diesen Möglichkeiten stehen Grenzen gegenüber, die aus individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten resultieren: Die menschlichen Schwächen. Variationen in der Körpergröße, der individuellen Mobilität, des sensorischen und visuellen Potenzials, sind objektive Eigenschaften, die einer Standardisierung manueller Rei­nigungsprozesse entgegenstehen. Zusätzliche (subjektive) Voraussetzungen ergeben sich z. B. aus unterschiedlichen Vorkenntnissen, praktischer Erfahrung und Motivation. Diese individuellen Eigenschaften können sich auswirken auf:

  • Präzision / Vollständigkeit der Bearbeitung (Kontaminationen sind nicht sichtbar!).
  • Einschätzung des Bearbeitungsstatus (besonders an großen Flächen ohne „Fixpunkte“).
  • Bewertung der Eignung der Prozesslösungen.
  • Korrekte Dokumentation der durchgeführten Reinigungsarbeiten.

Reproduzierbare, sichere manuelle Prozesse erfordern – wie jede andere Tätigkeit im kontrollierten Umfeld – profunde Ausbildung, ständige Wiederholung und Weiterbildung sowie Training der Fertigkeiten der Clean Operator. Physische Unterschiede können dabei berücksichtigt und gezielt weiterentwickelt werden. Zum Beispiel ist die manuelle Deckenreinigung für besonders große Clean Operator durchaus effektiver als deren Arbeit an den Unterseiten von Equipment. Die Dokumentation der Trainingsmaßnahmen (und deren Ergebnisse) könnte die Basis für eine individuelle Zugangs-Lizenz mit Angabe der zulässigen Reinheitsklasse und den individuellen Fähigkeiten bilden. Mit der regelmäßigen Überprüfung und Dokumentation werden Clean Operator quasi „im qualifizierten Zustand“ erhalten.

Assistenzsysteme für manuelle Prozesse
Derart qualifiziertes Reinigungspersonal bietet die besten Voraussetzungen für den Einsatz innovativer Assistenzsysteme. Einerseits muss es die neuen technischen Anforderungen beherrschen, andererseits wird es diese als wertvolle Ergänzung zum eigenen Leistungsprofil begreifen. Ziel ist die weitere Standardisierung manueller Tätigkeiten.

Wo bringt technische Assistenz ­Zukunftsfähigkeit?
Bearbeitungsstatus: Große Oberflächen mit wenigen Orientierungspunkten (z. B. wenig gegliederte Decken) sind eine Herausforderung und zwingen zum systematischen Vorgehen. Indoor-Tracking und die Visualisierung des Wischablaufes würde dessen Effizienz steigern und unnötige Mehrarbeit reduzieren, die z. B. aus Sorge, Flächenanteile nicht bearbeitet zu haben, resultiert. Eine virtuelle Darstellung der Bearbeitungsgrenzen gewährleistet weiterhin eine maximale Sicherheit nach Unterbrechungen aus zeitlichen oder personellen Gründen.
Mikrobiologische Sicherheit: Identifizie­rung auch kleinster unbearbeiteter Flächen-
anteile, ebenfalls über hochauflösendes Indoor-Tracking. Dadurch Sicherstellung einer 100%-igen Bearbeitung und bestmöglicher Desinfektionsergebnisse auf Reinraum-Oberflächen mit mikrobiologischen Anforderungen.
Prozessfähigkeit: Außer „zunehmende Verschmutzung“ bleiben Veränderungen in den Prozesslösungen weitgehend unbekannt. Risikoanalyse bzw. Validierung manueller Reinigungs- und Desinfektionsprozesse werden vom Betreiber – wenn überhaupt – nur halbherzig ausgeführt. Valide Daten zu Veränderungen der Prozesslösungen während des Gebrauchs liegen meist nicht vor. Objektiv begründete Verwendbarkeitsgrenzen sind nicht definiert. Über die Prozessfähigkeit entscheidet die Erfahrung des CO. Eigene experimentelle Untersuchungen zeigen, dass tatsächlich messbare Änderungen mit Qualitätsrelevanz eintreten können. Mittels geeigneter Sensorik könnten Prozesslösungen überwacht werden und dem Clean Operator die Notwendigkeit zum Wechseln signalisiert werden. Ansätze für ein qualitätsrelevantes Monitoring bieten Parameter wie Trübung, Leitfähigkeit und Schallgeschwindigkeit.
Dokumentation: Fehlerhafte Eintragungen, non-Konformität zu GMP-Regeln und mangelhafte Formulare für handschriftliche Eintragungen gehören zu den häufigsten Abweichungen bei FDA Inspektionen. Davon sind alle Prozesse mit handschriftlicher Dokumentation betroffen. Reinigungsprotokolle bestehen im Wesentlichen aus einer Liste, in der die Durchführung der Tätigkeiten mit Kürzel oder Unterschrift des Ausführenden bestätigt und durch eine zweite Person geprüft wird („4-Augen-Prinzip“). Im Vergleich zu validierten pharmazeutischen Herstellungsprozessen und deren analytischer Kontrolle – ein archaisches anmutendes Vorgehen mit hoher Störanfälligkeit.
Mit den genannten Assistenzsystemen kann eine Fülle von prozessrelevanten Daten erhoben werden. Was spricht dagegen, diese für eine exakte Dokumentation zu nutzen? Versehen mit Personal- und Zeitstempel erlangen sie eine weitere Bedeutung zur detaillierten Dokumentation von Ablauf und Qualität des Reinigungsprozesses. Zusätzlich stellen Sie eine zuverlässige Basis für das Abweichungsmanagement dar (Abb. 3).

Ausblick
Die Wahrnehmung von Reinigungs- und Desinfektionsprozessen in Reinräumen hat sich mit der Entwicklung und Anpassungen technischer Standards (ISO 14644, VDI 2083) und Guidelines (EU-GMP-Leitfaden und Anhänge ) gravierend geändert. Hygienische, Ausbildungs- und Schulungsanforderungen unterscheiden sich faktisch nicht für Reinigungs- und Herstellungspersonal (Tab. 3).
Demgegenüber fallen die Anforderungen an die Reinraumreinigung selbst geringer aus. Während die Reinigungsprozesse an produktberührenden Oberflächen validiert sein sollten, bestehen solche Anforderungen für Reinraumoberflächen (noch) nicht. Eine Erklärung dafür ist, dass für die manuelle Reinraumreinigung gegenwärtig keine objektiven, d. h. messbaren Prozessparameter vorliegen. Bewertungsgrundlage sind nach wie vor die Anzahl luftgetragener Partikel und die Ergebnisse des mikrobiologischen Monitorings, also Daten, die erst nach Abschluss der Reinigungsarbeiten erhoben werden können.
Eine Änderung der Anforderungen an die Reinraumreinigung könnte sich mit der Etablierung objektiver Prozessparameter, generiert durch Assistenzsysteme für manuelle Prozesse, ergeben.
Für die manuelle Reinraumreinigung ist dann auch die Etablierung analytischen Kenngrößen wie Präzision (der Bearbeitung), Robustheit (für verschiedene Clean Operator), Spezifität (für bestimmte Kontaminationen) vorstellbar. Die sinnvolle Partnerschaft zwischen Clean Operator und technischen Systemen würde ein hohes Maß an Prozess­sicherheit ermöglichen, die durch die Einzelkomponenten allein nicht zu erreichen ist. Die manuelle Reinraumreinigung ist eine Aufgabe mit Zukunft, wohl aber werden sich die Anforderungen an ihre zeitnahe Kontrolle und Dokumentation an die höheren Standards pharmazeutischer Herstellungs- und analytischer Verfahren anpassen müssen.