Lieferkettengesetz bringt neue Regeln für Unternehmen
Der deutsche Gesetzgeber will dem Schutz von Menschenrechten, Arbeits- und Umweltstandards mehr Nachdruck verleihen
Nachhaltigkeit hat viele Dimensionen und umfasst auch den Schutz von Menschenrechten, Arbeits- und Umweltstandards. Dem will der deutsche Gesetzgeber mit seinem Lieferkettengesetz mehr Nachdruck verleihen. Die chemisch-pharmazeutische Industrie ist ihm aber schon einen Schritt voraus: Brancheninitiativen wie Together for Sustainability oder Chemie³ haben längst den Boden bereitet, von dort scheint es nur noch ein relativ kleiner Schritt zur Compliance mit der neuen Vorschrift. Ungemach droht eher aus Brüssel: Die wichtige Frage nach der zivilrechtlichen Haftung bei Verstößen, die der deutsche Gesetzgeber grundsätzlich verneint, soll nach dem Willen des Europäischen Parlaments in dem noch ausstehenden EU-Lieferkettengesetz zu Lasten der Unternehmen geregelt werden.
Das deutsche Lieferkettengesetz verpflichtet branchenübergreifend bestimmte Unternehmen zum Schutz von Menschenrechten, Arbeits- und Umweltstandards in ihrem Geschäftsbereich sowie entlang der Lieferkette. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hat daran im Gesetzgebungsverfahren deutliche Kritik geübt: Er bemängelte u. a. den hohen Bußgeldrahmen (bis zu 2 % des gemittelten weltweiten Jahresumsatzes) schon bei fahrlässigen Verstößen und die mangelnde Abstimmung des deutschen Gesetzgebungsverfahrens mit dem geplanten EU-Lieferkettengesetz. Außerdem forderte der VCI eine „Safe-Harbor“-Regelung, nach der bei Beachtung branchenüblicher Standards der Haftungsmaßstab reduziert wird.
Zankapfel zivilrechtliche Haftung
Der Protest des VCI hatte zum Teil Erfolg: Eine zivilrechtliche Haftung „für eine Verletzung der Pflichten aus dem Gesetz“ ist in der finalen Fassung des Gesetzes – anders als noch im Regierungsentwurf – ausdrücklich ausgeschlossen. Allerdings bleibt eine „unabhängig von dem Gesetz begründete zivilrechtliche Haftung“ ebenso ausdrücklich unberührt. Ob damit der vom Branchenverband befürchteten, weltweiten Klageindustrie der Boden entzogen ist, wird sich in der Praxis der Gerichte noch erweisen müssen. Warnendes Beispiel ist die Klage eines peruanischen Kleinbauern gegen den Energieversorger RWE wegen angeblich aufgrund des Klimawandels eingetretener Schäden: Hier beruft sich der Kläger auf das allgemeine Zivilrecht. Einer auf das allgemeine Zivilrecht gestützten Klage wegen Verletzung von Menschenrechts-, Arbeits- oder Umweltstandards würde auch das deutsche Lieferkettengesetz nicht entgegenstehen.
Die Europäische Kommission hat den Entwurf
eines EU-Lieferkettengesetzes für Oktober 2021
in Aussicht gestellt.
Ohnehin ist das letzte Wort bei der Haftungsfrage noch nicht gesprochen: Während Berlin mit seinem Lieferkettengesetz vorprescht, hat die Europäische Kommission den Entwurf eines EU-Lieferkettengesetzes für Oktober 2021 in Aussicht gestellt. Bereits im Januar 2021 forderte der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, Unternehmen für Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltstandards haftbar zu machen und Geschädigten den Zugang zu Rechtsmitteln zu garantieren. Damit stellt sich die Frage nach einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeit auf europäischer Ebene erneut.
Das deutsche Lieferkettengesetz schließt zudem nicht die Haftung auf vertraglicher Grundlage aus. Eine solche besteht etwa, wenn ein Unternehmen sich als Zulieferer gegenüber seinem Kunden verpflichtet hat, die Vorgaben des Lieferkettengesetzes einzuhalten. Die Zulieferer werden solche Pflichten entlang der Lieferkette jeweils an den nächsten Zulieferer weiterreichen können. Potenzielle vertragliche Ansprüche Dritter sollten in solchen Klauseln im Interesse aller Vertragsparteien ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Was müssen Unternehmen tun?
Das deutsche Lieferkettengesetz enthält Sorgfaltspflichten für Unternehmen, um Risiken für Menschenrechte, Arbeits- und Umweltstandards in internationalen Lieferketten zu reduzieren.
Aus chemisch-pharmazeutischer Sicht hervorzuheben sind die Pflichten zur Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften bei der Arbeit mit chemischen Stoffen, zur Vermeidung von Verunreinigungen von Boden, Wasser und Luft, sowie zur Einhaltung des Minamata-Übereinkommens betreffend die Verwendung von Quecksilber, des POPs-Übereinkommens betreffend persistente organische Schadstoffe sowie des Basler Übereinkommens betreffend die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen.
Verpflichtete Unternehmen müssen Maßnahmen zur Abwehr von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken jeweils in ihrem eigenen Geschäftsbereich umsetzen. Dazu zählen in Konzernen auch die Tätigkeiten von Gesellschaften, auf welche die Obergesellschaft einen bestimmenden Einfluss ausübt. Darüber hinaus erstreckt sich die Pflicht zur Abwehr von Risiken auf unmittelbare Zulieferer und – bei konkreten Anhaltspunkten für Verstöße – auch auf mittelbare Zulieferer.
Konkret müssen verpflichtete Unternehmen folgende Maßnahmen ergreifen:
- Einrichtung eines Managementsystems bezüglich menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken,
- Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten,
- jährliche Ermittlung und Bewertung menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken,
- wenn Risiken identifiziert werden: Umsetzung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen,
- Einrichtung eines Hinweisgebersystems (Whistleblowing),
- jährliche schriftliche Berichterstattung gegenüber der Öffentlichkeit.
Einige der vorgesehenen Maßnahmen bedeuten keine wirkliche Veränderung, sie sind eher business as usual. Beispielsweise besteht eine Pflicht zur Einrichtung von angemessenen Risikomanagement- und Compliance-Systemen bereits jetzt aufgrund der allgemeinen Sorgfaltspflicht der Organe von Gesellschaften und ihrer Mitglieder.
Eine wirkliche Neuerung für viele Unternehmen
ist die Pflicht zur Berichterstattung.
Eine wirkliche Neuerung ist für viele Unternehmen hingegen die Pflicht zur Berichterstattung: Der Bericht muss auf der Internetseite des verpflichteten Unternehmens für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich gemacht werden. Größenabhängige Erleichterungen oder eine Begrenzung auf kapitalmarktorientierte Gesellschaften gibt es nicht. Bei der Formulierung der Berichte wird darauf zu achten sein, dass einerseits die gesetzlichen Mindestinhalte aufgenommen werden, aber andererseits keine sensiblen Informationen an Wettbewerber dringen.
Viele Unternehmen unterhalten schon heute freiwillig Prozesse, die den neuen Anforderungen weitgehend gerecht werden. Beispiel Altana: Der Chemiespezialist aus Wesel nimmt für sich schon seit Jahren in Anspruch, ökologische und gesellschaftliche Aspekte fest in seinem Unternehmen zu verankern. Das Unternehmen lässt extern bewerten, ob es diesem Anspruch auch gerecht wird. Unter anderem nutzt Altana das Bewertungssystem des Rating-Unternehmens EcoVadis, das Umweltaspekte, Beschaffungspolitik, Compliance und Arbeitsbedingungen des Unternehmens auf Basis der internationalen Nachhaltigkeitsrichtlinie ISO 26000 analysiert. Von diesem Ausgangspunkt sollte es nur noch ein vergleichsweise kleiner Schritt zur Compliance mit dem deutschen Lieferkettengesetz sein.
Wer muss handeln? Und bis wann?
Das deutsche Lieferkettengesetz gilt ab dem 1. Januar 2023 für Unternehmen mit Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, Verwaltungssitz, satzungsmäßigem Sitz oder Zweigniederlassung im Inland, die konzernweit mind. 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 sinkt diese Schwelle auf konzernweit mind. 1.000 im Inland beschäftigte Arbeitnehmer.
Unabhängig von diesen Schwellenwerten, sind alle Unternehmen gut beraten, sich ab dem 1. Januar 2023 auf die neuen Regeln einzustellen: Branchenriesen wie BASF, Bayer oder Fresenius, um nur einige wenige zu nennen, müssen die Einhaltung des Gesetzes nämlich nicht nur für sich selbst, sondern wie bereits gesagt auch für unmittelbare Zulieferer und ggf. auch für mittelbare Zulieferer bewerkstelligen. Eben deshalb steht zu erwarten, dass künftige Lieferverträge entlang der Lieferkette Klauseln enthalten werden, in denen sich der jeweilige Zulieferer verpflichtet, die Vorgaben des Lieferkettengesetzes zu beachten – unabhängig davon, ob er selbst schon kraft Gesetzes dazu verpflichtet ist.
Worauf müssen Organmitglieder achten?
Das deutsche Lieferkettengesetz hat nicht nur Auswirkungen auf Unternehmen, sondern auch auf Organmitglieder. Vorstände und Geschäftsführer müssen dafür sorgen, dass die neuen Regeln fristgerecht umgesetzt und eingehalten werden. Mitglieder von Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiräten müssen dies überwachen und beratend begleiten.
Vorstände und Geschäftsführer müssen dafür sorgen,
dass die neuen Regeln fristgerecht umgesetzt
und eingehalten werden.
Zusätzlich zur Umsetzung der o. g. organisatorischen Maßnahmen sind auf operativer Ebene insbesondere die Verträge mit Kunden und Lieferanten zu prüfen und ggf. anzupassen. Zu beachten ist auch, dass Arbeitnehmervertreter über den Wirtschaftsausschuss Auskunft zur Beachtung der Pflichten nach dem deutschen Lieferkettengesetz verlangen können.
Schließlich sollte überprüft werden, ob die Betriebshaftpflichtversicherung sich auf Schäden aus einem Verstoß gegen das deutsche Lieferkettengesetz erstreckt. Last but not least benötigt möglicherweise auch die D&O-Versicherung des Organmitglieds ein Update.
Gerrit Forst, Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare, Essen
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ZUR PERSON
Gerrit Forst ist Rechtsanwalt und Partner bei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare in Essen. Er berät Unternehmen, ihre Organe und Gesellschafter aus der chemischen Industrie zu Fragen der Environmental Social Governance und Corporate Governance. Er studierte, promovierte und habilitierte sich an der Universität Bonn, erwarb einen Master of Laws an der University of Cambridge in England und ein Executive Diploma in Law and Management an der Universität St. Gallen.
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