Katalyse als wissenschaftliche Schlüsseldisziplin
Katalysatoren leisten wesentliche Beiträge zur Bewältigung aktueller Herausforderungen
Um den globalen Herausforderungen mit nachhaltigen Entwicklungen zu begegnen, haben die Vereinten Nationen 17 globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) definiert. Zu mehreren dieser Ziele kann die Katalyse als interdisziplinäre Querschnittstechnologie und als wissenschaftliche Schlüsseldisziplin wesentliche Beiträge leisten. Die neu erschienene Roadmap der Deutschen Katalyseforschung, die durch die German Catalysis Society (GeCatS) herausgegeben wurde, stellt die Rolle und den Beitrag der Katalyse für diese Themenfelder vor. Birgit Megges befragte Roger Gläser, Leiter des Core Teams der Roadmap und Vorsitzender der GeCatS-Kommission, zu den Inhalten der Roadmap und den aktuellen und zukünftigen Themen der Katalyseforschung.
CHEManager: Herr Gläser, Sie waren federführend an der neuen Roadmap der Deutschen Katalyseforschung beteiligt. Was sind die Kernaussagen der Roadmap?
Roger Gläser: Die Katalyse ist ein interdisziplinäres Wissensschafts- und Forschungsgebiet, das wesentliche Beiträge zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen auf globaler Ebene leistet. Hierzu zählen besonders Felder wie der Umweltschutz, die Reduktion von Emissionen, die Welternährung, die Nutzung nachwachsender Rohstoffe und insbesondere die Energiewende. Schon im Titel der Roadmap kommt zum Ausdruck, dass die Katalyse eine Schlüsseltechnologie darstellt, mit der die Grundlagen für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung gelegt werden. Dafür werden verbesserte Katalysatoren sowohl für effiziente und energiesparende Verfahren als auch für wertschöpfende Produkte benötigt. So, wie sich die Rohstoffbasis von fossilen zu nachhaltigen und erneuerbaren Ressourcen wie Kunststoffrecyclingströmen, Kohlendioxid oder Biomasse wandelt, müssen auch Katalysatoren entwickelt werden, die an diese Rohstoffbasis angepasst sind.
Die Roadmap zeigt darüber hinaus auf, dass die Katalyseforschung auch für andere Wissens- und Technologiefelder wichtige Beiträge liefert und zugleich von mehreren verwandten Disziplinen selbst profitiert. So sind für die Entwicklung neuer Katalysatoren Erkenntnisse der Materialwissenschaften entscheidend oder Beiträge der Ingenieurwissenschaften für innovative Konzepte für katalytische Reaktoren wesentlich.
Würden Sie sagen, dass die Katalyse Beiträge zur Bewältigung aktueller Herausforderungen wie zum Beispiel von Nachhaltigkeitszielen leisten kann?
R. Gläser: Die Katalyse kann als wissenschaftliche Schlüsseldisziplin wesentliche Beiträge leisten, um mehrere der UN-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Es können zum Beispiel die Ziele „Bezahlbare und saubere Energie“ und „Nachhaltiger Konsum und Produktion“ von der Katalyse unmittelbar profitieren. So sind etwa mit nachhaltigen katalytischen Synthesen Kraftstoffe aus Kohlendioxid oder Funktionschemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen zugänglich.
Die Katalyse kann als wissenschaftliche Schlüsseldisziplin
wesentliche Beiträge leisten,
um mehrere der UN-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Weitere Beispiele sind die derzeit intensiv beforschte elektrokatalytische Wasserspaltung zur Herstellung von Wasserstoff mit Hilfe von Sonnen- und Windenergie oder die Erarbeitung geschlossener Stoffkreisläufe oder einer kohlenstoffneutralen chemischen Industrie, die ohne Katalyse nicht erreichbar sind. Und schließlich ist die Katalyse selbst ein grundlegendes Prinzip, das den Ressourceneinsatz schont, indem die Katalysatoren nicht stöchiometrisch verbraucht werden, sondern möglichst lange und oft wiederverwendet werden.
Welche Felder der Katalyseforschung haben damit die größte Bedeutung für die Zukunft?
R. Gläser: Um die bedeutendsten Felder der derzeitigen und der zukünftigen Katalyseforschung zu adressieren, ist die Roadmap in sechs Themenfelder gegliedert. Diese spannen den Bogen von der Energiewende und Wasserstoffwirtschaft, dem Weg von fossilen Rohstoffen zu einem Kreislauf von Kohlenstoffressourcen, dem Klima- und Umweltschutz zu nachhaltigen Funktionschemikalien. Zudem wird das Feld der Digitalisierung in der Katalyse behandelt und es ist ein umfangreiches Kapitel zu experimentellen und theoretischen Werkzeugen aufgenommen.
Diese Werkzeuge werden in allen Teilbereichen der interdisziplinär ausgerichteten Katalyse angewendet und schließen Methoden und Verfahren aus der Chemie, Biologie, Material-, Werkstoff- und Ingenieurwissenschaft sowie Methoden der künstlichen Intelligenz und der Informatik ein. Jedes der sechs Themenfelder hat seine eigene Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Katalyse. Die Roadmap beschreibt dabei für jedes der Themenfelder den mittelfristigen Bedarf an Forschungsgebieten und -zielen mit Blick auf längerfristige Visionen.
Haben Sie konkrete Anwendungsbeispiele für den erfolgreichen Einsatz von Katalysatoren in den genannten Bereichen?
R. Gläser: Lassen Sie mich hier drei Beispiele nennen: Ein erstes, sehr aktuelles Anwendungsfeld von Katalysatoren ist die Umwandlung der nachhaltigen, aber volatilen elektrischen Energiequellen wie der Wind- oder Sonnenenergie, in chemische Energie. Die Katalyse ermöglicht so einerseits die Speicherung dieser volatilen Energieformen, zum Beispiel in Wasserstoff oder weitere chemische Energieträger, wie beispielsweise E-Fuels oder Biofuels, aber auch den Einsatz elektrischer Energie in der chemischen Produktion und zur stofflichen Nutzung. Auch bei der Rückgewinnung der gespeicherten chemischen Energie als elektrische Energie, zum Beispiel in Brennstoffzellen, sind Katalysatoren Schlüsselkomponenten. Generell sind Fragestellungen der Energiewende, des Wasserstoffkreislaufs und der Nutzung elektrischer Energie eng mit Fragestellungen der Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft beziehungsweise des Kohlenstoffkreislaufs verknüpft. Aktueller Forschungsbedarf bei synthetischen Kraftstoffen besteht für effizientere und stabilere Katalysatoren, zum Beispiel für die direkte Nutzung von Kohlendioxid als nachhaltigem Rohstoff.
Ein zweites Beispiel für die erfolgreiche Anwendung von Katalysatoren ist das Feld der Nutzung von Biomasse als erneuerbare Kohlenstoffquelle. Ausgehend von Fraktionen der Biomasse – Lignin, Cellulose, Hemicellulose – können biotechnologische oder chemokatalytische Verfahren zum Einsatz kommen, um selektiv Schlüsselintermediate zu gewinnen. Besonders wichtig ist die Hydrolyse und Fermentation von Celluloseströmen zu Bioethanol. Kommerziell werden biotechnologische Verfahren zur Herstellung ausgewählter Fettsäuren, Aminosäuren sowie Milch-, Bernstein- oder Itakonsäure als biobasierte Polymervorstufen genutzt. Zukünftige Entwicklungspotenziale liegen besonders in kontinuierlichen Verfahren – auch mit integrierter Stofftrennung, um zum Beispiel Herausforderungen der Langzeitstabilität von Katalysatoren zu adressieren.
Ein drittes Anwendungsfeld, in dem die Katalyse schon lange erfolgreich genutzt wird, ist die Reinigung von Abgasen aus Verbrennungsmotoren in mobilen und stationären Anwendungen. Dadurch konnten Emissionen von Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffen, Stickoxiden und Partikeln massiv gesenkt werden. Die dazu etablierten Techniken und Katalysatoren sind millionenfach zuverlässig im Einsatz. Mit den in naher Zukunft zu erwartenden Veränderungen hin zu klimafreundlicheren Kraftstoffen wie Methan, Methanol, Wasserstoff und sogenannten E-Fuels wird sich auch der Fokus der Forschung hin zur Reduzierung von Emissionen gesundheitsgefährdender Schadstoffe, wie zum Beispiel von Aldehyden in sehr kleinen Konzentrationen, und von klimaschädlichen Komponenten im Abgas, wie beispielsweise Methan, verschieben.
Welche Rolle spielt das Thema Digitalisierung in der Katalyseforschung?
R. Gläser: Digitalisierung ist ein Thema, das auch in der Katalyseforschung eine enorme Rolle spielt. Zur Entwicklung neuer Katalysatoren und zum Verständnis ihrer Funktionsprinzipien sowie zur Anwendung von Katalysatoren ist es unerlässlich, eine Vielfalt von Werkzeugen zu nutzen. Diese reichen von innovativen Reaktoren über Untersuchungsmethoden der Operando-Spektroskopie bis hin zu theoretischen Methoden. Daher wird das Thema der Digitalisierung in einem eigenen Kapitel der Roadmap behandelt.
Welche Themen stehen bei der Katalyseforschung in den nächsten Jahren im Vordergrund?
R. Gläser: Die Umstellung der Energiegewinnung sowie die sich ändernde Rohstoffbasis von fossilen hin zu nachhaltigen und erneuerbaren Ressourcen, wie die Nutzung von Biomasse, Plastikrecyclingströmen oder CO2 als Substratbasis, stellen ganz neue Herausforderungen an die Katalyse und bestimmen die zukünftige Forschung und Entwicklung.
Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen für die Katalyseforschung in Deutschland? Wo gibt es Unterstützungsbedarf?
R. Gläser: Die Katalyseforschung in Deutschland hat eine lange Tradition und ist insgesamt sehr gut und in allen Teildisziplinen entwickelt. Nicht zuletzt im internationalen Vergleich ist sie anerkannt, wettbewerbsfähig und in mehreren Bereichen führend. Die Katalyse spielt seit langer Zeit aber auch eine zentrale Rolle in vielen industriellen Anwendungsfeldern und Produktionsbereichen. Auch zukünftig wird die Katalyse ihre Bedeutung in der und für die Industrie als Schlüsseltechnologie behaupten und weiter ausbauen.
Die nun vorliegende Roadmap zeigt den aktuellen Bedarf und die zukünftigen Herausforderungen auf, die durch intensive und nachhaltig angelegte Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit öffentlicher Förderung angegangen werden sollten. Nur so kann der Erfolg der Katalyseforschung und ihrer Weiterentwicklung auch in der Zukunft sichergestellt werden.
ZUR PERSON
Roger Gläser ist seit 2007 Professor für Technische Chemie mit dem Schwerpunkt Heterogene Katalyse an der Universität Leipzig. Gläser ist Mitglied der Catalysis Commission sowie des Councils der International Zeolite Association (IZA) und bekleidet verschiedene Ämter in der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Federation of European Zeolite Associations (FEZA). Seit 2019 ist er Vorsitzender der Kommission der Deutschen Gesellschaft für Katalyse (GeCatS) und leitet das Core Team der Roadmap.
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