Innovation ist die Sache jedes Mitarbeiters
Evonik: Risikobereitschaft, Vertrauen, Offenheit und Geduld fördern Innovationen
Eine aktuelle Studie des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) befasst sich mit Innovationshemmnissen in der Chemieindustrie. Als ein wesentliches Hemmnis wurde dabei die mangelnde Innovationskultur in Unternehmen – insbesondere in großen Konzernen – identifiziert. Dr. Andrea Gruß befragte Evonik-Vorstandsvorsitzenden Dr. Klaus Engel wie der Spezialchemiekonzern seine internen Innovationspotenziale hebt und welche Bedeutung externe Partner für die Innovationskraft von Evonik haben.
CHEManager: Welche Rolle spielen Innovationen für die Chemie in Deutschland?
Dr. K. Engel: Innovationen sind für die gesamte chemische Industrie lebenswichtig. Sie sichern unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit. Darüber hinaus ist die Branche ein wichtiger Innovationsmotor für andere Industrien. Nun beobachten wir zunehmend, wie andere Länder und Regionen im Wettbewerb immer stärker werden. Nehmen Sie das Beispiel Asien: Die Geschwindigkeit der Entwicklung dort ist beeindruckend. Die Region hat sich von einer verlängerten Werkbank zum innovativen Produzenten auf Augenhöhe entwickelt. China hat beispielsweise im vergangenen Jahr erstmals mehr Patente angemeldet als Deutschland.
Um international weiterhin wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir bei Innovationen schneller, zielgerichteter und mutiger werden. Dazu bedarf es einer entsprechenden Innovationskultur in den Unternehmen. Aber genauso wichtig ist die Einstellung von Behörden und Regulatoren gegenüber Innovationen. Hoch komplexe Systeme zur Regulierung und Kontrolle dürfen die Innovationskraft nicht bremsen. Auch das Tempo von Genehmigungsverfahren könnte noch schneller sein.
Die Herausforderung besteht darin, für den Kunden und mit den Kunden schnell und passgenau neue Produkte auf den Markt zu bringen. Ein wichtiges Ergebnis der VCI-Studie ist, dass mehr bahnbrechende Innovationen notwendig sind. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es mehr Mut und Risikobereitschaft.
Wie lässt sich eine Kultur der Selbstständigkeit und Risikobereitschaft innerhalb eines großen Unternehmens schaffen?
Dr. K. Engel: Innovationen werden von Menschen gemacht – nicht von Prozessen, Projekten oder Maschinen. Wir haben bei Evonik daher vor drei Jahren unsere Leading Innovation Initiative gestartet. Sie soll der Nährboden für eine Innovationskultur sein, die noch stärker als bisher von Vertrauen, Zusammenarbeit, Risikobereitschaft und Offenheit geprägt ist. Wir wollen, dass jeder Mitarbeiter Innovation zu seiner Sache macht.
Deshalb geben wir unseren Mitarbeitern den nötigen Freiraum, auch ungewöhnliche Wege zu gehen. Unser Anspruch dabei: Wer führend in Innovation sein will, muss Innovation auch führen. Dazu braucht es einen konstruktiven Umgang mit Fehlern, aber auch die Kraft, Innovationsprojekte zu beenden, wenn die Erfolgsaussichten fehlen.
Ihr Unternehmen hat den Anspruch, zu den innovativsten Unternehmen der Welt zu gehören. Was tut Evonik, um noch innovativer zu werden?
Dr. K. Engel: Unsere Ziele sind herausfordernd und klar: Wir wollen den Wert unserer Innovationspipeline deutlich ausbauen. Neue Produkte und Lösungen sollen künftig noch stärker zu Umsatz und Ergebnis beitragen. Deshalb wollen wir bei Innovationen schneller, zielgerichteter und mutiger werden.
Schneller werden wir, indem wir mit unserer Innovationskraft dicht am Kunden sind. In Deutschland haben wir eine starke Basis, der größte Teil unserer F&E-Mitarbeiter ist hier beschäftigt. Um unseren Kunden weltweit maßgeschneiderte Lösungen anbieten zu können, stellen wir unsere Forschung internationaler auf. So haben wir kürzlich in Richmond in den USA ein Innovation Center eröffnet.
Zielgerichteter werden wir, indem wir uns auf vielversprechende Innovationsfelder konzentrieren und so den Wert unserer mit 500 Projekten bereits gut gefüllten F&E-Pipeline steigern. Beispiele für solche Innovationsfelder sind Verbundmaterialien, Membrane, Spezialmaterialien für Medizintechnik sowie Nahrungs- und Futtermitteladditive.
Mutiger müssen wir in der Art und Weise sein, wie wir Innovation betreiben. Wie schon gesagt, sind hierfür Risikobereitschaft, Vertrauen und Offenheit erforderlich. Aber manchmal auch ein wenig Geduld bis aus einer Idee ein Produkt wird, dessen Nutzen unsere Kunden überzeugt.
Im vergangenen Jahr hat Evonik über 400 Mio. EUR in Forschung und Entwicklung investiert. Wie wurde dieses Budget eingesetzt?
Dr. K. Engel: Rund 90 % der Summe entfallen auf Aktivitäten innerhalb unserer Segmente, die spezifisch auf deren Kerntechnologien und -märkte ausgerichtet sind. Diese Aktivitäten kennzeichnet eine starke Kundenorientierung. Die übrigen 10 % fließen in die strategische Forschung zum Aufbau neuer Geschäftsmöglichkeiten sowie Kompetenzplattformen. Insgesamt werden wir unsere Aufwendungen für Forschung und Entwicklung auf einem anspruchsvollen Niveau halten und wollen in den nächsten zehn Jahren mehr als 4 Mrd. EUR dafür aufwenden.
Welche Rolle spielen Kooperationen mit Start-ups beim Innovationsprozess von Evonik?
Dr. K. Engel: Neben den Aufwendungen für F&E wollen wir insgesamt rund 100 Mio. EUR in Corporate-Venture-Capital-Aktivitäten investieren. Diese sollen unsere Innovationsprozesse und -strukturen strategisch ergänzen. Dadurch erhalten wir in sehr frühen Entwicklungsphasen Einblicke in innovative Technologien und Geschäfte, die unserer Wachstumsstrategie entsprechen.
Die Erfahrung zeigt, dass wir durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit externen Partnern – Universitäten, anderen Unternehmen und eben auch Start-ups – neue Geschäfte schneller entwickeln und zukunftsträchtige Wachstumsfelder schneller erschließen können. Bei Venture Capital geht es uns nicht nur um kurzfristige finanzielle Ziele, sondern auch um langfristige strategische Ziele.
Die Zusammenarbeit mit Start-up-Unternehmen weltweit hat für uns zwei Vorteile: Wir erhalten Zugang zu bahnbrechenden Technologien, von denen wir uns wichtige Impulse für unser Geschäft versprechen. Zum anderen schätzen wir den Gründergeist und die Aufbruchsstimmung in den jungen Technologiefirmen.
Worauf führen Sie die im internationalen Vergleich geringeren Gründungsaktivitäten in Deutschland zurück?
Dr. K. Engel: Es mangelt den Deutschen nicht an erfolgversprechenden Geschäftsideen. Häufig fehlt jedoch der Mut, selbst die Initiative zu ergreifen. Viele potenzielle Gründer mit einer sicheren Anstellung in Unternehmen oder wissenschaftlichen Einrichtungen haben über einen Schritt in die Selbstständigkeit noch nicht nachgedacht. Natürlich darf man die Risiken, die mit einer Firmengründung verbunden sind, nicht unterschätzen. Die Angst vor dem Scheitern darf aber kein Argument sein, nicht den Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen. Wer vielleicht im ersten Anlauf keinen Erfolg hat, der verdient in jedem Fall eine zweite und gegebenenfalls sogar dritte Chance. Es gibt sicherlich auch Informationsdefizite, wie man eine Firma gründet. Ebenso erschweren bürokratische Hürden den Sprung in die Selbstständigkeit. Die müssen beseitigt werden.
Wie können wir eine neue Gründerzeit in Deutschland initiieren?
Dr. K. Engel: Deutschland hat an einigen Orten bereits eine lebendige Gründerszene. Berlin und München sind zwei Beispiele dafür. Auch Nordrhein-Westfalen verfügt über eine hohe Dichte an Technologie- und Gründerzentren sowie international hochrangige Forschungsinstitute und renommierte Hochschulen und Universitäten.
Diese starke Basis gilt es, durch Förderprogramme auszubauen. Neben der finanziellen Unterstützung ist aber ebenso wichtig: Wir müssen uns für das Neue öffnen, Aufbruchsstimmung erzeugen, Begeisterung wecken, Chancen ergreifen und selbstbewusst sagen: Wir haben die Kreativität, wir haben den Willen und die Kraft, aus einer Idee ein Geschäft aufzubauen. Wir können das!