Strategie & Management

Hop oder Top?

Studie analysiert Erfolgsfaktoren für Return-on-Innovation in der chemischen Industrie

25.10.2016 -

Nach etwa 150 Jahren industrieller Chemie ist die Wachstumsdynamik vieler Chemieunternehmen in den letzten Jahren deutlich abgeflacht. Zahlreiche Märkte für Chemieprodukte sind weitgehend gesättigt. Der Wachstumsmotor in Asien hat sich deutlich abkühlt. Externes Wachstum muss aufgrund der aktuell hohen Unternehmensbewertungen teuer erkauft werden. Der Druck, neues Wachstum mit Innovationen zu generieren, steigt in den Unternehmen. Doch auch im Innovationsbereich ist Wachstum kein Selbstläufer mehr: viele Innovationsfelder sind mittlerweile schon stark ‚abgegrast‘ und große Innovationssprünge durch neue Moleküle oder neue Technologien werden seltener.

Eine in diesem Kontext durchgeführte Innovationsstudie über Erfolgsfaktoren und ein Praxisworkshop mit 26 Vertretern führender Chemieunternehmen generierten praxisnahe Lösungsansätze zur Steigerung des Return-on-Innovation (ROI). Um den ROI systematisch und nachhaltig steigern zu können, ist die Messung eine wichtige Voraussetzung. In der Praxis ist diese trivial klingende Aussage alles andere als einfach umzusetzen. Zum einen gibt es nicht die ideale Kennzahl – es muss immer ein Set an Parametern betrachtet werden. Zum anderen treten im Detail viele Herausforderungen auf – z.B. die exakte Abgrenzung der Innovationen vom ‚normalen‘ Geschäft. Ein erstes Ergebnis der Studie war, dass die Chemieunternehmen die Messung des Innovations-Output sehr ernst nehmen und ihren Innovationserfolg deutlich besser kennen, als noch vor wenigen Jahren. Fast alle befragten Unternehmen messen Ihren Anteil neuer Produkte am Gesamtumsatz – der am meisten verwendeten Kennzahl zur Messung des Innovationserfolges. Fast zwei Drittel der befragten Unternehmen konnten auch Angaben zu der Profitabilität ihrer Innovationsaktivitäten machen (Abb. 1).

Erfolgsquoten von F&E Projekten

Eine wichtige Kennzahl sind die Erfolgs- und Abbruchquoten von Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Die Studie zeigt, dass im Durchschnitt von 100 gestarteten Projekten 41 vorzeitig abgebrochen werden und nur 29 das gesteckte kommerzielle Ziel erreichen oder übertreffen. Bei großen Projekten liegt die Erfolgsrate sogar noch etwas niedriger, nur 22 von 100 gestarteten Projekten enden mit einem kommerziellen Erfolg. Die Ergebnisse zeigen dabei eine starke Streuung. Einige Unternehmen brechen nur sehr wenige Projekte ab – bei anderen Unternehmen erreichen nur wenige Projekte das geplante Ende. Grundsätzlich gibt es für die Abbruchquote keinen idealen Wert, sondern einen ‚gesunden Bereich‘, der stark von dem jeweiligen Projekttyp abhängt. Bei inkrementellen Produktinnovationen wird eine gesunde Abbruchrate unter 20% gesehen, bei radikalen Innovationen über 80 % (Abb. 2). Werden deutlich weniger Projekte abgebrochen, landen häufig schwache Projekte in der meist teuren Kommerzialisierungsphase und erfüllen dort die Erwartungen nicht. Werden deutlich mehr Projekte abgebrochen, sollte der Priorisierungsprozess überprüft werden. Die Erfolgs- und Abbruchquoten sind damit sehr hilfreiche Parameter, die jedoch sehr detailliert betrachtet werden müssen.

Innovationsbudget

Ein wichtiger Erfolgsfaktor für den Innovationserfolg ist das Innovationsbudget. Hier ergibt sich aus der Studie ein interessantes Bild (Abb. 1): Ungefähr 70% der teilnehmenden Unternehmen und Geschäftsbereiche geben weniger als 2 % ihres Umsatzes für Forschung und Entwicklung (F&E) aus. Im Vordergrund stehen dabei meist kleinere, inkrementelle Innovationsprojekte. Bei über der Hälfte dieser Unternehmen ist das gut angelegtes Geld und die F&E-Kosten lassen sich über die Margen (EBITDA) der bis zu fünf Jahre ‚neuen‘ Produkte finanzieren. Da in der chemischen Industrie Produktlebenszyklen nicht selten 20 Jahre oder mehr betragen, sind Innovationsprojekte eine attraktive Wertschaffungsoption. Von den Unternehmen, die mehr als 2 % des Umsatzes für F&E ausgeben und Projekte mit größerer Innovationshöhe im Projektportfolio haben, schaffen es deutlich weniger, einen hohen Return-on-Innovation zu erzielen.

Ressourceneinsatz

Einen wichtigen Grund für dieses Ergebnis lieferten die Teilnehmer durch die im Vorfeld ausgewählten Schwerpunktthemen gleich mit: Große F&E-Projekte und -Programme standen auf der Themenwunschliste ganz weit oben. Offenbar haben bereits viele Unternehmen erkannt, dass bei großen Projekten noch Optimierungspotenzial steckt (Abb. 3). Die Definition ‚großes Projekt‘ muss in der chemischen Industrie jedoch spezifisch definiert werden: im Durchschnitt arbeitet nur ein Vollzeitmitarbeiter (FTE) auf einem F&E-Projekt  – meist besteht ein Projektteam aus drei bis vier Mitarbeitern, die jeweils ein bis zwei Tage pro Woche auf dem Projekt arbeiten. D.h. in vielen Unternehmen liegt die Zahl der F&E-Mitarbeiter in der gleichen Größenordnung wie die Anzahl der F&E-Projekte. Ein Projekt mit fünf Vollzeitmitarbeitern ist dadurch bereits als Großprojekt anzusehen. Somit ist es nicht erstaunlich, dass nur etwa ein Drittel der teilnehmenden Unternehmen in den vergangenen Jahren eine Innovation auf den Markt gebracht hat, die den bestehenden Umsatz um 5 % oder mehr beeinflusst hat. Zwei Drittel der Teilnehmer haben ein derartiges Projekt oder Programm im Portfolio und hoffen, dass sie in den kommenden Jahren ein gewichtiges Produkt auf den Markt bringen können.

Corporate Venturing

Das Nebeneinander von commoditisierten Massengeschäften und jungen Start-up-ähnlichen Innovationsanstrengungen führt in vielen Organisationen zu einer Zerreisprobe. Aus diesem Grund hat sich eine besondere Form der externen Innovation branchenübergreifend zu einem Trend entwickelt: Corporate Venturing – die Beteiligung von großen Konzernen an Start-up-Unternehmen. Die Start-ups bleiben dabei üblicherweise in ihrer Struktur bestehen und werden mehr oder weniger lose an den Konzern angebunden. Das weltweit über Corporate Venturing investierte Volumen lag 2015 bei ca. 10 Mrd. $ und hat sich seit 2010 mehr als verdreifacht. Viele Unternehmen der chemischen Industrie haben bereits Erfahrungen mit Corporate Venturing gesammelt. Einige Unternehmen haben sogar eigene Corporate Venturing-Abteilungen gegründet und darin ein Portfolio an Start-ups aufgebaut. Bemerkenswert ist jedoch, dass kaum finanzielle Erfolgsgeschichten aus dem Umfeld der chemischen Industrie mit Corporate Venturing zu finden sind. Corporate Venturing ist damit eher als Werkzeug zu sehen, mit dem die Bewertungskompetenz eines Unternehmens erhöht wird und Ideen aus angrenzenden Geschäfts- oder Technologiefeldern in ihrer frühen Phase vorangetrieben werden können. Wer ins Silicon Valley schielt und hofft, mit Corporate Venturing in der chemischen Industrie schnelle Gewinne erzielen zu können, wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht werden.

Big Data

Das Silicon Valley spielte wurde auch bei einem weiteren Schwerpunktthema ins Spiel gebracht: ‚Big Data im Innovationsbereich‘. Während einige Industrien durch die Digitalisierung bereits substantiell verändert wurden, sind die Auswirkungen in der chemischen Industrie bisher sehr moderat. Aus der Studie geht hervor, dass weniger als ein Drittel der Teilnehmer ‚Big Data‘-Methoden anwendet und unter 10% auf Big Data spezialisierte Mitarbeiter haben. Große Einigkeit besteht darin, dass die Digitalisierung auch in der chemischen Industrie zu großen Veränderungen führen wird. Großes Potenzial sehen die Teilnehmer bei Prozessinnovationen. In vielen Unternehmen liegen Datenschätze aus Produktionsdaten vieler Jahre vor. Durch eine Auswertung mit Advanced Analytics/Data Mining-Methoden können die Prozessparameter optimiert werden und dadurch Ausbeuten verbessert, Energiebedarfe gesenkt oder Standzeiten erhöht werden. Ähnlich verhält es sich bei den Daten aus Forschungsprojekten. Über den Stage-Gate-Prozess werden in vielen Unternehmen zahlreiche Daten erfasst. Bisher werden die Informationen jedoch meist nur für Entscheidungen auf Einzelprojektebene genutzt – z.B. ob ein Gate passiert werden kann. Eine Nutzung der Daten, um projektübergreifende Erfolgsfaktoren zu identifizieren, findet heute nicht statt.