Herausforderungen für den S&OP-Prozess
Veränderte Geschäftsmodelle, M&A-Transaktionen und Globalisierung zwingen Chemieunternehmen zum Handeln
Seit den frühen 80er-Jahren wird unter dem Stichwort „S&OP" (Sales & Operations Planning) in der Chemiebranche intensiv diskutiert, wie Vertrieb und Supply Chain optimal aufeinander abgestimmt werden können. Bis heute werden die Anforderungen, die veränderte Rahmenbedingungen mit sich bringen, aber nicht konsequent umgesetzt. Ein umfassender Ansatz bringt Probleme ans Tageslicht und bietet die Chance, sie dauerhaft zu lösen.
Viele Chemieunternehmen haben heute klar strukturierte, die einzelnen Funktionen und Geschäftsbereiche übergreifende S&OP-Strukturen geschaffen. ERP-Systeme und zusätzliche Softwarelösungen wurden eingeführt, Informationsflüsse vereinheitlicht. Die in der Branche beobachtbaren Veränderungen des Geschäftsmodells, M&A-Transaktionen und die Expansion in Schwellenländer machen es notwendig, den globalen S&OP-Prozess ständig anzupassen und zu verbessern.
Obwohl das Thema S&OP durchaus präsent ist, gibt es nur wenige, bei denen S&OP-Prozesse maximal effizient und zielgerichtet im täglichen Geschäft gesteuert werden. Es sind vor allem drei Gründe, die erklären, weshalb sich Ineffizienzen im S&OP-Prozess auch nach vielen Jahren der Optimierungsbemühungen immer noch hartnäckig halten bzw. gerade im Kontext von Transformationen und M&A-Prozessen wieder vermehrt auftreten. Erstens: In vielen Unternehmen lässt sich eine Komplexität beobachten, die zu unnötiger Kompliziertheit führt. Zweitens: Es mangelt an Disziplin in der Umsetzung. Drittens: Es fehlt die Ausrichtung aller Verantwortlichen auf ein einheitliches Ziel.
Komplexität führt zu unnötiger Kompliziertheit
Yves Morieux und Peter Tollman haben in ihrem Buch Six Simple Rules. How to Manage Complexity without Getting Complicated (Harvard Business Review Press, Boston 2014), dargelegt, dass ein durch Globalisierung und Digitalisierung bedingter Anstieg der Komplexität von Geschäftsprozessen in vielen Unternehmen nicht zu intelligenten Management-Lösungen, sondern zu unnötiger Kompliziertheit führt. Diese Erkenntnis lässt sich am Beispiel des S&OP-Prozesses verdeutlichen: Zwar werden in vielen Unternehmen die täglichen Geschäftsabläufe im Rahmen des S&OP-Prozesses kontinuierlich überprüft. Was dieser kleinteiligen Betrachtungsweise jedoch fehlt, ist die kritische Hinterfragung einzelner Schritte des S&OP-Prozesses sowohl bezüglich ihrer Zuständigkeit als auch hinsichtlich der Detailgenauigkeit ihrer Ausarbeitung.
Die Frage, welcher Unternehmensbereich oder welche Funktion für welchen Schritt des S&OP-Prozesses zuständig ist, wird nicht immer anhand objektiver Daten entschieden. Oft werden Zuständigkeiten nicht gesamthaft definiert. So wird etwa eine Zentralisierung der S&OP-Planung verhindert, weil diese nicht den Interessen von eigenständig agierenden Geschäftseinheiten entspricht. Häufig ist zu beobachten wir auch ein mangelndes holistisches Prozessverständnis. Ursachen können zu große Detailgenauigkeit, mit der einzelne Schritte des S&OP-Prozesses ausgestaltet werden, schlechtes Schnittstellenmanagement oder die ungenügende Kooperation zwischen den Funktionen sein. Das Ergebnis sind hohe Bestände, ineffiziente Entscheidungen und unnötiger Mehraufwand innerhalb der Organisation aufgrund von Intransparenz.
Mangelnde Disziplin in der Umsetzung
Im Grunde stellt jeder S&OP-Prozess eine sequenzielle Abstimmung und Entscheidungsfindung von Nachfrage und Angebot dar. Daher umfasst ein optimaler S&OP-Prozess lediglich dreierlei: die Festlegung der erwarteten Produktnachfrage, die Bestimmung der verfügbaren Bestände und Kapazitäten und die Abstimmung dieser beiden Faktoren in klarer Taktung über die Planungsperiode hinweg. Das Resultat ist eine gewinnmaximierende Bedienung der Kundennachfrage bei Auslastung der Anlagen. In der Realität herrscht jedoch häufig mangelnde Disziplin in der Umsetzung: Termine werden nicht eingehalten, die Diskussionskultur in den Meetings ist nicht zielführend oder die Teilnehmer sind gar nicht entscheidungsbefugt.
Fehlende Orientierung an einem einheitlichen Ziel
In der Chemie ist der S&OP-Prozess geprägt von einer Vielzahl von Möglichkeiten, die Produktionsströme zu optimieren. Diese Tatsache birgt ein hohes Konfliktpotenzial, wenn eine gemeinsame Ausrichtung auf das einheitliche Ziel fehlt. In der Praxis begegnet uns häufig eine rein volumenbasierte Ausrichtung der Planung, während Best Practice-Unternehmen, wie ExxonMobil und Shell, eine Margenoptimierung als Entscheidungskriterium etabliert haben. Wenn die Marge als „general interest" innerhalb des Unternehmens etabliert ist und die Entscheidungen dementsprechend getroffen werden, erlaubt dies eine klare Orientierung aller Verantwortlichen an einem einheitlichen Ziel.
Die Lösung: Ein holistischer Ansatz
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein optimaler S&OP-Prozess entlang von drei Kernthemen verläuft: „demand consensus", „supply response" und „demand-supply consensus". Meetings sollten durch qualifizierte Mitarbeiter fristgerecht vorbereitet werden. Quantitative und qualitative Auswirkungen der Entscheidungsoptionen müssen allen Verantwortlichen bewusst sein. Und letztendlich muss die Beteiligung des Top-Managements entlang jedes Prozessschrittes gewährleistet sein.
Wie kann man die skizzierten Herausforderungen am besten lösen? Unserer Erfahrung nach verlangt eine nachhaltige Verbesserung des S&OP-Prozesses einen holistischen Ansatz in drei Phasen (vgl. Abb.).
Am Beginn steht eine Diagnose, um die Ineffizienzen und Probleme des etablierten Prozesses besser zu verstehen. Häufig sind die Reifegrade einzelner S&OP-Fähigkeiten sehr heterogen ausgeprägt und unterschiedlich über das Unternehmen verteilt. Doch nur wenn vollständige Transparenz über diese unterschiedlichen Reifegrade besteht, können jene Einheiten oder Funktionen zielgerichtet auf ein höheres Niveau gebracht werden, bei denen dies am notwendigsten ist.
Auf der Grundlage dieser Diagnose beginnt die eigentliche Überarbeitung. Festgelegt werden in dieser Phase organisatorische Details, wie Prozesse, Meetingstrukturen und deren Abbildung in der Organisation sowie Fragen der Governance.
In der dritten Phase, der Implementierung, werden die beschlossenen und angestrebten Änderungen in der Organisation verankert. Diese dritte Phase entscheidet letztendlich über Erfolg oder Misserfolg.
Selbstverständlich sind die spezifischen Herausforderungen in jedem Unternehmen anders. Doch wie unterschiedlich auch immer die Unternehmen sind, unsere Analysen und Erfahrungen zeigen, dass immer nur dann, wenn ein holistischer Ansatz verfolgt wird, der Diagnose, detailliertes Design und Implementierung verknüpft (vgl. Abb.), optimale Resultate erzielt werden können.
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