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Evonik stellt sich dem Fachkräftemangel

Das Spezialchemieunternehmen nutzt ein Bündel an Angeboten und Initiativen, um Nachwuchs- und Fachkräfte zu gewinnen und zu halten

07.12.2022 - Unbesetzte Ausbildungsplätze, zu wenige Bewerber: Der Fachkräftemangel ist für Deutschland eine reale Herausforderung. Für Chemieunternehmen stellt sich die Frage, was zu tun ist, um dem Problem-Dreiklang aus demografischer Entwicklung, fortschreitender Akademisierung und fehlendem Interesse an MINT-Berufen erfolgreich entgegenzuwirken.

Unbesetzte Ausbildungsplätze, zu wenige Bewerber: Der Fachkräftemangel ist für Deutschland eine reale Herausforderung. Er trifft Berufe und Branchen zwar unterschiedlich stark, doch seine Folgen wirken sich gesamtwirtschaftlich aus. Auch für Unternehmen der chemischen Industrie stellt sich die Frage, was zu tun ist, um dem Problem-Dreiklang aus demografischer Entwicklung, fortschreitender Akademisierung und fehlendem Interesse an MINT-Berufen erfolgreich entgegenzuwirken.

Evonik ist überzeugt, dass es nicht die eine, allumfassende Lösung gibt. Das Spezialchemieunternehmen nutzt daher ein Bündel an Angeboten und Initiativen, um Nachwuchs- und Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Aktivitäten in den Chemieparks in Hanau, Marl und Rheinfelden sowie in den Regionen belegen diesen Ansatz.

„Seit einigen Jahren wird das Thema Fachkräftemangel intensiv und prominent diskutiert. Hochqualifiziertes Fachpersonal rechtzeitig und erfolgreich für unser Unternehmen zu gewinnen und dauerhaft an uns zu binden, ist für uns eine sehr wichtige Aufgabe“, betont Thomas Wessel, Personalvorstand und Arbeitsdirektor von Evonik Industries, die Bedeutung des Themas. Demografische Entwicklungen machen sich in Unternehmen bemerkbar. Der Essener Chemiekonzern bildet da keine Ausnahme, hat aber vor einiger Zeit Initiative ergriffen: „Wir gehen zielgruppenspezifisch auf potenzielle Kandidaten zu, um Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Nachwuchskräfte adäquat zu besetzen. Außerdem treten wir dem Fachkräftemangel durch gezielte Kommunikation in digitalen Kanälen sowie durch Social-Media-Aktivitäten entgegen“, erläutert Matthias Kleff, Leiter Recruitment Marketing.

Es ist wichtig, die Zielgruppe genau zu erreichen. Neben Sach­themen wie Einstieg oder Entwicklungsmöglichkeiten informiert das Unternehmen mit einer Kampagne über seine Werte, Haltungen und Einstellungen. „Teamgeist und Flexibilität sind zentrale Aspekte unserer Arbeitgebermarke und sprechen potenzielle Mitarbeiter auch auf der emotionalen Ebene an. Das erreichen wir, indem Beschäftigte unter unserem Hashtag #HumanChemistry mit Posts, Videos und Interviews Einblicke in ihren Arbeitsalltag geben“, sagt Anne McCarthy, Leiterin Globales Employer Branding.

Besonders anspruchsvoll ist die Rekrutierung von hochqualifizierten Mitarbeitern dort, wo das Angebot besonders gering, die Nachfrage groß und die Ausbildung limitiert ist. „Für uns ist es wichtig, die Rekrutierung auf eine langfristige und partnerschaftliche Basis zu stellen. Deshalb treten wir mit Studierenden frühzeitig in einen Dialog – auch um ihre Ausbildung zu begleiten und zu unterstützen“, betont Personal­experte Kleff. Besonders geeignet dazu seien Engagements an Hochschulen und in studentischen Netzwerken wie Femtec oder Unitech. Auch mit dem JungChemikerForum (JCF) der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) arbeitet Evonik daher seit vielen Jahren eng zusammen.

Für den international agierenden Konzern ist es selbstverständlich, auch im europäischen oder außereuropäischen Raum Fachkräfte zu rekrutieren. Zugleich legt das Unternehmen besonderen Wert darauf, junge Fachkräfte weiterhin gezielt aus eigenem Nachwuchs zu gewinnen: Um Nachwuchskräfte an das Unternehmen zu binden, erhalten alle leistungswilligen und -fähigen Ausgebildeten seit Sommer 2019 ein Angebot zur unbefristeten Übernahme.

Die auf den Unternehmensbedarf ausgerichtete Weiterentwicklung des Fachpersonals ist ein Kernelement der Mitarbeiterbindung. „Wir wollen die Potenziale unserer Beschäftigten und Talente frühzeitig erkennen und sie entsprechend entwickeln, fördern und fordern“, erläutert Wessel. Medien, Inhalte, Angebote und Aktivitäten dazu finden alle Beschäftigten im Intranet des Unternehmens.

Die Digitalisierung steht dabei als ein wesentliches Thema im Zentrum der strategischen Ziele. Nachwuchsfachkräfte erleben die Digitalisierung in der Ausbildung ebenso praktisch – im Hanauer Industriepark Wolfgang (IPW) z. B. im Lern- und Lehrumfeld der Chemikanten. „Wir haben uns die Frage gestellt, welche neuen Medien wir nutzen müssen, um die Ausbildung auch künftig attraktiv zu gestalten – sowohl für unseren Unternehmensnachwuchs als auch für die Abteilungen, in denen die jungen Leute später tätig werden“, sagt Theo Fecher, Leiter der naturwissenschaftlich-technischen Ausbildung im IPW.

Resultat dieser Überlegungen ist eine simulierte Abbildung des Ausbildungstechnikums. Die digitale Arbeitsumgebung macht es möglich, dass Auszubildende ihr Wissen überprüfen können unabhängig davon, ob sie gerade im realen Technikum arbeiten oder nicht. Für die Realisierung dieses selbsterklärenden E-Learning-Konzepts arbeitete die Ausbildungsabteilung mit einem Anbieter für Aus- und Weiterbildungslösungen zusammen. „Unser Partner hat eine 360°-Aufnahme unseres Technikums hergestellt und diese Ansicht dann mit Leben gefüllt. Das heißt: mit Wissen, Fragen und den richtigen Antworten“, erläutert Theo Fecher.

Der angehende Chemikantennachwuchs kann auf diese Weise Produktionsprozesse in geschlossenen Behältern per Mausklick auf dem Bildschirm darstellen. Bild- und Trickanimationen machen es möglich. Auch die Simulation von Fehlern oder Fehlverhalten gehört zum Übungsprogramm. „Die jungen Leute sind es gewohnt, sich am Computer durch animierte Welten zu klicken. Die Lernumgebung ist in ihrer Darstellung sehr realistisch, die Fragen und Antworten bedienen den spielerischen Charakter dieser Lernmethode“, sagt Fecher.

Eine weitere Möglichkeit, den Nachwuchs für die Chemiebranche zu begeistern, ist das Qualifizierungsprogramm „Start in den Beruf“. Der Bundesarbeitgeberverband Chemie und die IGBCE haben diese Bildungsinitiative einst ins Leben gerufen. Sie ist eine Erfolgsgeschichte. Der Chemiepark Marl feierte jüngst seine 20-jährige Beteiligung an der Initiative. Im Januar 2002 startete dort mit 16 Teilnehmern das erste Praktikum. Ziel ist es bis heute, Bewerbern, denen die Qualifikation für einen Einstieg ins Arbeitsleben noch fehlt, eine Chance zu geben.

 

„Wir treten dem Fachkräftemangel durch gezielte Kommunikation in Social-Media-Aktivitäten entgegen“

Matthias Kleff, Leiter Recruitment Marketing, Evonik Industries.

 

Die Initiative bereitet sie dazu auf eine Berufsausbildung vor. Während der achtmonatigen Aktion steht das praktische, berufsfeldübergreifende Arbeiten in naturwissenschaftlich-technischen Berufen im Vordergrund. In Kooperation mit externen Bildungseinrichtungen kommen theoretische Einheiten hinzu. Seit 2002 haben rund 700 junge Menschen im Chemiepark Marl an dem Programm teilgenommen. In den Folgejahren wurde die erfolgreiche Bildungsinitiative an weiteren Standorten etabliert. Der überwiegende Teil der Teilnehmer wechselte danach in reguläre Ausbildungsverhältnisse.

Bisweilen stellen Ländergrenzen eine Herausforderung dar, wenn es darum geht, Nachwuchs- und Fachkräfte zu gewinnen. Der Standort Rheinfelden ist dafür in Südbaden ein Beispiel. Die Schweiz liegt gleich nebenan. Im Nachbarland sind zwar die Lebenshaltungskosten vergleichsweise hoch, doch zugleich lockt der Arbeitsmarkt Grenzgänger mit attraktiveren Löhnen als in Deutschland. Personalexperten hierzulande fordert die Situation daher besondere Anstrengungen ab. Um die vakanten Stellen dennoch zu besetzen, arbeiten die HR-Verantwortlichen in Rheinfelden mit einer Vielzahl von Handlungen. Diese reichen von großen Werbeplakaten vor den Toren des Industriegeländes, über die Schaltung von Werbung im Radio, in der Zeitung und auf Social Media bis hin zu Kooperationen mit Schulen und Sportvereinen. Denn ebenso wie bei der Gewinnung von Nachwuchs- und Fachkräften auf Bundesebene gilt für den Standort am Hochrhein schon lange: Die eine, allumfassende Patentlösung gibt es nicht.

Bei der Suche nach Fachkräften und beruflichem Nachwuchs ist ein Bündel an Aktionen deutlich aussichtsreicher. Mehr denn je erfordern die Aufgaben an einem modernen Arbeitsplatz heute beides: Kopf und Hand. Fundiertes Wissen ist also ebenso unentbehrlich wie ausgeprägtes Können. Zugleich macht sich die Nachwuchskräfte-Problematik immer deutlicher bundesweit und über Wirtschaftszweige hinweg bemerkbar. Aus Sicht des Essener Arbeitgebers sind deshalb gemeinsame Anstrengungen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft notwendig, um dem Problem mit einer Palette zielgenauer Handlungen entgegenwirken.

Dabei könnte auch eine deutlich stärkere Durchlässigkeit und Vernetzung von beruflicher und akademischer Ausbildung helfen. Duale Studiengänge seien dafür ein wichtiger Ansatz. Doch auch Zusatzqualifikationen im Laufe der Berufskarriere, modulares Lernen sowie die Aktualisierung von Fachkenntnissen böten sich als Instrumente an. Thomas Wessel lässt keinerlei Zweifel aufkommen: „Bei Ausbildung und beruflicher Qualifikation geht es immer um die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes, um das Wohlstandsniveau und um persönliche Perspektiven junger Menschen.“

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