Strategie & Management

ESG-Strategie –Chance und Notwendigkeit für den deutschen Mittelstand

Nachhaltigkeit ist eines der entscheidenden Handlungsfelder für den deutschen Mittelstand

13.10.2021 - Steigende Anforderungen an Unternehmen bzgl. ihrer ESG-Strategie erfordern eine sofortige Reaktion, insbesondere durch den pragmatisch geprägten deutschen Mittelstand. Sonst droht ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich.

Steigende Anforderungen an Unternehmen bzgl. ihrer ESG-Strategie erfordern eine sofortige Reaktion, insbesondere durch den pragmatisch geprägten deutschen Mittelstand. Sonst droht ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich. 

ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) sind eine Weiterentwicklung der Corporate Social Responsibility, welche es schon seit vielen Jahrzehnten gibt und ihre Wurzeln im Finanzsektor hat. In den letzten Jahren sind ESG-Kriterien und die daraus entstehenden Berichte ein fester Bestandteil der jährlichen Veröffentlichungen von großen börsennotierten Unternehmen wie BASF, Bayer, Evonik und Henkel geworden. Verpflichtet eine nichtfinanzielle Berichterstattung auszuführen sind derzeit lediglich eine Handvoll Unternehmen in der EU, jedoch plant die Europäische Kommission mit der Corporate-Sustainability-Reporting-Direktive, die Berichtspflicht auszuweiten und zu standardisieren. 
Laut kürzlich durchgeführter Studien betrachten 65 % der Anleger ESG-Ziele als entscheidenden Faktor, bevor sie in ein Unternehmen investieren. Neben den Investoren sind die Verbraucher, insbesondere die sogenannten Millennials und die Generation Z, eine wichtige Triebkraft für die ESG-Berichterstattung: 92 % der Verbraucher der Generation Z würden zu einer Marke wechseln, die ESG-Themen unterstützt, im Gegensatz zu einer Marke, die dies nicht tut, und würden für ein nachhaltiges Produkt mehr Geld ausgeben.

Handlungsfelder für den deutschen Mittelstand
Das Erreichen von ESG-Zielen ist für alle Chemieunternehmen eine Herausforderung, im Besonderen für den Mittelstand. Aber es ist auch eine Chance. Der deutsche Mittelstand ist zwar noch mit der Bekämpfung der Folgen der Covid-19-Pandemie beschäftigt, jedoch rücken auch durch eben diese Bekämpfung Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit weiter in den Fokus. Darüber hinaus müssen gemäß dem Europäischen Green Deal bis 2050 alle Mitgliedstaaten eine Kreislaufwirtschaft und Netto-­Null-Emissionen erreicht haben. 
Laut einer Umfrage des Instituts für Mittelstandsforschung im Sommer 2020 ist Nachhaltigkeit inkl. der Gestaltung des Klimaschutzes eines der relevanten Handlungsfelder für den deutschen Mittelstand. Weitere maßgebende Handlungsfelder, welche durch eine fokussierte ESG-Strategie beeinflusst werden können, sind die Sicherung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie der Deckung des Fachkräftebedarfs und die Bindung von Talenten an das Unternehmen. 

„Die größten Herausforderungen für KMUs liegen im hohen bürokratischen Aufwand und den mangelnden Ressourcen.“

Christian Gutsche, Maexpartners



Chance für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit 
Gemäß der Umfrage ist Nachhaltigkeit für mehr als 80 % der befragten Unternehmen entscheidend für die langfristige Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, und rund 70 % sehen darin auch eine Chance für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Allerdings verfügt nur ein Drittel der Unternehmen über eine konkrete Nachhaltigkeitsstrategie, bei einem weiteren Drittel befindet sie sich noch in der Planungsphase. Dennoch hat auch unter Corona-Bedingungen keines der befragten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) eine Aussetzung der Strategie in Erwägung gezogen: fast 50 % halten unverändert an ihr fest, 18 % weiten die Maßnahmen sogar aus.

Herausforderungen Bürokratie und Ressourcenmangel
Werfen wir einen Blick auf die Maßnahmen, die bereits umgesetzt werden und auf die größten Hindernisse, mit denen die KMU im Bereich der Nachhaltigkeit konfrontiert sind. Die am häufigsten umgesetzten Maßnahmen lösen die klassischen, effizienzorientierten Probleme: Einsparung von Verbrauchsmaterialien, Abfallmanagement und Recycling, Optimierung von Arbeitsabläufen und verstärkte Schulung der Mitarbeiter. Darüber hinaus konnten ca. 50 % der befragten Unternehmen Energieeffizienzmaßnahmen durchführen, um die Nutzung erneuerbarer Ressourcen zu erhöhen und die CO2-Emissionen zu verringern. Doch laut der Umfrage sehen die meisten Unternehmen in der Klimakrise und der Kreislaufwirtschaft die größten Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen, und ca. die Hälfte von ihnen sieht keine Anwendungsmöglichkeit für eine Kreislaufwirtschaft in ihrem Unternehmen.

Was aber macht die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit für mittelständische Unternehmen so schwierig? Insbesondere für mittelständische Unternehmen stellen neue Regularien eine große Herausforderung durch einen gesteigerten bürokratischen Aufwand dar. Im Gegensatz zu Konzernen verfügen sie in den meisten Fällen nicht über dedizierte Abteilungen, welche sich mit neuen Regularien für den Bereich ESG und Nachhaltigkeit befassen, und finden Hindernisse in unklaren Förderprogrammen, in einer allgemeinen Unsicherheit bei der Berechnung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses und in verwirrenden rechtlichen Rahmenbedingungen. 
In der heutigen Zeit, in der der intensiven Ausbeutung nicht erneuerbarer Rohstoffe große Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind sowohl kleine als auch große Unternehmen in der Pflicht, nachhaltig damit umzugehen und nicht nur die Verwendung erneuerbarer Energien in ihrem Produktportfolio zu erhöhen, sondern auch die Recyclingfähigkeit der neuen Produkte durch veränderte Prozesse in Produktion, Verwaltung und Logistik. Ein optimierter Produktionsprozess mit einer verbesserten Massenbilanz, welche Abfall vermeidet, spart letztendlich auch Kosten im Einkauf von CO2und bei der Entsorgung von Sondermüll. Weitere Kosten kann der Mittelstand sparen, wenn allgemein auf ein energieeffizientes Handeln geachtet wird, da durch die CO2-Steuer die Kosten für Strom (Erdgas und Heizöl), Benzin und Diesel steigen. Für besonders energieintensive Unternehmen gilt die CO2-Steuer bereits und muss kostspielig durch den Kauf von Zertifikaten ausgeglichen werden.
Ein großes Hindernis für diese Umweltziele besteht darin, dass die Nachhaltigkeit bei der Nutzung von Rohstoffen und der Verringerung von CO2-Emissionen nicht nur vom Unternehmen selbst abhängt, sondern auch die Lieferkette einschließt, die im Falle des deutschen Mittelstandes schwieriger zu handhaben ist. Das Lieferkettengesetz, welches ab 2024 auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten gilt, erhöht hier den Druck zusätzlich.
Da auch der Mittelstand direkt oder indirekt von einem veränderten Konsumentenverhalten betroffen ist, wird es notwendig sein, altbewährte Geschäftsmodelle anzupassen oder neue Modelle zu implementieren. Hierbei können Kooperationen eine entscheidende Rolle spielen, um eine kritische Größe zu erreichen, Kosten zu senken, Risiken zu mindern und Kapital zu beschaffen. 

Einschätzung des Status quo und maßgeschneiderter Aktionsplan
Zur gezielten Realisierung von Maßnahmen mit der größten Auswirkung ist es hilfreich, zunächst durch einen objektiven, externen Partner den Status quo der bisherigen ESG-Initiativen einordnen zu lassen und in Kontext zu direkten Wettbewerbern zu setzen. Durch diese objektive Einschätzung lassen sich konkrete Aktionen zur Erreichung eines Best Practice Standards ableiten und anhand von Aufwand und Wirkung priorisieren. 
So gelingt die Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten mit messbaren Zielen in verschiedenen Bereichen, bspw.: resiliente Supply Chain, Geschäftsmodelloptimierung, Produktionslogistik, Produktportfolio- und Energiemanagement.
Ein methodischer Ansatz hilft, Nachhaltigkeitsziele wie die Reduzierung von Treibhausgasemissionen, die Erhöhung der Recyclingraten und die Verwendung erneuerbarer Energien innerhalb eines festgelegten Zeitplans zu erreichen und quantifizierbar zu machen. Außerdem können Lösungen für logistische Fragen gefunden werden, z. B.: Können sich kürzere Transportwege durch lokale Lieferanten positiv auf das CO2-Budget auswirken?
Durch Datentransparenz und ein Berichtssystem für Nachhaltigkeits-KPIs können KMU einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erzielen. 

Nachhaltigkeit zahlt sich aus
Die Erfüllung von konkreten ESG-Zielen hat für ein Unternehmen einen spezifischen Nutzen, z.B. erhalten Unternehmen mit einem umfassenden ESG-Bericht bessere Konditionen am Kapitalmarkt durch ESG-linked Loans, deren Kreditkonditionen direkt an ESG-Kennzahlen geknüpft sind, oder können zukünftig anfallende CO2-Steuern vermeiden. 
Statistiken zeigen, dass börsennotierte Unternehmen durchschnittlich um 4,8 % besser abschneiden als ihre Wettbewerber ohne klare ESG-Standards. Umsatzsteigerungen von
durchschnittlich 35 % konnten zudem bei Unternehmen mit nachhaltigen Beschaffungsprogrammen beobachtet werden. 
Insgesamt ist für Unternehmen mit einer fokussierten ESG-Strategie und -Zielen eine langfristige Steigerung des Unternehmenswerts zu erwarten, ebenso wie eine Sicherung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.
Mittelständische Unternehmen können sich durch transparente ESG-Ziele als attraktiver Arbeitgeber präsentieren und somit Fachkräfte gewinnen und dauerhaft an das Unternehmen binden. Dies beinhaltet eine nachhaltige und aktiv gelebte Unternehmenskultur, die das Wohl der Mitarbeitenden priorisiert und soziales Engagement auch über die Unternehmensgrenzen hinaus fördert. 
Bereits jetzt sind Mittelständler in Zugzwang, da sie als Zulieferer für die Automobil- und Chemieindustrie nachweisen müssen, wie sie gemessen an den ESG-Zielen der Großkonzerne abschneiden und ohne einen ESG-Bericht nicht als Lieferant berücksichtigt werden.

Valentina Bragoni, Consultant; 

Meike Leu, Consultant; 

Christian Gutsche, Partner

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