Durchgängig vom Labor in die Produktion
Endress+Hauser Conducta stärkt Analysenmesstechnik und weist Konzepte für Industrie 4.0
Industrie 4.0 hebt die Grenzen auf zwischen IT und OT, zwischen Einkauf und Wartung, zwischen Labor und Produktion und schafft so ganz neue Exzellenz-Kriterien. Bei allem spielt die Prozessanalytik eine bedeutende Rolle. Darüber, wie die Analysenmesstechnik in die Konzepte und Anforderungen von Industrie 4.0 und IIoT eingebunden ist, sprach CHEManager mit Manfred Jagiella, CEO von Endress+Hauser Conducta und Mitglied des Vorstands der Endress+Hauser Firmengruppe. Das Interview führte Volker Oestreich.
CHEManager: Die Flüssigkeitsanalyse gehört seit vielen Jahren zu den Kernkompetenzen von Endress+Hauser. Seit einigen Jahren sind Sie durch Akquisitionen auch in die Gasanalyse eingestiegen und haben durch die Übernahmen von SpectraSensors und Kaiser Optical Systems in den USA sowie von Analytik Jena und kürzlich von Blue Ocean Nova Schlagzeilen gemacht. Wird die Gasanalyse eines der zukünftigen Kerngebiete bei Endress+Hauser?
M. Jagiella: Die Gasanalyse ist bereits ein Kerngebiet, das, wo immer sinnvoll und möglich, weiter gestärkt wird. Generell wollen wir mit der Analytik unsere Kunden in allen Stadien begleiten, von der Produktentwicklung über die Prozessentwicklung bis hin zur verfahrenstechnischen Produktion und auch im Qualitätslabor. Wie diese Vision wahr werden kann, zeigt das Beispiel von Kaiser Optical Systems in den USA - seit 2013 gehört Kaiser zur Endress+Hauser Gruppe. Kaiser ist spezialisiert auf die Raman-Spektroskopie, mit der man feste, flüssige und gasförmige Stoffe bis hinunter auf die Ebene von Molekülen und Atomen analysieren kann – sowohl im Labor wie auch im Prozess.
Was ist das besondere an der Raman-Spektroskopie und wo wird sie eingesetzt?
M. Jagiella: Die Raman-Spektroskopie ist zum Beispiel in der Lage, in biotechnologischen Prozessen zu messen, ob und wie gut die Zellen wachsen, ob sie genügend Glukose und Sauerstoff haben oder ob sie zu viel Kohlendioxid produzieren – und dies alles optisch, ohne in den Prozess einzugreifen. Mit dieser Technologie sind wir derzeit vor allem in Life-Sciences-Anwendungen erfolgreich, aber damit sind die Möglichkeiten dieser Technologie noch lange nicht ausgeschöpft.
Begonnen hat Ihr Einstieg in die Gasanalyse ja schon 2012 mit der Übernahme von SpectraSensors?
M. Jagiella: Das ist richtig. Durch den Kauf der US-Firma SpectraSensors haben wir uns erstmals den Markt für Gasanalyse erschlossen und unsere Position auf dem Gebiet der Analysenmesstechnik mit laserbasierter Gasanalytik ausgebaut. Die Geräte werden insbesondere in Erdgas-Pipelines und -Anlagen, petrochemischen Raffinerien und chemischen Betrieben eingesetzt.
Und die jüngste Akquisition war jetzt die Übernahme von Blue Ocean Nova.
M. Jagiella: Mit Blue Ocean Nova haben wir einen Hersteller innovativer Inline-Spektrometer zur Überwachung qualitätsrelevanter Prozessparameter übernommen. Damit verfügen wir jetzt über intelligente Prozesssensoren, die die für optische Spektroskopie relevanten Bereiche UV, VIS, NIR und MIR zur Inline-Analyse von Flüssigkeiten, Gasen und Feststoffen abdecken. Die neue Technologie ermöglicht die Integration des Spektrometers direkt in die Messsonde – auch in explosionsgefährdeten Bereichen. Darüber hinaus können die Sensoren automatisch gereinigt und direkt in Prozessleitsysteme eingebunden werden.
Die Systeme von Blue Ocean Nova werden in der Lebensmittelindustrie, der Öl- und Gas-Branche, der chemischen Industrie sowie in den Life Sciences unter anderem zur Konzentrations- und Feuchtemessung sowie zur Bestimmung relevanter Qualitätsparameter eingesetzt. Die Technologie ergänzt unser Portfolio in idealer Weise.
Die Übernahme von Analytik Jena wurde vor zwei Jahren abgeschlossen. Wie passt das Laborgeschäft in die Strategie von Endress+Hauser und welche Synergien konnten Sie heben?
M. Jagiella: Das stimmt, im März 2016 haben wir Analytik Jena vollständig übernommen. Den nicht zu uns passenden Bereich „Optics“ haben wir verkauft, um dem für uns fremden Geschäft eine gute Zukunftsperspektive bieten zu können. Damit kann sich Analytik Jena jetzt voll auf das Kerngeschäft mit analytischen Instrumenten und bioanalytischen Systemen konzentrieren. Viel Hoffnung macht uns da der Erfolg mit ICP-MS-Technologie, also der leistungsfähigen Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma, die die Analyse von kleinsten Mengen unterschiedlicher Substanzen ermöglicht. Auch hier gilt, dass wir mit der Analytik unsere Kunden in allen Stadien begleiten, von der Produktentwicklung im Labor über die Prozessentwicklung bis hin zur verfahrenstechnischen Produktion.
Bei so viel Konzentration auf die Gasanalyse – bedeutet das, dass die Flüssigkeitsanalyse „ausentwickelt“ ist und in Ihrem Unternehmen in den Hintergrund tritt?
M. Jagiella: Das wäre fatal, nein, das Gegenteil ist der Fall. Die Flüssigkeitsanalyse hat sich in den letzten Jahren sehr stark entwickelt, sie ist weiterhin ein hochinnovatives Segment unseres Unternehmens. Wir melden alleine in diesem Bereich jedes Jahr kontinuierlich deutlich mehr als 50 neue Patente an. Gerade im letzten Jahr haben uns Telekom und Wirtschaftswoche für unsere Memosens-Technologie für Flüssigkeitsanalyse zum „Digital Champion 2017“ prämiert, und bei Frost & Sullivan sind wir mit dem „Global Company of the Year Award“ sogar weltweit mit Platz 1 in der Flüssigkeitsanalyse gekürt worden. Das zeigt die enorme Bedeutung der Flüssigkeitsanalyse für die vielen Anwendungen in der verfahrenstechnischen Industrie und die exzellente Position, die Endress+Hauser dabei einnimmt.
Was bedeuten diese Auszeichnungen für Sie und für Endress+Hauser Conducta?.
M. Jagiella: Die Preise sind nicht der primäre Zweck unseres geschäftlichen Strebens, aber sie helfen uns in etlichen Belangen. Zum Beispiel beinhaltet das Preisverfahren oft einen intensiven Benchmark-Prozess, der uns über SWOT-Analysen Potenzial für weitere Verbesserungen im gesamten Geschäftsprozess aufzeigt. Wir binden unsere Mitarbeiter intensiv in diese Prozesse ein. Besonders natürlich, wenn wir auch ein ausgezeichnetes Ergebnis erringen, ist dies eine Motivation für alle. Gleichzeitig stärken wir unseren Bekanntheitsgrad als besonders attraktiver Arbeitgeber, was uns bei dem Finden und Einstellen von qualifizierten Arbeitskräften hilft – ein nicht immer einfaches Unterfangen im strukturstarken Stuttgarter Raum. Last but not least sind diese Auszeichnungen natürlich auch ein Signal für unsere Kunden, dass sie sich auf unsere Produkte und Leistungen verlassen können.
Wie begegnen Sie als „Digital Champion“ den Megatrends wie Digitalisierung, Industrie 4.0. IIoT oder Cloud Computing und den damit verbundenen Herausforderungen?
M. Jagiella: Die Diskussion um Industrie 4.0 hat in der Tat eine neue Qualität erhalten - das Thema ist in den Chefetagen der Industrie angekommen. Mehr und mehr wird erkannt, welche Möglichkeiten in der Digitalisierung stecken und welcher Nutzen sich daraus ziehen lässt – für die Unternehmen, die Menschen und die Gesellschaft.
Wir haben in den letzten Jahren unsere Aktivitäten in Hinblick auf Industrie 4.0 und IIoT in unserem Kompetenzzentrum für die Prozessautomatisierung Endress+Hauser Process Solutions gebündelt. In einer eigenen Tochtergesellschaft in Freiburg im Breisgau arbeitet ein Kernteam, ungestört vom Alltagsgeschäft, an Produkten, Lösungen und Dienstleistungen für das IIoT. Dazu gehört auch Soft- und Hardware, um die in einer Anlage installierte Mess- und Regeltechnik automatisiert zu erfassen und in Hinblick auf die Instandhaltung auszuwerten. Richtig in Fahrt kommt dieses Thema, wenn es nicht nur um Daten geht, sondern um nutzbare Informationen und zusätzliches Wissen, das aus diesen Daten gewonnen wird.
Ein Schatten, der auf die durchgängige, weltumspannende Kommunikation fällt, ist die schwierige Sicherstellung der Cyber-Security. Können nicht auch Sensoren und Messumformer kompromittiert und zu Falschaussagen mit eventuell verheerenden Folgen für eine Anlage manipuliert werden? Wie tragen Sie zur Datensicherheit bei?
M. Jagiella: Ein gutes Beispiel ist hier die Bluetooth-Kommunikation mit unserem neuen Transmitter Liquiline Compact, der im Laufe des Jahres 2018 auf den Markt kommen wird. Dieses extrem kompakte Gerät bietet neben der integrierten Memosens-Schnittstelle die volle Funktionalität eines Transmitters und verfügt neben einer Zwei-Draht-Verbindung auch über eine Bluetooth-Schnittstelle.
Die Bedienung erfolgt über unsere „SmartBlue-App“, die die Basis für ein Endress+Hauser einheitliches Konzept bildet. Die Smart-Blue App ist ein zeitsparender mobiler Zugang zum Gerät – selbst bei schwer zugänglichen oder explosionsgefährdeten Bereichen. Sie erlaubt den schnellen Zugriff auf Prozessinformationen und Real-Time-Diagnose. Der Status mehrerer Geräte wird auf einen Blick angezeigt. Dies erlaubt eine effiziente Wartung.
Der Clou dabei ist die sichere Datenübertragung zur schnellen Konfiguration und Wartung. Bereits bei der Konzeption der Architektur dieses neuen Transmitters wurde das Thema „Security“ in den Mittelpunkt gestellt. Die Sicherheit der Datenübertragung haben wir nach Abschluss der Entwicklung nochmals bewusst extern von einem Fraunhofer Institut überprüfen lassen.
Wie geht es weiter mit der Prozessanalytik?
M. Jagiella: Um zu erfahren, wie die zukünftigen Anforderungen der Prozessanalytik und damit unserer Kunden aussehen, gibt es eine einfache Möglichkeit – man fragt die Kunden. Aus diesem Grund führen wir regelmäßig Technologieforen mit unseren Schlüsselkunden durch, bei denen wir unsere internen Ideen an den Wünschen und Plänen unserer Kunden spiegeln und erst danach die neuen Produktkonzepte finalisieren. Damit stellen wir sicher, dass wir uns nicht auf technische Erfindungen, sondern auf Innovationen fokussieren, die einen echten Kundennutzen und somit „Added Value“ für den Kunden bringen.
Ein wichtiger, sich stets wiederholender Aspekt liegt in der Einfachheit der Nutzung, Handhabung und Instandhaltung der Geräte. Neben der Digitalisierung mit IIoT und Big Data ist die Miniaturisierung ein wichtiger genereller Trend. Bei der Konzeption unseres miniaturisierten Transmitters „Liquiline Compact“ werden wir diesem Trend gerecht.
Die Optik wird in der Prozessanalyse eine immer wichtigere Rolle spielen. Mit der Akquisition von Blue Ocean Nova haben wir auch die Basis dafür gelegt, die Online-Spektrometrie für unsere Kunden zu vereinfachen. Eine weitere Entwicklung, die sich klar abzeichnet, ist der Trend „vom Labor zum Prozess“. Wir haben bei all diesen Themen noch eine Menge Pfeile im Köcher.