Dr. Sven Kühlborn & Alexander Lüring, Prof. Homburg & Partner: Der Preis ist heiß
Wie Spezialchemieunternehmen durch Value Pricing höhere Gewinne realisieren
Margendruck, ehrgeizige Wachstumsziele, mehr Wettbewerb und hohe Qualitätsanforderungen der Kunden setzen die Chemiebranche klassischer Weise unter Druck. Viele Unternehmen der chemischen Industrie erwirtschaften derzeit zwar hohe Gewinne, aber vor dem Hintergrund des erheblichen Anstiegs des Rohölpreises und des immer schärferen Wettbewerbs aus Asien muss die marktseitige Performance der Chemieunternehmen mehr denn je stimmen, um nach wie vor erfolgreich am Markt agieren zu können.
Unter diesen Gesichtspunkten spielt Pricing Excellence für die chemische Industrie eine tragende Rolle. In diesem Rahmen eignen sich - je nach Geschäftsmodell - verschiedene Pricing Methoden, wobei hier die Methode des Value Pricing dargestellt werden soll. Value Pricing bietet sich in erster Linie für Spezialchemieunternehmen an, deren Produkte sich vom Wettbewerb differenzieren können, z.B. über signifikante Wechselkosten, Produkt- oder Servicevorteile. Für andere Produkte, die eher Commodity-Charakter aufweisen und keine signifikanten Alleinstellungsmerkmale besitzen, sind andere Pricing Methoden maßgeblich, die die jeweilige Markt-, Wettbewerbs- und Kostensituation weiter in den Mittelpunkt rücken.
Value Pricing wird zunächst von zwei Leitfragen getrieben:
- Was ist der Wert des Produktes für den Kunden?
- Wie lässt sich der Wert in einen Preis überführen?
Als Vorüberlegung spielt der Begriff der „Wertefamilie" eine große Rolle, denn im Wesentlichen setzt sich ein Produkt aus drei „Wertefamilien" zusammen. Erstens besteht ein Produkt aus physischen Eigenschaften, die für den Kunden einen besonderen Wert darstellen. Im Falle eines chemischen Spezialproduktes kann dies z.B. eine besonders günstige Fließfähigkeit oder ein hoher Schmelzpunkt sein. Zweitens bieten Chemieunternehmen ihren Kunden Services an, etwa gemeinsame Produktentwicklungen, technische Unterstützung oder maßgeschneiderte Logistiklösungen. Drittens besteht jedes Produkt aus so genannten intransparenten Werten. Dies können z.B. hohe Wechselkosten (d.h. Switching Costs - Kosten, die beim Kunden im Falle eines Produktwechsels anfallen, z.B. Test-Kosten) oder persönliche Beziehungen zum Kunden sein. Oftmals sind persönliche Beziehungen zum Kunden entscheidendes Kaufkriterium, gerade bei Spezialprodukten.
Obwohl die Voraussetzungen für erfolgreiches Value Pricing häufig gegeben sind, wird es dennoch zu wenig angewendet. Oftmals ist der Pricing-Ansatz historisch gewachsen und beruht zu einem Großteil auf Erfahrung der Vertriebsmannschaft, die ihr Wissen über Kunden in Köpfen und Bäuchen gespeichert haben. Ein klassischer Prozess für eine Neuproduktentwicklung sieht abgekürzt und überspitzt oft wie folgt aus: Technik und F&E „erfinden" ein Produkt, das Controlling errechnet die Kosten und schlägt eine Marge von z.B. 20% darauf, Marketing legt Strategie und Zielkunden fest, und schließlich läuft der Vertrieb los und verkauft.
In vielen Pricing-Projekten konnte festgestellt werden, dass mit diesem Cost-Plus-Ansatz häufig erhebliches Gewinnpotential unrealisiert bleibt, da den Marktbedürfnissen und dem tatsächlichen Wert des Produktes für den Kunden zu wenig Aufmerksamkeit beigemessen wird. Dieser kann oftmals weit über einer Cost-Plus Kalkulation liegen. Insbesondere bei Spezialchemieunternehmen taucht dieses Phänomen immer wieder auf. Dort liegt der Fokus hauptsächlich auf der technischen Beratung bzw. einer kreativen F&E Abteilung - nachhaltiges Marketing oder wertbasiertes Pricing sind Ausnahmefälle. Durch systematisches Value Pricing und Begleitung des Produktes schon von seiner Geburt an bietet sich jedoch die Möglichkeit, langfristig ein viel höheres Gewinnpotential abzuschöpfen.
Praxis und Prozess des Value Pricing
Ein pragmatischer Ansatz und eine daraus resultierende konkrete operative Preisempfehlung baut auf nur vier Schritten auf und ist relativ einfach durchzuführen.
1. Welcher Strategie soll gefolgt werden? Schnell befindet man sich hier in einem Zielkonflikt: Ist EBIT-Maximierung das Ziel? Oder besteht der Wunsch nach Marktanteilswachstum? Beide Ziele sind nur schwer miteinander in Einklang zu bringen, daher sollte eine generelle Richtung festgelegt werden, weil diese selbstverständlich Auswirkungen auf den Pricing-Ansatz hat. Grundsätzlich bieten sich drei Strategieoptionen an: Die Premium-Strategie (im Produktlebenszyklus durchgehend hoher Preis), die Skimming-Strategie (im Produktlebenszyklus sinkender Preis; diese Strategie findet sich z.B. sehr häufig in der Elektronik-Industrie, u.a. bei Handys oder PC's) oder die Penetrations-Strategie (im Produktlebenszyklus durchgehend eher niedriger Preis kombiniert mit opportunistischem Marktverhalten). Bei Spezialprodukten sind in der Regel die ersten beiden Optionen anzutreffen. Durch die Heterogenität bei Spezialprodukten herrscht dort meist ein konstant hohes Preisniveau.
2. In welchem Wettbewerbsumfeld befindet sich das Produkt? Dabei sind grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten denkbar - von aggressivem Verdrängungswettbewerb bis hin zu „friedlicher Koexistenz". Entscheidend ist aber die Frage, inwieweit das Produkt austauschbar ist. Dabei treffen wir häufig auf unterschiedliche Sichtweisen. Für das Spezialchemieunternehmen selbst mag das eigene Produkt ein reines Spezialprodukt sein, aus der Sicht des Kunden kann dies aber völlig anders sein. Der Kunde mag durchaus in der Lage sein, das Produkt nahezu vollständig zu substituieren, entweder durch ein äquivalentes Konkurrenzprodukt oder durch ein Konkurrenzsystem. Das Wettbewerbsumfeld muss daher sorgfältig analysiert werden, damit alle Substitutionsmöglichkeiten erfasst werden. Sodann ist der Preis zu ermitteln, zu dem der Kunde das Konkurrenzprodukt erwerben kann. Dieser bildet dann die Ausgangslage für die Wert-Quantifizierung (vgl. Schritt 4).
3. Welches sind die relevanten Werte für den speziellen Kunden? Physische Werte, Service-Werte sowie intransparente Werte bestimmen den Gesamtproduktwert, der aber je nach Kunde und Anwendung unterschiedlich hoch ist - gerade bei Spezialchemieprodukten, da diese häufig in die verschiedensten Anwendungen gelangen. Für einen sauberen wertbasierten Pricing-Ansatz sind die für den Kunden relevanten Werte daher zu ermitteln. Wichtig ist dabei eine „gesunde Portion Pragmatismus". Mit der 80%-Regel lässt sich hier schon sehr viel erreichen - lieber Qualität als Quantität.
4. Welches Euro-Äquivalent kann den Werten beigemessen werden? Nach Ermittlung der relevanten Werte müssen sie systematisch quantifiziert werden - im Vergleich zum direkten Wettbewerb oder bei fehlender Konkurrenz im Vergleich zu einem Vorgängerprodukt (vgl. Schritt 2). Dieser systematische Quantifizierungsansatz folgt der Frage: Wo liegt der Unterschied zum Wettbewerb, wo ist man besser, wo ist man schlechter? In einem so genannten Kunden-Nutzen-Wasserfall (Abbildung 1) lässt sich dies graphisch veranschaulichen.
Ergebnis des Value Pricing
Ergebnis des Prozesses ist am Ende ein so genannter Value Price. Dieser liefert einen Anhaltspunkt, was das Produkt dem Kunden am Ende wert sein müsste. In Kombination mit der klassischen Cost-Plus-Methode und der Erfahrung der Vertriebsmannschaft ergibt sich ein Zielpreis für das betrachtete Produkt. Die Value Price Bestimmung bietet dabei drei entscheidende Vorteile:
1. Argumente für den Verkauf sind systematisch aufbereitet und quantifiziert - die Rechtfertigung des Value Price wird somit erleichtert.
2. Ein generischer Prozess ist geschaffen, der methodisch auf jede Art von Spezialprodukten angewendet, individuell aber auf jede Produkt-Kunden-Kombination angepasst werden kann.
3. Der Deckungsbeitrag wird optimiert, sofern die Durchsetzung höherer Preise gelingt.
Value Pricing ist - unter den entsprechenden Voraussetzungen - gut geeignet, um nachhaltig Pricing Excellence einzuführen. Zudem kann Value Pricing einfach und effizient umgesetzt werden, sodass die Realisierung bisher ungenutzter Gewinnpotentiale gelingen kann.