Digitaler Anlagenzwilling als Effizienzmotor für die Prozessindustrie
02.08.2018 -
Im Rahmen der Achema stellte Siemens sein Lösungsportfolio für die die digitale Transformation der Prozessindustrie vor. Eine zentrale Rolle spielt der digitale Zwilling.
Das durchgängige Datenmodell über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage (Integrated Engineering) wird im Zuge der digitalen Transformation auch zur Basis für Entscheidungen und Eingriffe auf operativer Ebene (Integrated Operations). Um dieses Datenmodell zu erstellen und für den gesamten Lebenszyklus einer Anlage vollumfänglich nutzbar zu machen, genügt es nicht, Daten nur zu sammeln. Von weit größerer Bedeutung ist die Strukturierung dieser Daten.
Sammlung, Analyse und Strukturierung der Daten
Bei der Strukturierung der Daten geht es um fünf Kategorien. Um einen digitalen Zwilling für den gesamten Anlagenprozess erstellen zu können, benötigt man Informationen zu den mechanischen Attributen, dem Verhalten, den Events, den Aktivitäten und der Konnektivität eines jeden Bauteils innerhalb der Anlage. Und genau hier unterscheidet sich der Siemens-Ansatz von anderen Herangehensweisen. In vielen Ansätzen in der Digitalisierung wird der Schwerpunkt immer nur auf einen Aspekt gelegt, auf eine dieser fünf Kategorien. Doch wenn man bspw. ein Bauteil nur mechanisch beschreibt, bleibt unklar, was dieses Bauteil im Zusammenspiel mit anderen Komponenten macht oder wie es sich gegebenenfalls unter bestimmten Umgebungsbedingungen verhält. Genau für diesen Gesamtüberblick bietet Siemens ein durchgängiges Produktportfolio aus Hard- und Software-Komponenten. Dazu gehört das Plant-Lifecycle-Management-System Comos zum Abrufen und bearbeiten von Daten und Dokumenten aus der Planungs- und Betriebsphase. Für das Aggregieren und Verknüpfen der Daten aus der Betriebs- und Unternehmensebene sorgt die Software XHQ Operations Intelligence und mit Simit lässt sich das Anlagenverhalten simulieren. Die digitale Plattform für Antriebssysteme Sidrive IQ verbindet die Antriebe mit MindSphere und ermöglicht so eine detaillierte Überwachung und Zustandsanalyse der Komponenten. Auf Basis von P&IDs (Piping Instrumentation Diagramms) werden mit Comos Walkinside 3D-Animationen einzelner Anlagenteile oder der ganzen Anlage erstellt, die unter anderem für die kosten- und zeiteffiziente Schulung der Operator genutzt werden können
Von „As Built“ zu „As Is“
Ziel ist es, basierend auf den Daten aller einzelnen Komponenten die Zusammenhänge darzustellen und den Prozess als Ganzes digital abzubilden. Der digitale Zwilling fungiert dabei durchgängig als wichtiges Tool zur Anlagenentwicklung und für den Betrieb. Er ersetzt die bisherige „statische“ Dokumentation durch einen dynamischen Ansatz. Nach der Anlagenfertigstellung erhält der Betreiber nicht mehr nur eine Sammlung physischer und digitaler Dokumente, die den „As Built“-Zustand wiedergeben. Mit dem digitalen Anlagenzwilling bekommt er vielmehr Zugriff auf ein lebendiges Anlagenmodell gemäß dem „As Is“-Zustand. Die Daten zum digitalen Equivalent der Wirklichkeit liegen entweder auf einem Server oder in einer Cloud, wie bspw. der MindSphere von Siemens und stehen als Entscheidungshilfen für den realen Anlagenbetrieb jederzeit zur Verfügung. Beim sogenannten Greenfield-Approach, also dem Neubau einer Anlage, hat sich die Erstellung eines digitalen Zwillings bereits etabliert und bewährt. Noch etwas zögerlich zeigt sich die Industrie bei Brownfield-Projekten, wenn es um die Digitalisierung bestehender Anlagen geht. Es wäre falsch, bei der Digitalisierung im Brownfield eine sofortige 100-%-Digitalisierung der Anlage anzustreben. Das wäre mit extrem viel Aufwand, Zeit und Kosteneinsatz verbunden. Viel sinnvoller und effizienter ist ein schrittweises Vorgehen, bei dem zunächst alle Daten digital erfasst werden, die zur Verfügung stehen. Meist lässt sich daraus bereits ein zu 60 – 70 % genaues digitales Abbild erschaffen. Das ist im ersten Schritt schon ziemlich gut.
Vorteile von Brownfield-Anlagen klar nutzen
Ein Tool, auf das die Betreiber in weiteren Schritten zur Digitalisierung ihrer Anlagen zurückgreifen können, ist die Software Context Capture des Siemens-Partners Bentley. Damit wird die gesamte Anlage mittels Fotos digitalisiert und als 3D-Modell realisiert. Innerhalb dieses Modells können dann bspw. an eine Pumpe oder an andere Komponenten sämtliche relevanten Informationen digital als virtuelles Infoschild angeheftet werden. Jeder Operator, der dann mit der Datenbrille an der Anlage vor dieser Pumpe steht, sieht alle zum Bauteil verfügbaren Informationen und kann selbst weitere hinzufügen. Je nach dem, wie hochfrequentiert oder auch problemanfällig das Bauteil ist, entscheidet der Anlagenbetreiber, wie detailliert die Daten zum jeweiligen Bauteil aufbereitet und verfügbar sein müssen. Dieser Aspekt ist ein großes Plus bei Brownfield-Anlagen. Die Anlage steht schon da. Das heißt, der User weiß aus dem realen Betrieb, wo und an welcher Stelle er mehr oder weniger genaue Daten benötigt und wo es sinnvoll ist, den digitalen Zwilling zu erweitern. Daran kann er den Aufwand ausrichten, den er bereit ist zu investieren, um diese Daten entsprechend zu generieren und aufzubereiten.
Digitalisierung liefert Tools für besonders effiziente Arbeit im Feld
Dabei genügen Big Data allein jedoch nicht. Nur mit einer klaren Strukturierung im Sinne eines Prozesses können die Daten in vollem Umfang genutzt werden. Zu diesem Nutzen gehört auch die Entwicklung von MVPs (Minimum Viable Products) wie bspw. Apps für bestimmte Funktionen. Eine dieser Apps ist das „Valve Monitoring“. Dabei werden in einer App sämtliche Ventile einer Anlage und deren Betriebsdaten angezeigt. Auf diese Weise kann der Betreiber etwa sehen, wie sich ein Ventil, durch das Wasser fließt, im Vergleich zum baugleichen Ventil, durch das Öl fließt, verhält. Gibt es Unterschiede, lässt sich schnell analysieren, ob es am Ventil oder dem Einsatzgebiet liegt. Trifft letzteres zu, also verhalten sich baugleiche Ventile unter verschiedenen Einsatzbedingungen nicht identisch, kann die Information wiederum an den Ventil-Lieferanten als Feedback zur Produktverbesserung weitergegeben werden. Diese Form der Co-Creation dient der gemeinsamen Weiterentwicklung der einzelnen Komponenten und damit letztlich der Weiterentwicklung der gesamten Anlage. Ein weiterer Aspekt der Digitalisierung, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist künstliche Intelligenz (KI/Artificial Intelligence, AI), die unter anderem bei der Systemwartung zum Einsatz kommt. Systeme, die aus Erfahrung und Komponentenverhalten lernen – das Kennzeichen für KI – setzen bei den Wartungszyklen der Anlagenbauteile selbstständig Prioritäten und unterbreiten dem Operator Vorschläge für die Wartungsintervalle der Komponenten. In der Folge unterstützen Digitalisierung, digitaler Zwilling und Apps den Operator im Feld bei seiner täglichen Arbeit. Die verbesserte Genauigkeit führt letztlich zu einer gesteigerten Verfügbarkeit und Effizienz der Anlage. Oder anders ausgedrückt: Die Digitalisierung hilft Unternehmen in der Prozessindustrie, bisher ungenutzte Potenziale zu heben.
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