Märkte & Unternehmen

Die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft

Der Umbau der Agrarbranche braucht Digitalisierung, Innovation und viel grüne Energie

17.05.2023 - Die Landwirtschaft steht vor einem zentralen Zielkonflikt: sie soll die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung mit einem effizienten Einsatz von Saatgut, Pflanzenschutz- und Düngemitteln gewährleisten und gleichzeitig Biodiversität, Klima- und Naturschutz fördern.

Die Landwirtschaft steht vor einem zentralen Zielkonflikt: sie soll die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung mit einem effizienten Einsatz von Saatgut, Pflanzenschutz- und Düngemitteln gewährleisten und gleichzeitig Biodiversität, Klima- und Naturschutz fördern. Die Lösung dieses Konflikts ist für die Zukunft der Landwirtschaft entscheidend. Für Deutschland als ein globales Kompetenzzentrum für Pflanzenschutz- und Düngemittel steht viel auf dem Spiel. Der Industrieverband Agrar (IVA) legt deshalb ein besonderes Augenmerk auf die Bedeutung von Innovationen und modernen Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft. Michael Reubold befragte den Präsidenten des IVA, Michael Wagner, wie die Branche mit den Herausforderungen umgeht und welche Chancen sie sich durch innovative Konzepte und Produkte eröffnen will.

CHEManager: Herr Wagner, der russische Angriff auf die Ukraine Ende Februar 2022 hat auch die Agrarmärkte geschockt und das Geschäftsumfeld tiefgreifend verändert. Wie hat sich die Situation seitdem entwickelt?

Michael Wagner: Auf den ersten Blick werden wir uns an 2022 natürlich als ein schwieriges Jahr erinnern. Gerade schien die Pandemie überwunden, da fanden wir uns in einem Krieg mitten in Europa wieder. Da die Ukraine eine wichtige Rolle für die globale Nahrungsmittelversorgung spielt, waren die Verwerfungen auf den Agrarmärkten besonders stark zu spüren. Und obwohl wir in Deutschland nicht vor leeren Regalen standen, sorgten sich die Landwirte zum Beispiel um die Versorgung mit Mineraldüngern, die knapp und entsprechend hochpreisig waren, oder um Pflanzenschutzmittel, deren Lieferketten gestört waren. 

Andererseits liegen auch in den aktuellen Herausforderungen erhebliche Chancen. So erleben wir gerade einen beschleunigten Umbau unseres Energiesystems weg von fossilen Energien, was letztlich auch der Transformation der Landwirtschaft zugutekommt. Wenn der Wirtschaftsminister die Versorgung mit grünem Wasserstoff zu einem Top-Thema macht, ist das ein hoffnungsvolles Signal für unsere Mineraldüngerproduktion. Die müssen wir aus strategischen Gründen im Land behalten – eine vollständige Abhängigkeit von Importen können wir uns hier nicht erlauben. Aber die Hersteller wollen klimaneutral werden, und dazu sind erneuerbare Energien und grüner Wasserstoff ein Schlüssel. 

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hatte der Ukraine-Konflikt auf das Jahresgeschäft 2022 mit Pflanzenschutz- und Düngemitteln in Deutschland?

M. Wagner: Hier zeigte sich in der vom Industrieverband Agrar vertretenen Branche kein einheitliches Bild. Die Gasknappheit und die damit verbundene Energiekrise hatten 2022 erhebliche Auswirkungen auf Herstellung und Nachfrage von Mineraldüngern in Deutschland. Da Energie und Gas bis zu 90 % der Herstellungskosten ausmachen, standen im Spätsommer fast zwei Drittel der heimischen Ammoniakproduktion still – mit Auswirkungen auch auf andere Bereiche. Es fehlte an AdBlue, Kohlendioxid für die Lebensmittelindustrie und wichtigen Grundstoffen in Medizin und Pharmaindustrie. Von bereits niedrigem Niveau kommend, sank die Absatzmenge beim wichtigsten Nährstoff Stickstoff in der vergangenen Dünge­saison noch einmal um 14 %. 

Etwas anders sah es auf dem Pflanzenschutzmarkt aus. Das Umsatzvolumen wuchs hier im vergangenen Jahr um knapp 19 % auf über 1,4 Mrd. EUR. Allerdings ist dieser Markt zuvor über viele Jahre kontinuierlich geschrumpft; wir sind jetzt erst wieder auf dem Niveau von vor zehn Jahren. Und um einem Missverständnis gleich vorzubeugen: Diese Zahl bedeutet nicht, dass Landwirte im vergangenen Jahr in dieser Größenordnung mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt hätten. Treiber für das Umsatzwachstum waren höhere Preise, aber auch durch eine gewisse Nervosität im Markt ausgelöste Vorratskäufe. Allein der Großhandel hatte in seinen Lagern zum Ende des Jahres 2022 wertmäßig 40 % mehr Pflanzenschutzmittel als noch ein Jahr zuvor.

Während die Branche die Auswirkungen des Krieges auf die Energie- und Rohstoffmärkte verkraften muss, wird zudem von ihr erwartet, die Transformation der Landwirtschaft voranzutreiben, um globale gesellschaftliche Herausforderungen wie Hungersnöte oder den Verlust der Biodiversität zu bekämpfen. Wie ist dieser Kraftakt zu stemmen?

M. Wagner: Es haben wohl alle relevanten Stakeholder verstanden, dass sich die Landwirtschaft in einem fundamentalen Transformationsprozess befindet. Und dieser ist nicht einfach. Als Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft bin ich froh, dass uns dazu ein fruchtbarer Dialog zwischen Landwirtschaft, Industrie und Umweltverbänden gelungen ist. Die hatte dazu vor knapp zwei Jahren einen, wie ich finde, guten Bericht erstellt, der alle Interessen unter einen Hut brachte: Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz, Förderung der Biodiversität – aber eben auch ein Bekenntnis zu einer produktiven Landwirtschaft in Deutschland, die auskömmliche Einkommen für die Landwirte erwirtschaften kann. 

Zur Förderung der Biodiversität hat der IVA im vergangenen Jahr ein umfassendes Konzept erarbeitet. Wir zeigen auf, dass auch mit dem vorhandenen Agrarbudget eine flächendeckende, effektive Biodiversitätsförderung möglich ist. Hierzu haben wir einen Dialog mit den involvierten Anspruchsgruppen – Politik, Behörden, Landwirtschaft und Naturschutzorganisationen – gestartet. Unser Ausgangspunkt ist: Biodiversität muss gezielt im Naturraum gefördert werden. Wir sind überzeugt, dass das möglich ist, ohne dabei die landwirtschaftliche Produktivität zu gefährden.

Können die Unternehmen dabei auf politische Unterstützung hoffen? Anfang März wurde bekannt, dass die EU-Kommission eher weitere Verschärfungen und noch härtere Reduktionsziele für chemische Pflanzenschutzmittel durchsetzen will.

M. Wagner: Man kann mit einigem Recht sagen, dass die EU-Pflanzenschutzverordnung, die Sie ansprechen, eines der kontroversesten Gesetzgebungsvorhaben der Europäischen Kommission aktuell ist. Kritik daran kommt nicht nur von uns, Kritik kommt von den Bauernverbänden, von zahlreichen Mitgliedsstaaten, Kritik kommt vom Agrarausschuss und vielen Fraktionen des Europäischen Parlaments. 
Insgesamt, und das ist unsere Kritik, baut die Vorlage der Kommission zu sehr auf starre Reduktionsziele und pauschale Verbote. Man muss aber zwischen der Reduktion von Mengen und der Reduktion von Risiken unterscheiden – denn da sind wir in Deutschland in den letzten zehn Jahren auf einem sehr guten Weg. Für verfehlt halten wir auch das Totalverbot in sogenannten sensiblen Gebieten. In Deutschland würde das bedeuten, dass auf knapp 4 Mio. ha de facto kein Pflanzenschutz mehr möglich wäre. Das wäre das Ende nicht nur der konventionellen Landwirtschaft in diesen Gebieten. Da auch der Ökolandbau nicht ganz auf chemischen Pflanzenschutz verzichten kann, wäre auch diese Form des Anbaus in Frage gestellt.

Ganz besonders wichtig aber ist, dass es im parlamentarischen Verfahren nicht zu einem Überbietungswettbewerb bei den Reduktionszielen kommt. So hat etwa die Berichterstatterin des Umweltausschusses im Europäischen Parlament bereits vorgeschlagen, das Reduktionsziel für die Substitutionskandidaten unter den Pflanzenschutzwirkstoffen von 50 auf 80 % anzuheben. Schon das bisherige Ziel ist außerordentlich ambitioniert. Es ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, warum dieses Reduktionsziel weiter hochgeschraubt werden soll.

Welche Herausforderungen und Chancen stellt die 2020 veröffentlichte europäische „Farm to Fork“-Strategie, die Teil des Green Deals ist und das europäische Lebensmittelsystem nachhaltiger gestalten soll, für Ihre Branche dar?

M. Wagner: Wir als Industrie wollen den integrierten Pflanzenbau weiterentwickeln. Dazu gehören für uns Innovationen wie Low-Risk-Produkte und Biologicals oder die Entwicklung von neuen resilienten Sorten, auch mit modernen Züchtungstechnologien. In all diesen Bereichen könnte uns der Staat entgegenkommen, indem er die Regulierung schlanker und effizienter gestaltet und insbesondere die Zulassungsverfahren beschleunigt. Was viele nicht wissen: Biologische Pflanzenschutzmittel müssen durch das gleiche komplizierte Zulassungsverfahren wie chemische Substanzen.

Um die Innovationen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft mitzugestalten, hat der IVA nach dem Fachbereich Biostimulanzien 2017 und dem Zentralbereich Digitalisierung 2021 im vergangenen Jahr den Fachbereich Pflanzenzüchtung gegründet. Welches Potenzial sehen Sie bei diesen Themen? Können Sie Beispiele nennen?

M. Wagner: Der IVA war vor gerade einmal fünf Jahren noch der Wirtschaftsverband der Pflanzenschutz- und Düngemittelhersteller in Deutschland. Wir haben in den vergangenen Jahren unser Wirkungsfeld deutlich erweitert – mit Biostimulanzien und biologischem Pflanzenschutz, mit neuen Züchtungsmethoden, mit der Digitalisierung sind neue Fachgebiete in unserem Verband dazugekommen.
Gerade in den digitalen Tools der Präzisionslandwirtschaft liegen gewaltige Potenziale für mehr Nachhaltigkeit. Sie können dem Landwirt helfen, besser zu erkennen, wo mögliche Schadereignisse auf seinem Ackerschlag zu finden sind oder wie es um die Nährstoffversorgung auf jedem einzelnen Quadratmeter bestellt ist. Bei der Ausbringung können Sensoren und kameragestützte Systeme ihn dabei unterstützen, dass Pflanzenschutzmittel selektiv nur auf den Teilflächen ausgebracht werden, die tatsächlich einen Befall aufzeigen. Ein solcher Smart Sprayer kommt mit 70 % weniger Herbizid aus. 

Und zu guter Letzt nimmt ihm die Digitalisierung viele bürokratischer Aufgaben ab. Seine Anwendungen sind rechtssicher dokumentiert, was angesichts wachsender Compliance-­Anforderungen immer wichtiger wird.

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass deutsche Unternehmen die notwendigen Innovationen für eine moderne, nachhaltige Landwirtschaft mitentwickeln werden?

M. Wagner: Die Potenziale sind unbestreitbar da: Zwei der heute weltweit führenden Unternehmen der Branche haben ihren Sitz in Deutschland. Doch vieles hängt in hochregulierten Branchen wie unserer auch an der Bereitschaft der Politik, für den Standort einzutreten. Die Weichen werden in den nächsten Jahren gestellt, und der IVA wird vehement für die Interessen der Branche eintreten.

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Zur Person

Michael Wagner ist seit Januar 2022 Präsident des Industrieverbands Agrar e.V. (IVA). Wagner ist staatlich geprüfter Landwirt und hat Studienabschlüsse in Agrarwissenschaften von der Technischen Universität München und in Marketing/Business Management vom Cranfield Institute of Technology, England. Er begann seine Karriere 1992 in der Düngemittelsparte bei BASF und war seitdem in unterschiedlichen Positionen in der Agrarsparte des Unternehmens in Deutschland, Spanien und Großbritannien tätig. Seit September 2019 verantwortet er bei BASF Agricultural Solutions als Vice President die Geschäfte für die Region Nordeuropa.

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