Anlagenbau & Prozesstechnik

Der digitale Rundgang durch die Chemieanlage mit der mobilen Web-Applikation

Mit modernen Tools zu mehr Mitarbeitermotivation und Sicherheit im Betrieb

11.03.2022 - Durch den Einsatz einer mobilen Webapplikation kann die Dokumentation von Instandhaltung und Wartung digital stattfinden. Das erleichtert Prozesse im Schichtbetrieb und motiviert Mitarbeiter.

Regelmäßig durchgeführte Rundgänge und Überprüfungen gehören zu den täglichen Aufgaben in chemischen Anlagen. Aufgrund des Gefahrenpotenzials fallen Chemieanlagen in der Regel unter die sogenannte Störfallverordnung. Anlagenbetreiber sind verpflichtet, potenziellen Störungen vorzubeugen und entsprechend umsichtig zu handeln. Ein autonomer Betrieb allein aus einer entfernten Leitwarte heraus ist daher undenkbar. Auch im planmäßigen Betrieb muss die Anlage regelmäßig von Personen begangen und überprüft werden. Denn nicht für alles, was defekt sein kann, gibt es Sensoren.

Potenziale der digitalen und papierlosen Dokumentation

Aus diesem Grunde schicken Produktionsleiter ihr Personal zum Teil mehrmals täglich mit einer Checkliste auf einen Rundgang, auch um ein Verständnis der komplexen Verfahrensstufen zu entwickeln. Nur wer eine Anlage vollständig versteht, kann in einem Störfall auch richtig handeln. Daher müssen die Mitarbeiter während ihrer Rundgänge auch immer wieder Messwerte ablesen und händisch notieren, obwohl diese zum Teil bereits digital vom Leitsystem erfasst werden. Im Anschluss an den Kontrollrundgang werden die notierten Werte häufig in eine Excel-Tabelle übertragen, was fehleranfällig und zeitaufwendig ist.

Spätestens bei schlechtem Wetter und Regen zeigen sich die Grenzen dieser papierbasierten Lösung. Außerdem können manche Orte auf der Anlage schwer zugänglich sein und werden daher immer wieder ausgelassen. Werden während des Rundgangs Auffälligkeiten an der Anlage festgestellt, werden diese nicht selten mündlich an die Schichtleitung übermittelt. Hinzu kommt die allgemeine Herausforderung, die Anlagen tendenziell mit weniger Personal zu betreiben, was dazu führen kann, dass Mitarbeiter in nur kurzer Zeit zwischen mehreren Anlagen wechseln müssen. Eine digitale Lösung auf einem Mobilgerät, das die nötigen industriellen Anforderungen wie Explosionsschutz erfüllt, kann das Personal unterstützen. Dies ist auch im Sinne einer Robotics Process Automation-Strategie (RPA) zu sehen, für die repetitive, manuelle und fehleranfällige Tätigkeiten durch Software automatisiert werden. Durch das digitale Erfassen der Daten während der Rundgänge können die Informationen einfacher genutzt und verfügbar gemacht werden. Hierbei werden dann auch Zustände erfasst, die nicht im Leitsystem verfügbar sind.

User Experience der digitalen Lösung

Um eine neue digitale Lösung erfolgreich umzusetzen und nachhaltig zu nutzen, muss das Design der Anwendung einige Voraussetzungen erfüllen. Die Lösung muss Mitarbeiter bei ihren Tätigkeiten effizient unterstützen, daher spielen Ergonomie und User Experience im freien Feld eine wesentliche Rolle. Im Vordergrund der Entwicklung stand eine mobile Webapplikation, die auf einem industriellen Mobilgerät mit ATEX-Zertifizierung genutzt werden kann. Das Gerät im Format eines Smartphones bietet den Vorteil, dass es mit nur einer Hand bedient werden kann: ein großes Plus an Sicherheit.
Um von Anfang an eine hohe Akzeptanz bei den Mitarbeitern zu erreichen, wurden sie in die Entwicklung des Designs und der Funktionalität mit einbezogen. Die Möglichkeit der effizienten und sicheren Dateneingabe stand hierbei im Vordergrund. So werden wann immer möglich, vordefinierte Auswahl-Buttons oder entsprechende Drop-down-Menüs genutzt. Bei der Eingabe von Zahlen erscheinen die zuletzt erfassten Werte mit der Möglichkeit, diese über Plus/Minus-Knöpfe schnell abzuändern. Dass Zahlen oder Text mithilfe des Tastaturfeldes erfasst werden, ist eher eine Ausnahme. Auch Faktoren, wie z. B. die Bedienbarkeit mit Handschuhen wurde berücksichtigt.

 

Navigation auf dem Gelände

Durch die farbliche Kennzeichnung (grün oder rot) wird sofort kenntlich, ob der eingegebene Wert sich im entsprechenden Sollbereich befindet oder nicht. Durch eine Wischbewegung der Bildschirmelemente lassen sich weitere Details und historische Werte über die Messstelle anzeigen.

Um die Navigation auf dem Gelände zu erleichtern, sind Wegpunkte mit Messstellen auf einer Karte eingezeichnet und die Mitarbeiter können sich zügig orientieren. Wer sich auf der Anlage noch nicht gut auskennt, findet nun Sensoren oder Aggregate deutlich schneller. Dies wird u. a. durch den Einsatz von sogenannten Bluetooth Beacons realisiert, die eine genaue Lokalisierung auch ohne GPS möglich machen. Die Webanwendung erfordert eine Anbindung an einen Server, der entweder vor Ort oder in der Cloud installiert sein kann. Dementsprechend wird im Bereich des Rundgangs WLAN oder mobiles Internet benötigt. Gelegentliche Unterbrechungen oder Lücken in der Abdeckung können jedoch durch die enthaltene Offline-Fähigkeit der Anwendung kompensiert werden.

Seit Ende des Jahres 2019 ist das neu entwickelte System bei der Domo Caproleuna in Leuna in Betrieb und fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Mit der täglichen Nutzung entstanden neue Wünsche, um die das System erweitert wurde. So wurde bspw. den Rundgängen deutlich mehr Flexibilität eingeräumt. Einige Positionen sind weniger starken Änderungen unterworfen, sodass hier auch mal ein Punkt ausgelassen werden kann. Welche das sind, kann vorgegeben werden bzw. entscheidet das System selbst mithilfe eines KI-Algorithmus. Falls Schäden oder Leckagen an der Anlage festgestellt werden, haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, diese positionsgenau und per Audio, Foto oder Video zu dokumentieren und das Problem zu kommentieren. Diese Meldungen werden direkt an die zuständige Person weitergeleitet.

Meldung an die Leitwarte

In einem Dashboard wird der aktuelle Zustand der Anlage dargestellt. Auf der Übersichtskarte werden alle Kontrollpunkte und vorhandene Störmeldungen direkt angezeigt. Die Vorgesetzten sind durch das enthaltene Dashboard in der Lage, die Daten der Rundgänge jederzeit einzusehen, Berichte daraus zu erstellen oder die Daten zu exportieren. Auch kann eine Meldung im Sinne einer Störmeldung im SAP-System angelegt werden, woraus sich dann z. B. ein Wartungsauftrag ergibt. Das Dashboard ermöglicht einen Einblick in die einzelnen Wegpunkte mit den dazugehörigen Messstellen, deren Einheiten und Sollwerten. Durch zusätzliche Fotos der Messstellen können sich Mitarbeiter einen Überblick über den Wegpunkt verschaffen.

Dies hilft auch dabei, neues Personal anzulernen oder die Planung mit Subunternehmern zu erleichtern. Zusätzliche Unterstützung dabei bietet eine 360°-Ansicht der Anlage. So muss die Leitwarte nicht direkt verlassen werden, um sich auf der Anlage zurechtzufinden.

Mehrwert zeigt sich im Störfall

Die Mehrwerte für Betreiber und Mitarbeiter sind vielschichtig, aber nicht immer einfach messbar. Zuverlässig durchgeführte und dokumentierte Rundgänge bieten einen Mehrwert an Sicherheit. Sollte es zu einem Störfall kommen, sind zuvor durchgeführte Rundgänge und Sicherheits­checks fälschungssicher dokumentiert.

Zustände und Messwerte, die zuvor nicht erfasst wurde, sind jetzt digital verfügbar und stehen als Input für andere Systeme zur Verfügung. Im Dashboard lässt sich schnell der aktuelle Zustand der Anlage überprüfen und dieses bietet den nötigen Zugriff auf alle relevanten Daten sowie ein Reporting.

Durch das intuitive Design hat die Anwendung eine große Akzeptanz bei der Belegschaft erfahren. Umfragen bei den Mitarbeitern haben ergeben, dass die Rundgänge selbst zwar nicht schneller, dafür jedoch wesentlich gründlicher durchgeführt werden. Wirklich zeitsparend ist allerdings das wegfallende Digitalisieren der handschriftlichen Aufzeichnungen, was nun komplett entfällt. Der Informationsverlust bei der Schichtübergabe wird deutlich reduziert und die Informationslage sogar verbessert.

Nachrüstbares System

Durch den Einsatz von modernen Bluetooth Beacons ist die Lösung sehr schnell und leicht nachrüstbar und greift nicht in bestehende Systeme ein. Hinzu kommen Mehrwerte, die sich schlecht in Zahlen ausdrücken lassen, wie z. B. Mitarbeiter, die motiviert sind, einen Rundgang durchführen, da sie nun ein zeitgemäßes Werkzeug dafür in der Hand halten.
Im größeren Kontext ist die Digitalisierung der Anlagenrundgänge auch für das Monitoring der Anlage wichtig. Durch das mobile Feedback, können die Informationen direkt im Monitor­ing verarbeitet werden. Wenn eine Schadensmeldung vorliegt oder ein Sensoraustausch vorgenommen wurde, dann ist dies auch in den Monitoringdaten sichtbar und das abweichende, erwartete Verhalten der Maschine kann damit in Korrelation gesetzt werden. Eine KI-gestützte Monitoringlösung kann dann in Zukunft den Anlagenfahrer bei dem gleichen Verhalten warnen und vorausschauende Handlungsem­pfehlung für die Wartung geben.

Die Autoren
Tania Schulze, Business Developer, Industrial Analytics IA
Eike Hylla, Produktmanager, Industrial Analytics IA

 

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