Dechema und VDI-GVC stärken die Gemeinsamkeiten
Neuaufstellung der Dechema- und VDI-GVC-Gremienlandschaft
CITplus: Frau Woppowa, Frau Rübberdt, mit dem neuen Jahr stellt sich auch die Gremienlandschaft von VDI und Dechema neu dar. Was steckt hinter den Veränderungen?
Kathrin Rübberdt: Tatsächlich war die Neuaufstellung der Gremienlandschaft, die wir im letzten Jahr entwickelt haben, die grundlegendste Veränderung seit der Gründung von ProcessNet. Dafür gab es mehrere Gründe. Insgesamt umfassten ProcessNet und das Dechema-BioTechNet rund 120 Gremien mit sehr unterschiedlichen Historien und Arbeitsweisen. Nicht nur für Außenstehende war es extrem schwierig, herauszufinden, wer sich mit was beschäftigt und wo man sich wie beteiligen kann. Oft wussten die Gremien zu wenig voneinander, um Initiativen von vornherein gemeinsam zu starten und einen Überblick zu haben, wo welche Expertise bereits vorhanden ist.
Ljuba Woppowa: Wir haben im ProcessNet-Lenkungsausschuss schon seit Längerem intensiv darüber diskutiert, wie wir die Arbeit in ProcessNet verbessern können. 2020 haben wir dazu auch eine Mitgliederumfrage durchgeführt. Wichtige Punkte, die von unseren Mitgliedern hinterfragt wurden, waren zum Beispiel: Wie können wir schneller auf aktuelle Themen reagieren? Wie erreichen wir mehr Sichtbarkeit in der Community, aber auch bei Forschungsförderern und Politik? Und wie können wir vor allem den Nachwuchs – unser wertvollstes Gut (siehe CIT2022/12) – besser aktiv einbinden? All diese Fragen haben wir bei der Neuaufstellung berücksichtigt und gemeinsam mit vielen engagierten Personen geeignete Konzepte erarbeitet.
Was zeichnet die neue Struktur aus?
K. Rübberdt: Die neue Struktur trennt schärfer zwischen verschiedenen Aktivitäten anhand ausgewählter Kriterien: Wo können wir als Geschäftsstelle einen echten Mehrwert bieten, wo werden wir wirklich gebraucht, und wie können wir möglichst viele Synergien erzielen, um vor allem nach außen mit einer Stimme zu sprechen? Dementsprechend unterscheiden wir zukünftig zwischen drei Ebenen. In den Fachgruppen liegt der Fokus auf dem wissenschaftlichen Austausch innerhalb von fachlich ausgerichteten Communities. Diese kennen sich in der Regel untereinander und brauchen keine Hilfestellung bei der Vernetzung und der inhaltlichen Arbeit, sondern eine professionelle organisatorische Unterstützung. Sie bleiben in ihrer ganzen fachlichen Vielfalt erhalten. In den neuen Fachsektionen kommen Communities zusammen, die einerseits eine gewisse fachliche Breite abbilden und verschiedene Perspektiven verknüpfen, andererseits eine gemeinsame thematische Basis und „Sprache“ haben. Unser Ziel ist es, diese noch aktiver zu vernetzen, Themen zu identifizieren und die Impulse aufzugreifen, die aus den Fachgruppen oder von anderer Stelle kommen. Auf dieser Ebene unterstützen wir inhaltlich und organisatorisch, damit aus den Diskussionen konkrete Ergebnisse werden, die wir dann auch entsprechend breit und professionell kommunizieren.
L. Woppowa: Besonders wichtig ist die dritte Ebene, auf der wissenschaftlich, gesellschaftlich oder politisch relevante Querschnittsthemen erstmals sichtbar werden. Das war ein besonders wichtiges Ergebnis der Diskussionen in den Gremien von ProcessNet. Wir haben schon immer „große“ übergreifende Themen wie Circular Economy oder Digitalisierung behandelt, aber wir haben in der bisherigen Struktur sehr lang gebraucht, um diese aufzusetzen und zu bearbeiten. Dies soll zukünftig deutlich schneller und transparenter ablaufen. Wenn mindestens zwei Fachsektionen ein relevantes Thema identifizieren und mit Fachleuten und Know-how unterstützen, organisieren wir ein Kick-off, und dann wird das Thema mit klar definierten Zielen, Zeitplänen und auch entsprechenden Ressourcen der Geschäftsstelle begleitet.
Im Zuge der Neustrukturierung verzichten Sie auf die Marke ProcessNet. Warum?
K. Rübberdt: ProcessNet war für die Entwicklung der engen Zusammenarbeit zwischen VDI und Dechema sehr wichtig. Über ein Jahrzehnt wurde diese Zusammenarbeit aufgebaut und vertieft und hat sich für die Beteiligten zu einer Selbstverständlichkeit entwickelt. Gleichzeitig war immer wichtig, dass sowohl die Dechema als auch der VDI mit ihren jeweiligen Spezifika und auch ihrem Bekanntheitsgrad sichtbar bleiben. ProcessNet war ein Markenname, der aber insbesondere in der Außendarstellung erklärungsbedürftig war. Wir hatten uns daher von Beginn an mit dem Zusatz „Gemeinsame Initiative von Dechema und VDI“ beholfen. Mittlerweile ist die Identifikation mit der gemeinsamen Arbeit so groß, dass wir die Kooperation zukünftig unter den Namen beider „Mutter“-Organisationen Dechema und VDI fortsetzen wollen.
L. Woppowa: Zukünftig wird es fünf gemeinsame Dechema/VDI-Fachsektionen geben; auch darüber hinaus wird die Abstimmung zwischen Dechema und VDI eng sein, denn bei vielen Themen sind auch weitere VDI-Fachgesellschaften und Dechema-Fachsektionen mit ihren Expertisen wichtig. Wir freuen uns auf die gemeinsame Zukunft.
In Ihren beiden Organisationen gab es in den letzten Jahren erhebliche strukturelle Veränderungen. Wie wirkt sich das auf die praktische Arbeit in den Gremien aus?
K. Rübberdt: Natürlich spielen bei der Neustrukturierung auch finanzielle Aspekte eine Rolle; die Coronapandemie und die ausgefallenen Veranstaltungen haben uns hart getroffen. Es ging bei der Neuaufstellung aber nicht nur ums Sparen, sondern darum, die Ressourcen, die wir haben, wirklich zielführend einzusetzen. Diese Intention stand hinter dem gesamten Prozess. Im Ergebnis können wir sagen, dass wir die eigentlichen Ziele der Gremien – Vernetzung, aktive Bearbeitung von Themen, Stimme der angewandten Forschung sein – weiterhin sehr gut fördern können, vielleicht sogar teilweise besser als vorher. Besonders haben wir hier die Vernetzung und den Austausch im Blick, bei denen es in der Vergangenheit noch Luft nach oben gab. Aber auch die Sichtbarkeit der Gremien, sowohl der Fachgruppen als auch der Fachsektionen, soll durch die neue Struktur gestärkt werden. Es stimmt aber auch, dass gerade in den Fachgruppen das Ehrenamt mehr Aufgaben übernimmt und der eine oder andere lieb gewonnene Komfort verlorengeht. Wir sind uns dessen bewusst und bedauern das sehr, wir denken aber, dass wir unseren wichtigen Aufgaben nur so auch zukünftig gerecht werden können.
L. Woppowa: Im VDI haben wir nicht zum ersten Mal eine Neustrukturierung vorgenommen – immer auch mit dem Ziel, sich modern aufzustellen und den Mitgliedern attraktive Angebote sowie eine hohe Identifikations- und Gestaltungsmöglichkeit zu bieten. Mit den VDI-Fokusthemen greifen wir seit Jahren politisch und wissenschaftlich relevante Themen auf. Aktuell dreht sich bei uns alles um die wichtigen globalen Fragen: Energiewende, 1,5-Grad-Ziel, Klimaveränderung, Klimaanpassung. Dies sind Themen, die die Chemie und Verfahrenstechnik direkt und fundamental betreffen und die wir auch auf dem Deutschen Ingenieurtag am 25.5. aufgreifen. Dank unserer ehrenamtlich engagierten Fachleute und der fachlich breit aufgestellten Community in den 12 VDI-Fachgesellschaften können wir auf einen immens großen Wissensschatz zurückgreifen. Außerdem hilft uns unsere bald 140-jährige Erfahrung in der Konsensfindung im Richtlinienprozess, die komplexen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Aufgaben zu bearbeiten. Das Zusammenführen unterschiedlicher fachlicher Einschätzungen und Ansichten ist eine unserer großen Stärken, die wir zukünftig noch weiter ausbauen werden. Dazu gehört auch ein enger Austausch und die Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen der Dechema. Denn übergreifende Teamarbeit, Teilen von Wissen, Interdisziplinarität und Netzwerk waren noch nie so wichtig wie heute.
Wo sehen Sie in den nächsten Jahren die wichtigsten Aufgaben für VDI und Dechema?
K. Rübberdt: Gesellschaft, Politik und Wissenschaft stehen vor riesigen Aufgaben, wenn wir die Energiewende, den Klimaschutz, die Ernährung der Weltbevölkerung, die geopolitischen Herausforderungen für die Lieferketten und vieles mehr meistern wollen. Wir können dazu beitragen, und zwar gerade dadurch, dass wir über Fachgrenzen hinausschauen. Das müssen wir in den nächsten Jahren weiter fördern und unsere Vorschläge auch in Gesellschaft und Politik hineintragen.
L. Woppowa: Und um das zu erreichen, brauchen wir kluge Köpfe, die sich diesen Aufgaben widmen. Die Entwicklungen in den MINT-Studiengängen sind besorgniserregend. Es genügt nicht, junge Menschen für Wissenschaft und Technik zu begeistern; wir müssen auch die Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten schaffen, damit junge Menschen in den Ingenieur- und Naturwissenschaften bestmöglich vorbereitet sind, um ihre Ideen in Anwendungen zu überführen. Diese große Aufgabe können wir nur gemeinsam mit Industrie, Hochschulen, Behörde und anderen Verbänden lösen. Letztlich ist dies der Weg, um die Energiewende zu erreichen, dem Klimawandel zu begegnen, aber auch den Fachkräftemangel zu beheben und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und der Hochschullandschaft zu stärken.
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