CHEMonitor 2/2007 - Deutsche Industrie im Zeichen des Wachstums
06.12.2012 -
CHEMonitor: 2007 - Deutsche Industrie im Zeichen des Wachstums
Ein Drittel der deutschen Chemieunternehmen bekennt sich zu einem klaren Wachstumskurs (Grafik 1). Dies ergab die erste Umfrage des Trendbarometers CHEMonitor vom Dezember 2006. Die Hälfte der wachstumsorientierten Unternehmen setzt dabei gleichgewichtig auf organischen Zuwachs und gezielte Akquisitionen. Während sich hingegen 38 % rein auf das Wachstum aus eigener Kraft (Grafik 2) konzentrieren. Diese Betriebe setzen zu je 19 % auf zwei Wachstumsfaktoren: die Erschließung neuer Kundengruppen und die Erweiterung des Produktportfolios. Die Verstärkung der regionalen Präsenz und das Angebot neuer Mehrwert-Dienstleistungen folgen dicht mit jeweils 15 %. Insgesamt zeigt das Ergebnis des ersten CHEMonitors, dass die deutsche Chemieindustrie mannigfaltige Instrumente nutzt, um organisches Wachstum zu generieren.
„Wie die Beispiele Lanxess und Bayer Materialscience mit weit vorangetriebenen Restrukturierungen zeigen, soll und darf der gerade gewonnene Effizienzzuwachs nicht gleich mit der nächsten Expansionswelle zunichte gemacht werden“, kommentiert Dr. Juan Rigall, geschäftsführender Partner bei Droege & Comp., die Ergebnisse der Panel-Befragung. So wollen mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen Wachstumsund Kostenorientierung gleichermaßen in den nächsten zwölf Monaten verfolgen. Keinen Widerspruch, sondern einen zwingenden Zusammenhang sieht hierin Dr. Andreas Kreimeyer, Vorstandsmitglied der BASF: „Nachhaltiges profitables Wachstum erfordert permanente Effizienz- und Produktivitätssteigerung. Erst kontinuierliche Verbesserung schafft die Basis für nachhaltiges profitables Wachstum. Akquisitionen eröffnen dabei zusätzliche Potentiale für Produktivitätssteigerungen.“
Chemieindustrie bewertet Standort schlechter als andere Branchen,
Hohe Arbeitskosten und bürokratische Überregulierung sind die Hauptgründe, warum Entscheider der deutschen Chemieindustrie die Standortbedingungen in Deutschland im Branchenvergleich weniger positiv sehen. Ein Ausschnitt aus dem Handelsblatt Business Monitor zeigt, dass die Chemieindustrie die Standortbedingungen traditionell zurückhaltender bewertet (Grafik 3). Auch im aktuellen Stimmungshoch sind die Chemiemanager kritischer als ihrer Kollegen in anderen Branchen: Während in Summe 78 % aller deutschen Top-Manager die Standortbedingungen als „gut“ oder zumindest „eher gut“ bewerten, sind es in der Chemieindustrie lediglich 66 % (Grafik 4).
Auch was die Entwicklung der Standortbedingungen für die Chemieindustrie in Deutschland betrifft, zeigen sich die Chemiemanager zurückhaltend: nur 4% sind von einer Verbesserung überzeugt, 30 % prognostizieren dagegen eine Verschlechterung der Standortbedingungen in den nächsten 12 Monaten (Grafik 5). Hier wird der Appell an die Bundesregierung, endlich die substanziellen Weichenstellungen zur Verbesserung der Standortbedingungen für die Chemieindustrie anzugehen, unüberhörbar.
Natürlich trägt auch die Europapolitik zur pessimistischeren Einschätzung bei. So hat die europäische Chemikalienverordnung Reach nach ihrer Verabschiedung durch das Europaparlament im Dezember 2006 (vgl. CHEManager 1/2007) nicht an Drohpotential verloren. Sie könnte dazu führen, dass die Industrie rund 30.000 Substanzen auf ihr Risikopotential testen muss. Experten schätzen gar, dass die EU-Behörde spezielle Zulassungsverfahren für etwa 1.500 Stoffe anordnet.
Investitionen trotz Standortnachteil
Das Investitionsverhalten wird sich in den kommenden 12 Monaten von diesen negativen Einschätzungen abgekoppelt entwickeln. Man kann zwar nicht von einer Euphorie sprechen, doch bestätigt die Befragung des CHEMonitor-Panels zumindest den branchenübergreifenden Trend: Knapp über die Hälfte der Chemieunternehmen wollen ihre Investitionen konstant halten, 39% sogar erhöhen (Grafik 6).
Bei diesen expansiv investierenden Chemieunternehmen steht Deutschland (29%) noch an der Spitze der Zielländer, gefolgt von China (15%) sowie West- und Ost-Europa (Grafik 7). Dabei verliert Deutschland zugunsten von asiatischen Standorten kontinuierlich an Attraktivität.
Unternehmen, die ihre Investitionen in Asien forcieren, sind beispielsweise Lanxess, das seine Anlagen zur Produktion von ABS-Kunststoffen in Indien ausbaut, und Bayer Materialscience, das in den nächsten Jahren rund 80 Mio. € in den Ausbau seines asiatischen Produktionsnetzwerkes für Polycarbonate investieren wird.
Die Chemie entdeckt den Markt
Und noch einen weiteren Trend spiegelt der aktuelle CHEMonitor wieder: Nach vielen Dekaden der Produktionsund Technologieorientierung, scheinen sich die Manager auf den Markt sowie seinen Bearbeitungs- und Ausschöpfungsmöglichkeiten zurück zu besinnen. Nimmt man die Investitionen in Marketing und Vertrieb zusammen, dann messen die Entscheider in der deutschen Chemieindustrie diesen Investitionen die zweithöchste Bedeutung nach den notwendigen Mitteln für Produktionsanlagen zu. Erst an dritter Stelle folgen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nach Jahren der Verteilungsmentalität erlebt die Vermarktung in den Chemieunternehmen aktuell eine Renaissance. Neue Vertriebskanalstrategien, neue Geschäftsmodelle sowie weitere Service- und Vertriebsoptimierungen stehen heute auf der Agenda vieler Chemieunternehmen.
Wachstum bewirkt keine Impulse für mehr Beschäftigung
Die Anzahl der Unternehmen, die 2007 ihre Mitarbeiterzahl erhöhen und derer, die Personal abbauen wollen, hält sich die Waage. Keine Veränderung im Personalstand erwartet mit 43 % knapp die Hälfte der Befragten (Grafik 8). Daraus lässt sich schließen, dass der Trend zum Beschäftigungsabbau durch den kontinuierlichen Produktivitätsfortschritt von ca. 3% pro Jahr auch 2007 trotz Wachstumskurs der Branche nicht umgekehrt werden wird. Wenn allerdings Personalaufbau geplant ist (28% der Befragten), dann erfolgt dieser – der oben beschriebenen „Hinwendung zum Markt“ folgend – konsequenterweise vor allem im Marketing und Vertrieb. Nur so lässt sich das beabsichtigte organische Wachstum stemmen. In denjenigen Unternehmen, die Personal einstellen wollen, profitiert Deutschland stark von den Expansionsplänen. Ein Drittel dieser Unternehmen sieht den Personalaufbau sogar ausschließlich in der Heimat, lediglich 10 % der Unternehmen stellen nur im Ausland ein.
Trotz Kritik: Geforscht wird vor allem in Deutschland
Um weiter zu wachsen, setzt die deutsche Chemieindustrie unvermindert auf Forschung und Entwicklung. Besonders positiv hierbei: 44% der Unternehmen wollen ihre F&E-Ausgaben erhöhen, davon 15 % sogar um mehr als 15 %. Obwohl heute mehr als zwei Drittel der Unternehmen ihr Geld für Forschung und Entwicklung vor allem in Deutschland ausgeben, wird sich dies in Zukunft schrittweise ändern.
Unternehmen, die ihre F&EAusgaben erhöhen, tun dies zwar noch zu 39 % in Deutschland, bei 18 % fließen jedoch zusätzliche Investitionsmittel bereits nach China und immerhin noch 16 % in die USA (Grafik 9). Der Trend, sich lokales Know-how, lokale Kostenstrukturen und Marktnähe zu sichern, treibt die Unternehmen dazu, Laborkapazitäten v.a. in Asien aufzubauen. Der Aufbau eines Nanotechnologie- Zentrums in Singapur durch die BASF, neue Labore der Altana Chemie in Indien und China sowie die expansive Gründung von „Technical Centers“ durch Wacker Polymers in diesen beiden Ländern sind nur einige Beispiele hierfür.
2007: 6–7% mehr Umsatz
Trotz eines pessimistischeren Ausblicks hinsichtlich der Standortbedingungen sieht ein Großteil der Umfrageteilnehmer auch das Jahr 2007 aufgrund der Nachfrageentwicklung finanziell unter einem guten Stern. Dies belegen die Prognosen für das Umsatzwachstum. Demnach schätzen 59 % der Befragten die Umsatzsteigerungen auf über 5%, 23 % rechnen sogar mit einem Plus von 10% im Vergleich zum Vorjahr (Grafik 10).
Die Panel-Teilnehmer liegen damit über der aktuellen Branchenprognose des Verband der Chemischen Industrie (VCI). Dieser hatte im Dezember eine Zunahme des Branchenumsatzes um 2,5% vorhergesagt.