Chance in der Krise
02.02.2010 -
Die Krise macht's möglich: Zum ersten Mal seit fast 30 Jahren ist 2009 der weltweite Energieverbrauch und damit auch der Ausstoß an Treibhausgasen gesunken, so das Ergebnis des World Energy Outlook der Internationalen Energieagentur. Zusammen mit den Konjunkturpaketen, die vielfach auf den Ausbau erneuerbarer Energien abzielen, hätte dies eine unerwartete Chance im Kampf gegen den Klimawandel sein können. Dafür wären allerdings konkretere Ergebnisse beim Klimagipfel in Kopenhagen nötig gewesen.
Wie jedes Jahr stellte die Internationale Energieagentur, ein Zusammenschluss von 30 OECD-Ländern, im November letzten Jahres ihren „World Energy Outlook" vor. Der umfangreiche Bericht beschreibt den Status quo der Weltenergieversorgung und prognostiziert die Entwicklung der Exploration von Energieträgern, der Energieerzeugung, des Verbrauchs und der Treibhausgasemissionen bis 2030.
Eines war dieses Mal anders als sonst: Erstmals seit 1981 ist der weltweite Energieverbrauch und - damit zusammenhängend - der Ausstoß an Treibhausgasen zurückgegangen. Der Grund ist die weltweite Wirtschaftskrise und die damit verbundene gesunkene industrielle Produktion. Die Nachricht zeigt also keine Kehrtwende an, sondern allenfalls eine kurze Verschnaufpause im internationalen Bemühen um die zukünftige Energieversorgung und im Kampf gegen den Klimawandel.
Zwei Szenarien
Berechnet haben die Autoren des Berichts zwei Zukunftsszenarien: Das sogenannte Referenzszenario geht von einem „Weiter wie bisher" aus: Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben unverändert. In diesem Szenario steigt der weltweite Energieverbrauch im kommenden Jahrzehnt deutlich an, und zwar um 1,5% pro Jahr, was einen Anstieg von 12.000 Mio.t Öläquivalent im Jahr 2007 auf 16.800 Mio.t Öläquivalent im Jahr 2030 bedeuten würde. Durch die zunehmende Stromproduktion in Kohlekraftwerken würden die Kohlendioxidemissionen stark ansteigen. Dies hätte eine Erhöhung des globalen Klimas um 6 Grad und unkalkulierbare Risiken und Kosten zur Folge.
Dass man dies verhindern muss, darüber herrscht inzwischen ein breiter Konsens. Größtenteils Einigkeit besteht auch bezüglich des Ziels, die globale Temperaturerhöhung auf 2 Grad zu begrenzen. An diesem Ziel orientiert sich daher auch das zweite der im World Energy Outlook beschriebenen Szenarios. Dieses sogenannte „450-Szenario" zeichnet das Bild einer Welt, in der international gemeinsam politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre langfristig auf 450 Teilchen CO2-Äquivalente pro einer Million Luftmoleküle (ppm CO2 e) zu begrenzen.
Um dies zu erreichen, sind allerdings erhebliche und zügige Maßnahmen notwendig, und die politischen internationalen wie nationalen Aktivitäten müssten darauf ausgerichtet werden.
Energieträger
Im „Weiter wie bisher"-Szenario bleiben die fossilen Brennstoffe weltweit die vorherrschende Primärenergiequelle, auf sie entfallen über drei Viertel des Gesamtanstiegs des Energieverbrauchs zwischen 2007 und 2030. Der größte Anstieg liegt bei der Kohle, gefolgt von Gas und Öl. Erdöl wird auch 2030 noch den Löwenanteil im Primärenergiemix haben. Die größten Zuwächse verzeichnen jedoch - sogar im konservativem Referenzszenario - die modernen erneuerbaren Energieträger, also Windkraft, Sonnenenergie, Geothermie, Gezeiten- und Wellenenergie sowie Bioenergie. Sie wachsen von derzeit 2,5% auf 8,6% an. Der Anteil der Wasserkraft, bei der kein großes Wachstumspotential mehr möglich ist, sinkt hingegen von 16% auf 14%.
Energieeffizienz bringt am meisten
Im 450-Szenario wird eine andere Entwicklung vorausgesetzt. Natürlich spielen erneuerbare Energieträger auch hier eine zentrale Rolle: Die Kohleverstromung wird bis 2030 auf die Hälfte reduziert.
Als Schlüsselelement wird jedoch die Energieeffizienz angegeben, da sie laut dem Bericht den größten Beitrag zur Emissionssenkung ermöglicht. Energieeffizienzinvestitionen im Gebäudesektor, in der Industrie und im Verkehr, so der Bericht, könnten bereits nach kurzer Zeit amortisiert werden. Mit nationalen Beschlüssen und auf die einzelnen Sektoren ausgerichteten politischen Maßnahmen könnte es gelingen, die jährlichen Emissionen bis 2020 um 2,1 Mrd.t zu reduzieren. Die verbleibende notwendige Einsparung von 1,7 Mrd.t könnten über den Emissionshandel realisiert werden.
Finanzierungsmechanismen
Um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, müssten zwischen 2010 und 2030 weltweit zusätzlich 10.000 Mrd. US-$ in kohlenstoffarme Technologien und Energieeffizienz investiert werden. Etwa 45% davon entfallen auf den Verkehrssektor. Der zweitgrößte Posten ist der der Gebäudesektor. Damit ist auch klar, dass die privaten Verbraucher den Großteil dieser Investitionen tragen würden, indem sie emissionsarme Fahrzeuge kaufen und ihre Häuser energieeffizient ausrüsten.
Den Investitionen für die Erreichung des 2-Grad-Ziels stehen Nutzeffekte in den Bereichen Wirtschaft, Gesundheit und Versorgungssicherheit gegenüber, die die Kosten zumindest teilweise ausgleichen: Die Energiekosten im Verkehrs-, Gebäude- und Industriesektor verringern sich - allein die Kraftstoffeinsparungen belaufen sich auf 8,6 Mrd. US-$ -, auch die Öl- und Gasimporte und die mit ihnen verbundenen Kosten sind im OECD-Raum und in den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens wesentlich niedriger als im Referenzszenario.
Die Finanzierung dieses gewaltigen Investitionsbedarfs, insbesondere in den Entwicklungsländern, ist laut dem Bericht eine enorme Herausforderung, zu deren Bewältigung neue Lösungen gefunden werden müssen. Der internationale Emissionshandel, so die Autoren, wird dabei „zweifellos" eine immer wichtigere Rolle spielen. Dabei geht die IEA von einem Preisanstieg auf 0,5 US-$ für eine ausgestoßene Tonne CO2 in den OECD-Ländern und auf 0,3 US-$ in den übrigen Ländern aus. Der derzeitige Clean-Development-Mechanismus, mit dem Emittenten aus Industrieländern durch Investitionen in Entwicklungsländern ihren Emissionsreduktionspflichten nachkommen können, müsse umfassend reformiert werden, um gesteigerte Handelsaktivitäten effektiv zu ermöglichen.
Chemieindustrie befürchtet Wettbewerbsverzerrungen
Auf dem Klimagipfel in Kopenhagen wurde die von der Europäischen Union angestrebte Einigung auf konkrete internationale Vereinbarungen zur CO2-Reduktion nicht erreicht. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI), der sich vor dem Abkommen deutlich für klare internationale Regelungen zur Kohlendioxidreduktion ausgesprochen hatte, befürchtet Nachteile bei einem weiter gehenden Alleingang der Europäischen Union: „Ohne vergleichbare Bedingungen in puncto Klimaschutz kann die europäische Industrie langfristig nicht im Wettbewerb bestehen. Die EU muss nun überlegen, wie sie ihre Industrie in Europa halten kann", teilte VCI-Geschäftsführer Dr. Utz Tillmann unmittelbar nach Bekanntgabe der Ergebnisse in Kopenhagen mit. Die EU müsse nun ihre Strategie neu überdenken, so Tillmann: „Wir stehen mit unseren Leistungen für den Klimaschutz nach wie vor allein da. Ein Zurück beim Klimaschutz in der EU darf es nicht geben, aber auch keine einseitigen Verschärfungen. Wir wollen mit unseren Produkten und Leistungen weiterhin dazu beitragen, dass die EU ihr Ziel erreicht, die Emissionen bis 2020 um 20 % zu senken. Das, so Tillmann, funktioniere aber nur, „wenn wir wettbewerbsfähig bleiben".