Brückenbauer zwischen Prozessindustrie und IT
Industriedienstleister Bilfinger gründet Digitalgesellschaft und legt Fundament für die Zukunft
Als Industriedienstleister steigert Bilfinger die Effizienz und Verfügbarkeit von Anlagen und senkt die Instandhaltungskosten in der Prozessindustrie. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2017 hat Bilfinger ein stabiles Fundament für künftiges nachhaltiges Wachstum gelegt. Der Auftragseingang des in den Geschäftsfeldern Engineering & Technologies sowie Maintenance, Modifications & Operations aktiven Mannheimer Konzerns stieg organisch erstmals nach drei rückläufigen Jahren um 4% auf knapp über 4 Mrd. EUR an. Auch der Konzernumsatz lag im Gesamtjahr 2017 knapp über 4 Mrd. EUR. Michael Reubold befragte CEO Tom Blades über den Stand des Umbaus, den Fortschritt bei der Umsetzung der Strategie 2020 und die Aktivitäten des Unternehmens im Bereich Digitalisierung – einer der künftigen Wachstumstreiber bei Bilfinger.
CHEManager: Herr Blades, im Rahmen der Strategie 2020 durchläuft Bilfinger die drei Phasen Stabilisierung, Aufbau und Ausbau. Wo stehen Sie im Frühjahr 2018? Was sind die nächsten Schritte und wie wird Ihr Kerngeschäft nach Abschluss der Restrukturierung aussehen?
Tom Blades: Aktuell sind wir auf dem Sprung von der Stabilisierungs- in die Aufbauphase. In der Stabilisierungsphase haben wir das Unternehmen neu organisiert und entlang der Bedürfnisse unserer Kunden strukturiert. Damit konnten wir unser Geschäft in den jeweiligen Märkten tiefer verankern. Wichtig war und ist, dass wir unsere im Konzern verteilten Stärken noch besser und effektiver bündeln – und darüber für den Kunden zusätzlichen Mehrwert schaffen.
Unsere Formel für die Rückkehr zu profitablem Wachstum lautet 2-4-6. Zwei Geschäftsfelder, vier Regionen, sechs Fokusindustrien. Wir gliedern unsere Aktivitäten in zwei Geschäftsfelder: Engineering & Technologies, kurz E&T, sowie Maintenance, Modifications & Operations, kurz: MMO. E&T umfasst Ingenieurleistungen und die Entwicklung und Montage von Industrieanlagen. Im Bereich MMO übernehmen wir im Auftrag des Kunden die Instandhaltung, die Modifizierung und auch den Betrieb von Anlagen. Unser Geschäftsschwerpunkt liegt auf vier Kernregionen: Kontinentaleuropa, Nordwesteuropa, Nordamerika und dem Nahen Osten. Und wir konzentrieren uns hauptsächlich auf sechs Industrien: Chemie & Petrochemie, Öl & Gas, Energie & Versorgung, Pharma & Biopharma, Metallurgie sowie Zement.
Bilfinger ist heute ein viel stabileres Unternehmen als noch Anfang 2017. Wir sind noch nicht am Ziel. Die Umsetzung unserer Strategie 2020 ist kein Sprint, sondern ein Marathon, weil man ein so großes Schiff wie Bilfinger nicht über Nacht auf einen neuen Kurs drehen kann. Aber die operativen Schritte nach vorn werden größer und der Fortschritt ist deutlich erkennbar.
Ihr Leistungsspektrum für die Prozessindustrie deckt die gesamte Wertschöpfungskette ab: von Consulting und Engineering über Anlagenerweiterung und Instandhaltung bis hin zu Umwelttechnologien und digitalen Anwendungen. Wo investieren Sie in den Ausbau Ihres Portfolios?
T. Blades: Aktuell investieren wir verstärkt in das Business Development, also die Weiterentwicklung unserer einzelnen Geschäfte. Ein wichtiger Baustein sind dabei unsere „Value Propositions“, mit denen wir unser Angebot entlang der Kundenbedürfnisse innerhalb unserer Zielindustrien ausrichten und vermarkten. In vielen Fällen sind diese Value Propositions Komplettlösungen, die die Kompetenzen mehrerer Bilfinger-Gesellschaften vereinen.
Ein weiterer Hauptfokus ist die Digitalisierung. Ich bin überzeugt, dass die Prozessindustrie die Möglichkeiten bei Weitem noch nicht ausreizt. Bilfinger ist hier Vorreiter. Denn wir kennen die Prozesse unserer Kunden bestens und haben darüber hinaus ein grundlegendes Verständnis für die Digitalisierung dieser Prozesse. Wir sind somit der Brückenbauer zwischen Prozessindustrie und IT. Man könnte auch sagen: Früher haben wir Brücken aus Zement gebaut, heute bauen wir digitale Brücken.
Diesen Vorsprung wollen und werden wir nutzen. Daher konzentrieren wir unser innovatives Digitalisierungsgeschäft in einer neuen eigenständigen Tochtergesellschaft. Damit schaffen wir ein Schnellboot für digitale Projekte und können schneller und flexibler am Markt agieren. Beim Namen haben wir uns für „Bilfinger Digital Next“ entschieden.
Die Digitalisierung ist in der Prozessindustrie angekommen. Welche Rolle messen Sie dem Einsatz digitaler Technologien bei Ihren Kunden für Ihr Geschäft bei?
T. Blades: Eine große Rolle. Der Begriff Digitalisierung hat übrigens für fast Jeden eine andere Bedeutung. Viele unserer Kunden meinen damit die Digitalisierung ihrer Produkte, andere wiederum die Digitalisierung der Arbeitsprozesse. Genau hier kommen wir als Bilfinger ins Spiel. Die Digitalisierung eröffnet bei Betrieb und Instandhaltung von Anlagen ganz neue Möglichkeiten. Mit unseren digitalen Lösungen und unserem umfassenden Instandhaltungs-Wissen können wir den Kunden diese Möglichkeiten erschließen. Das zeigen erste erfolgreiche Projekte mit Münzing Chemie und CABB.
Viele, die über Industrie 4.0 und Trends der Zukunft sprechen, reden zugleich über smarte Anlagen. Fakt ist: Die meisten der heutigen Anlagen sind an sich bereits sehr smart, da sie an die ERP-Systeme der Unternehmen angeschlossen sind und von Prozessleit- oder sogenannten SCADA-Systemen überwacht und gesteuert werden. SCADA steht für Supervisory Control and Data Acquisition. Der Haken dabei: Die relevanten Informationen und Daten sind über verschiedene Systeme und Orte verteilt. Zudem sind die Systeme nicht miteinander verknüpft und nicht lernfähig, das heißt die vorhandenen Informationen werden nicht optimal genutzt. Hier liegt der große Hebel für die Zukunft: In der Zusammenführung, Verknüpfung und intelligenten Analyse von den zuvor voneinander isolierten Daten – und das machen wir möglich. Aber nicht nur das: Dank unseres umfassenden Know-hows in punkto Instandhaltung können wir zusätzlich auch die richtigen Handlungsempfehlungen abgeben und diese dann auch umsetzen.
Wie weit ist die chemisch-pharmazeutische Industrie in punkto Digitalisierung, welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Kunden gemacht? Sehen Sie Nachholbedarf?
T. Blades: Ein großer Teil der Kunden, die mit uns über Digitalisierung sprechen möchten, kommt aus dem Mittelstand. Hier sehen wir in der Tat einen Nachholbedarf. Ein entscheidender Faktor ist dabei oft, dass die Unternehmen die Erfolgschancen nicht richtig einschätzen können. Viele Mittelständler scheuen die Investitionen, die die Einführung neuer digitaler Technologien am Anfang mit sich bringen. Zudem fehlt oft die notwendige IT-Erfahrung. Wir als Bilfinger können den Kunden die enormen Potenziale zur Effizienzsteigerung aufzeigen, die mit der Digitalisierung entstehen. Und wir bieten ihnen konkrete Lösungen, wie sie diesen Wettbewerbsvorteil schnell umsetzen können. Unsere Lösung heißt BCAP – Bilfinger Connected Asset Performance. Darüber kann man umfassende Elemente unseres Digitalisierungsangebots häufig innerhalb von nur sechs Monaten implementieren.
Das Schweizer Pharmaunternehmen Siegfried setzt auf Bilfinger als Outsourcing-Partner für Instandhaltung und Engineering. Was leistet Bilfinger im Rahmen der Kooperation?
T. Blades: Seit 2010 ist Bilfinger für die gesamte Instandhaltung und auch das Engineering der Produktionsanlagen am Siegfried-Stammsitz in Zofingen zuständig. Diese Zusammenarbeit wurde zuletzt deutlich ausgeweitet. Inzwischen sind mehr als 200 unserer Mitarbeiter für Siegfried-Standorte in der Schweiz, Frankreich und Deutschland im Einsatz.
Wir konnten die jährlichen Instandhaltungskosten in Zofingen bereits im vierten Jahr um über 30 Prozent reduzieren, also messbare Erfolge liefern. Basis ist unser Bilfinger Maintenance Concept, kurz BMC. Dieses ganzheitliche Konzept gliedert sich in 16 Module und basiert auf Erfahrungswissen aus mehr als 400 Instandhaltungsanalysen. Dadurch fließen Erfahrungen, die wir in den letzten Jahrzehnten an anderer Stelle gesammelt haben, im Sinne von „Best Practices“ auch bei Siegfried ein. Wir bringen die Instandhaltung auf den neusten Stand und gewährleisten obendrein kontinuierliche Verbesserungen.
Im Bereich Digitalisierung haben Sie 2017 ein gemeinsames Pilotprojekt mit der Münzing Chemie, einem mittelständischen Spezialchemieunternehmen gestartet. Worum geht es bei diesem Digitalisierungsprojekt?
T. Blades: Ziel ist es, die Overall Equipment Effectiveness am Münzing-Standort Heilbronn zu steigern. Zunächst wurde für eine bestehende Pulveranlage ein sogenannter „Digitaler Zwilling“ erstellt. Dieses virtuelle Abbild fasst die relevanten technischen Daten und Informationen der Anlage zusammen und macht sie mit wenigen Klicks digital abrufbar. Dadurch wird die Anlagendokumentation deutlich verbessert, denn die Daten sind jederzeit und überall aktuell verfügbar. Dies führt zu schnelleren und besseren Entscheidungen im operativen Betrieb und in der Instandhaltung. Zwei neue chemische Reaktoren wurden gleich von Beginn an digital geplant.
Parallel hat Bilfinger einen cloudbasierten Datenpool aufgesetzt. Dieser enthält neben technischen Anlagen-Details auch Prozessdaten aus dem laufenden Betrieb sowie der Instandhaltung. Zusätzlich wurde kabellose Sensorik installiert, um künftig eine kontinuierliche intelligente Überwachung des Anlagenzustands in Echtzeit zu ermöglichen.
Die bisherigen Resultate können sich sehen lassen: Unter anderem konnten wir Münzing ein Potenzial zur Steigerung der Gesamtanlageneffektivität von rund 10 Prozent aufzeigen.
Können Sie weitere Beispiele nennen?
T. Blades: Eine weitere Kooperation im Bereich Digitalisierung gibt es mit CABB, einem Spezialisten für die Herstellung von chemischen Zwischenprodukten. In einem gemeinsamen Projekt bauen beide Unternehmen am CABB-Standort Gersthofen eine zentrale digitale Anlagendokumentation für alle Produktionsanlagen am Standort auf. Zum Einsatz kommt unsere cloudbasierte Comos Plattform. Comos ist eine von Siemens entwickelte Softwarelösung für Anlagenplanung und Anlagendokumentation sowie Instandhaltung, mit der wir unter anderem mit unseren Services die Anlagendokumentation pflegen und zusätzlich auch das Ersatzteil-Management der CABB unterstützen. Im Laufe des Jahres wollen wir weitere Comos-Funktionen einführen.
Bilfinger erbringt für CABB bereits seit mehreren Jahren Instandhaltungs-und Engineering-Leistungen in Gersthofen. Die Entscheidung, die Kooperation zu intensivieren, erfolgte auch wegen des hohen Engagements der Bilfinger-Mannschaft vor Ort. Das zeigt, dass wir mit Blick auf die Digitalisierung einen weiteren entscheidenden Vorteil haben: Wir sind in der Branche anerkannt und bereits heute an den Produktionsstandorten vieler Kunden tätig.