Besonderheiten von REACh 2018
Die Anforderungen an Stoffe im Tonnageband 1 – 10 t/a
Im Juni 2018 steht die letzte Frist für die Registrierung von Altstoffen („Phase-in-Stoffe“) unter REACh an. Im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Registrierungsphasen 2009 und 2013 wird vieles anders sein, denn es werden deutlich mehr Chemikalien zu registrieren sein und dies häufig durch (kleinere) Firmen, die im Umgang mit der Chemikaliengesetzgebung weniger vertraut sind und über geringere Budgets für die Erfüllung regulatorischer Anforderungen verfügen. Es ist außerdem zu erwarten, dass für viele der Stoffe die Datenlage deutlich schlechter sein wird als für die relativ gut untersuchten Stoffe mit hoher Tonnage.
Was nicht allgemein bekannt ist: Für die zahlenmäßig überwiegenden Stoffe im Tonnageband 1 – 10 t/a gelten nach Artikel 10 (a) (x) mit Bezug auf Anhang VI sowie nach Artikel 12 (a) und (b) in Verbindung mit Anhang III von REACh besondere Regeln. Diese werden nachfolgend erläutert.
Besondere Regeln für 1-10 t/a-Stoffe
Artikel 12 von REACh regelt, dass für die Registrierung von Phase-in-Stoffen im untersten Tonnageband nur die Anforderungen an physikalisch-chemische Daten nach Anhang VII zu erfüllen sind, nicht jedoch die zu toxikologischen und umwelttoxikologischen Endpunkten, falls keines der Kriterien nach Anhang III von REACh zutrifft. Kriterium I lautet: Gibt es einen begründeten Verdacht anzunehmen, dass der zu registrierende Stoff krebserzeugend, keimzellenmutagen oder reproduktionstoxisch (CMR-Stoffe der Kategorie 1A oder 1B) oder bioakkumulativ und persistent (PBT- oder vPvB-Stoffe) ist? Kriterium II fragt, ob es einen begründeten Verdacht gibt anzunehmen, dass sie Gefahrstoffe im Sinne der CLP-Verordnung sind und eine weit verbreitete Verwendung haben.
Dabei geht es um erhebliche Erleichterungen und Kosteneinsparungen, wenn die ansonsten geforderten toxikologischen Studien auf Reizwirkung, Sensibilisierung, Mutagenität und akute orale Toxizität sowie die ökotoxikologischen Untersuchungen auf akute aquatische Toxizität und Abbaubarkeit nicht durchgeführt werden müssen. Es lohnt sich also, hier Bemühungen zu investieren. Umso mehr, als die Europäische Kommission dabei ist, eine Änderung der Anhänge VII und VIII von REACh vorzunehmen: In Zukunft ist die Verwendung von In-vitro-Tests zur Untersuchung von Reizwirkungen auf Haut und Auge vorgeschrieben. Neben höheren Testkosten wird auch die Interpretation der Ergebnisse komplexer werden und einen höheren Aufwand erfordern.
Bei der Beurteilung dieser Kriterien stellt sich die Frage: wie können die Substanzwirkungen bewertet werden, wenn kaum Daten für einen Stoff vorliegen? Der REACh-Text verweist hier auf „(Q)SAR-Methoden oder andere Daten“. (Q)SAR meint (quantitative) Struktur-Wirkungsbeziehungen, also Methoden und Modelle, um aus Struktureigenschaften mögliche Wirkungen vorherzusagen. Unter „anderen Daten“ sind sicher Gruppenansätze und die Übertragung von Daten von ähnlichen chemischen Stoffen („read across“) zu zählen. Generell werden von der Europäischen Chemikalienagentur ECHA hohe Anforderungen an die Verwendung von (Q)SAR- und Read-Across-Ansätzen (RA) unter REACh gestellt. Bislang gibt es keine Leitlinien der ECHA für die Interpretation der Kriterien von Anhang III.
Verringerte Datenanforderungen
Welche Möglichkeiten gibt es, um von den reduzierten Informationsanforderungen Gebrauch zu machen?
Ein Ansatz besteht in der Verwendung der QSAR-Toolbox Software (www.qsartoolbox.org), deren Entwicklung und Verwendung von der ECHA unterstützt wird. Die QSAR-Toolbox ist ein Hilfsmittel, um existierende Datenlücken im Bereich der (Öko-)Toxikologie zu füllen. Eine schematische Darstellung der wesentlichen Ablaufschritte der Toolbox zeigt Grafik 1. Nach eindeutiger Identifikation der Zielchemikalie für die Daten gesucht werden, kann die Toolbox unterschiedliche Aufgaben ausführen: Es können schnell experimentelle Daten zu geeigneten Substanzen aus den integrierten Datenbanken gefunden werden und es kann anhand der chemischen Struktur oder spezifischer Wirkmechanismen ein Substanzprofil erstellt werden, mit dessen Hilfe im weiteren Verlauf Kategorien gebildet oder die vorhandenen bzw. abwesenden Substanzeigenschaften erklärt werden können. Darüber hinaus stellt es Werkzeuge bereit, um anhand der gesammelten Daten zur Substanz und ggf. adäquaten analogen Substanzen Datenübertragungen durchzuführen und Datenlücken zu füllen.
Anzumerken ist, dass nicht für alle Endpunkte ein entsprechendes (Q)SAR-Modell vorliegt. Beispielsweise fehlen Modelle für die akute Toxizität, für bestimmte reproduktionstoxische Effekte und für die Toxizität nach wiederholter Applikation. Die vorhandenen (Q)SAR-Modelle wurden außerhalb der Toolbox entwickelt und ihre Qualität und Anwendbarkeit muss im Einzelfall zunächst geprüft werden. Auch beruht die Qualität der Vorhersagen auf der Expertise des Anwenders (z.B. zur Auswahl von geeigneten Parametern, die eine Gruppe ähnlicher Substanzen definieren).
Neben der anspruchsvollen Wirkungsvorhersage ist auch unklar, welche und wie Daten zur Exposition verwendet werden sollen, um die Frage nach der weit verbreiteten Anwendung im zweiten Kriterium nach Anhang III zu beantworten. Unter „weit verbreiteter Verwendung“ werden im REACh-Zusammenhang in der Regel professionelle und Verbraucherverwendungen verstanden. Es ist davon auszugehen, dass die Daten, die als Anforderung aus Anhang VI erhoben werden müssen, dazu ausreichend sind.
Expositionsdaten nach Anhang VI
Auch wenn bzw. gerade weil für Stoffe in diesem Tonnageband kein Stoffsicherheitsbericht gefordert ist, machen es die geforderten Angaben zur Exposition nach Anhang VI notwendig, ein Minimum an Informationen zur Verwendung bei den nachgeschalteten Anwendern, also den Kunden der Stoffhersteller und deren Kunden, einzuholen. Alle bisherigen Erfahrungen zeigen, dass dies ein mühsamer Prozess ist und es sich empfiehlt, früh mit den nachgeschalteten Anwendern in Kontakt zu treten. Die Firmen sollten nicht damit rechnen, auf ihre erste Anfrage eine befriedigende Antwort zu erhalten. Oft wird beim Kunden die REACh-Expertise fehlen, um zu verstehen, nach was gefragt wird. Dies gilt auch dann, wenn standardisiertes Vokabular wie das System der unter REACh eingeführten Verwendungsdeskriptoren der ECHA verwendet werden.
Aber Achtung: Das System der Deskriptoren wurde kürzlich von der ECHA überarbeitet und verändert. Die Verwendung älterer Vorlagen kann zu Missverständnissen führen, ebenso können sich Antworten der angesprochenen Firmen auf das ältere System beziehen, wenn die Änderungen noch nicht bekannt sind.
Änderung des Dateieingabesystems
IUCLID (International Uniform ChemicaL Information Database) ist das Dateneingabesystem, mit dem Registrierungsdaten dokumentiert und an die ECHA weitergegeben werden. Es bleibt abzuwarten, wie mit dem neuen, für Mitte 2016 erwarteten IUCLID 6 die Anforderungen an die Qualität und Art der Information zur Exposition gestaltet werden. Über die vergangenen Jahre sind die entsprechenden Dokumentationsanforderungen stetig gestiegen.
Was ist zu tun?
Zu empfehlen ist, dass Hersteller von chemischen Stoffen im Tonnageband 1 – 10 t/a in einer frühen Phase des Prozesses prüfen sollten, ob ihre Stoffe die Kriterien nach Anhang III erfüllen. Weiter sollte die Kontaktaufnahme mit nachgeschalteten Anwendern und die Sammlung von Informationen zur Verwendung und Exposition ebenfalls in einer frühen Phase erfolgen, da der Prozess aufwändig sein kann und die Informationen ggf. zur Beantwortung der Anhang-III-Fragen gebraucht werden. Es sollte geprüft werden, wer im Unternehmen Informationen und Kontakte zu den nachgeschalteten Anwendern hat. In der Regel ist dies die Marketingabteilung. Zusätzlich sollte abgesprochen werden, wer für die Informationsbeschaffung zuständig ist.