Automatisierung einer skalierbaren Pilotanlage eines Wasserstoff-Elektrolyseurs
Phoenix Contact bietet Automation und Elektrifizierung aus einer Hand
Entwickler und Produzenten von Wasser-Elektrolyseuren haben gut zu tun, denn der mit ihren Anlagen erzeugte Wasserstoff wird zukünftig einen hohen Stellenwert als Energieträger haben. Dies, weil der mit grünem elektrischen Strom generierte Wasserstoff sehr gut speicherbar ist und sich bei Bedarf transportieren lässt. Durch seine Nutzung könnten in Zukunft ganze Unternehmensstandorte energieautark werden. Was es dazu braucht? Leistungsfähige und möglichst skalierbare Elektrolyseure, die sich an die Erfordernisse der unterschiedlichen Anwendungen anpassen.
Zu den zahlreichen Unternehmen, die sich global mit der Entwicklung von Elektrolyseuren beschäftigen, gehört Enapter. Das deutsch-italienische Unternehmen hat sich auf AEM-Elektrolyseure spezialisiert, wobei die Abkürzung für Anion Exchange Membrane respektive Anionenaustauschmembran steht. In den Elektrolyseuren sind edelmetallfreie Membranen, Katalysatoren und Bipolarplatten verbaut. Das macht sie im Vergleich zu PEM-Elektrolyseuren bei gleicher Flexibilität und Effizienz kostengünstiger. Schon 2019 nahm der Anlagenbauer im italienischen Pisa eine manuelle Serienfertigung für Elektrolyse-Stacks in Betrieb. Mittelfristig sollen diese Stacks auf dem neuen Enapter-Campus im nordrhein-westfälischen Saerbeck hochautomatisiert in Serie produziert werden.
Ausgereifte, in Serie herstellbare AEM-Stacks
Im Mai 2023 wurde ein AEM-Elektrolyseur der Megawattklasse – gebaut von Enapter und umfangreich durch Phoenix Contact ausgerüstet – am Standort Saerbeck vorgestellt. Beim AEM Multicore 450 handelt es sich um einen modularen vormontierten Container, der schnell einsatzbereit ist. Seinen Kern bilden 420 AEM-Stack-Module mit einer Leistung von jeweils 2,5 kW, die zusammen bis zu 450 kg Wasserstoff pro Tag herstellen können. Aufgrund der Zusammensetzung aus kleinen, in Serie gefertigten Stacks erweist sich die Enapter-Lösung gegenüber den üblichen Elektrolyseuren dieser Größenordnung als deutlich flexibler und ist mit mehr Prozessredundanz ausgestattet. Die in der vierten Generation produzierten Stacks sind zudem ausgereift und bereits in großen Stückzahlen verkauft worden, z. B. im 19-Zoll-Rack-Format, wie es aus dem IT-Bereich bekannt ist.
Der Container beinhaltet allerdings mehr als die Elektrolyse-Stacks. So muss die Stromversorgung sowohl während des Betriebs ebenso wie des Stillstands der Anlage sichergestellt sein. Darüber hinaus ist der Elektrolysevorgang inklusive des An- und Abfahrens der gesamten Anlage bei Schwankungen der verfügbaren erneuerbaren Energie aus Wind und Sonne zu regeln. Hinzu kommt das Abführen der Prozesswärme sowie das zirkulierende Pumpen und Temperieren von Wasser und Elektrolyt. Nicht zu vergessen, dass viele Prozessparameter und vor allem die Reinheit des erzeugten Wasserstoffs mit Sensoren überwacht werden müssen.
Enge Kooperation im Bereich der funktionalen Sicherheit
Neben den Komponenten für die Stromversorgung und Steuerung haben die Automatisierungsexperten den Anlagenbauer mit zahlreichen Dienstleistungen unterstützt – von der Entwicklung der ersten, kleineren Testanlage bis zur Inbetriebnahme der 1-MW-Pilotanlage. Ayhan Birinci, Projektleiter bei Phoenix Contact, erinnert sich: „Im zweiten Quartal 2021 kam Enapter auf uns zu. Nach der Klärung der Anforderungen hat Phoenix Contact schon im dritten Quartal 2021 ein Angebot unterbreitet.“ Ein wichtiger Baustein dieses Angebots war die Dienstleistung der funktionalen Sicherheit. Dazu Birinci: „Bereits vor der Designphase arbeitete unser Team an der Risikobetrachtung des Prozesses im Rahmen einer HAZOP-Studie mit. Dabei wurde unter anderem die Grundlage für wesentliche Designelemente gelegt. Hierzu zählt die Steuerung, die aufgrund einer angereihten Sicherheits-SPS eine Notabschaltung vornehmen kann.“ Die Software für die Sicherheitssteuerung wurde von den hierfür zertifizierten Phoenix Contact-Ingenieuren umgesetzt. Die Risikobetrachtung beeinflusst ferner die sichere Auslegung weiterer Elemente des Gesamtcontainers.
Andreas Lautmann, Business Development Manager für Power-to-X bei Phoenix Contact, betont die große Bedeutung der Dienstleistungen zur funktionalen Sicherheit in derartigen Projekten: „Unsere Spezialisten stellen zu einem frühen Zeitpunkt die Weichen für ein sicheres Design. Werden Sicherheitslücken erst später im Engineering-Prozess entdeckt, verlängert sich die Projektlaufzeit in der Regel deutlich.“ Durch die fundierte Beratung, Planung und Dokumentation des Sicherheitskonzepts kann der Anwender davon ausgehen, dass die Sicherheitsbehörden seine Anlage am Ende des Prozesses ohne Beanstandungen zulassen. „Hier zeigt sich wieder, dass für die Sicherheit der kompletten Anlage, abgesehen vom Einsatz von zertifizierten Komponenten, auch eine strukturierte und gut dokumentierte Vorgehensweise für das Design und Engineering maßgeblich ist“, ergänzt Lautmann. Dies gilt für alle in diesen Anlagen relevanten Aspekte der funktionalen Sicherheit, des Explosionsschutzes, der Cyber Security und schlussendlich der notwendigen CE-Kennzeichnung.
Außerdem haben zwei Programmierer des Automatisierungsexperten dem Enapter-Team zur Seite gestanden, das zunächst eine kleinere Testanlage mit lediglich zehn Elektrolyse-Stacks bauen wollte. Schon während der Erstellung der 25-kW-Testanlage wurden neben den zukünftigen Nutzern der FH Münster ebenfalls Enapter-Mitarbeitende im Rahmen eines Software-Trainings auf die PLCnext-Steuerungen von Phoenix Contact geschult. Denn der Anlagenbauer will die Programmierung der zukünftigen 1-MW-Elektrolyseure selbst übernehmen.
Herausfordernde Marktsituation insbesondere bei Mikrochips
Anschließend beschäftigten sich die Teammitglieder mit der Planung der Steuerungstechnik. Bevor die Schaltschränke tatsächlich errichtet werden konnten, gab es sieben Angebotsrevisionen. Ayhan Birinci erläutert: „Bei neuen Projekten sind Anpassungen und Erweiterungen normal.
Die spätere Integration eines H2-Trockners erforderte beispielsweise eine Adaption der Steuerung.“ Aufwand entstand zudem durch das Ausscheiden des ursprünglichen Anlagenplaners im Frühjahr 2022, weil sich die anderen Projektteilnehmenden in dessen Aufgaben einarbeiten mussten. Letzte Änderungen traten im Rahmen des Design Freeze im Dezember 2022 auf.
Der Bau der Schaltschränke gestaltete sich ähnlich herausfordernd wie die Planung, da die Zeitschiene bis zur beabsichtigten Inbetriebnahme im Mai 2023 eng war. Zu dieser Zeit setzte die schwierige Liefersituation insbesondere von Mikrochips die Beschaffer unter Druck. Deshalb versuchten die Einkaufsabteilungen der Partnerunternehmen alles, um den ambitionierten Zeitplan einzuhalten. Birinci erinnert sich: „Beide Unternehmen bestellten die knappen Komponenten teilweise parallel über die jeweiligen Vertriebskanäle. Das Team hat dann das Material verwendet, das zuerst geliefert wurde.“ Phoenix Contact hatte Schaltschränke bereitgestellt, die kurze Zeit später zum Start der Inbetriebnahme finalisiert werden konnten. Die Pilotanlage des AEM Multicores 450 wurde schließlich am 24. Mai 2023 eingeweiht.
Schaltschränke komplett mit Phoenix Contact-Komponenten ausgestattet
Welche Komponenten und Systeme von Phoenix Contact sind nun im Elektrolyseur montiert? Die Stacks umfassen Steckverbinder des Blomberger Unternehmens, die dem Anschluss der Sensoren an die Steuerung dienen. Der größte Teil der Geräte befindet sich in der Schaltzentrale der Anlage, dem sogenannten PSU-Compartment. Dieses ist gasdicht vom Prozessraum getrennt. Darüber hinaus herrscht im PSU-Compartment ein leichter Überdruck, was das Eindringen von Wasserstoff selbst im Fall einer Leckage unmöglich macht.
Ayhan Birinci berichtet: „Mit Ausnahme weniger Sicherungen und Schutzschalter bestehen die Schaltschränke durchgehend aus Komponenten und Systemen von Phoenix Contact. Denn unser Portfolio beinhaltet sowohl Echtzeit- als auch sicherheitsgerichtete Steuerungstechnik bis SIL 3 sowie Netzwerkkomponenten inklusive einer Firewall für den Remote-Zugriff – alles aus eigener Fertigung. Das Bedienpanel sowie die zugehörige Software stammen ebenfalls von Phoenix Contact.“ Mit den Geräten der Produktfamilie PLCnext wird die gesamte Steuerung der Anlage realisiert. Zum Beispiel werden die Lüftung und Wasservorbehandlung gesteuert, eine Notabschaltung durchgeführt, Füllstände überwacht und die Elektrolytlösung zugeleitet. Ein linksanreihbares Safety-Modul, das die PLCnext-Steuerung erweitert, sorgt für die sicherheitsgerichtete Umsetzung. Komplettiert wird die Ausrüstung der Schaltschränke durch selbst hergestellte 24-VDC-Spannungsversorgungen sowie Signalumsetzer und Anschlusstechnik für die Feldverkabelung. Dazu wurden die Schaltschränke von den Experten aus Blomberg konstruiert, dokumentiert und anschlussfertig produziert.
Kompakte AC-/DC-Wandler
Eine zentrale Funktion übernehmen die AC/DC-Wandler des Charx-Power-Systems. Sie stellen den elektrischen Gleichstrom für den Elektrolyseprozess bereit, ausgehend von den 400 Volt Wechselspannung, mit denen die Anlage gespeist wird. Andreas Lautmann: „Wir hatten schon während des Engineerings der Testanlage festgestellt, dass der dort ursprünglich geplante AC-/DC-Wandler sich nicht gut zur Steuerung der Elektrolyse eignet. Unser Team hat sich dann kurz nach Beginn der Inbetriebnahme mit Enapter geeinigt, diesen durch einen Konverter aus unserer Charx-Serie zu ersetzen.“ Der Konverter von Phoenix Contact ist deutlich kompakter und effizienter als das andere Gerät. Mit seinem 19-Zoll-Rack-Format eignet er sich ferner sehr gut für die einfache Installation in der größeren Pilotanlage. Mitte 2022 bestellte Enapter einen kompletten Satz AC/DC-Konverter für die Großanlage, um die notwendige Leistung von 1 MW zu erzeugen. Durch die erhöhte Effizienz konnte auch das Kühlsystem für das PSU-Compartment nochmals optimiert werden.
Die Experten des Automatisierungsunternehmens unterstützten das Team des italienischen Anlagenbauers während der gesamten Engineering-Phase. Im Laufe der endgültigen Inbetriebnahme der Anlage waren die Spezialisten ebenfalls behilflich.
Problemlose Modifikation der Pilotanlage
Der Anlagenbauer hat zum Zeitpunkt der Einweihung der Pilotanlage im Mai 2023 bereits Aufträge für sieben weitere AEM Multicore-Anlagen erhalten. Auch hier darf sich Phoenix Contact mit einer Komplettlösung aus Dienstleistungen, Komponenten und Systemen beteiligen. „Für nachfolgende Anlagen gibt es schon eine Vereinbarung, dass wir die Erfahrungen aus dem Betrieb der Pilotanlage nutzen werden, um das existierende Systemdesign noch einmal zu verbessern,“ erzählt Birinci. „Sollte eine Anbindung an ein Solarfeld erfolgen, haben wir bereits über den Einsatz unserer passenden DC/DC-Konverter diskutiert.“
Anlässlich der Einweihung der Pilotanlage im Mai 2023 sagte Sebastian-Justus Schmidt, CEO von Enapter: „Mit unserer AEM-Technologie werden wir Wasserstoff in den nächsten Jahren günstiger machen als fossile Brennstoffe.“ Aufgrund der großen Nachfrage soll 2024 die Vorserienreife für den AEM Multicore vorliegen. Andreas Lautmann und seine Kollegen freuen sich darauf. Lautmann erwartet: „Bei künftigen AEM Multicore-Anlagen für die Verwendung bei Endkunden wird die Bedeutung der IT-Sicherheit mit der nötigen Zertifizierung gemäß IEC 62443 und eine Integration in existierende Systeme der Endkunden wachsen. Hierbei können wir unser Know-how und sämtliche erforderlichen Komponenten für die sichere Automatisierung, Vernetzung und Elektrifizierung ebenfalls beisteuern.“
Autorin: Ulla Reutner, Redaktionsbüro Reutner, für Phoenix Contact
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