Chemie & Life Sciences

Abfallrecht: Reach und die Auswirkungen auf das Abfallrecht

06.06.2012 -

Abfallrecht: Reach und die Auswirkungen auf das Abfallrecht

Im Zusammenhang mit der Novellierung des bundesdeutschen Abfallrechts in den 90er-Jahren stand u. a. zur Diskussion, ein in sich geschlossenes Stoffrecht zu schaffen. Es erscheint auch sachgerecht, wenn für ein und denselben Stoff die im Bereich der Produktion geltenden Vorschriften zur Beschränkung der Auswirkungen auf den Menschen und auf die Umwelt mit jenen Anforderungen vereinheitlicht werden, die im Bereich der Reproduktion Geltung beanspruchen. Denn im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit oder der Umwelt ist es gleichgültig, ob die jeweiligen Auswirkungen von einem Stoff ausgehen, der dem Chemikalienrecht oder dem Abfallrecht unterworfen ist.

Auch unter Berücksichtigung der Entwicklungen des Abfallrechts auf gemeinschaftlicher oder nationaler Ebene lässt sich feststellen, dass der Traum von einem einheitlichen Stoffrecht in weite Ferne gerückt ist, zumal die neue EU-Chemikalienverordnung (Reach) am 18.12.2006 verabschiedet worden ist, ohne dass eine hinreichende Abstimmung mit den abfallrechtlichen Vorschriften für Recycling-Produkte erfolgt wäre. Dabei erscheint es konzeptionell sachgerecht, die von Beginn des Abfallrechts an bestehenden Abgrenzungsfragen zwischen Produkt und Abfallrecht ebenso wie zwischen Abfall und Produkt auch dadurch zu überwinden, dass einheitliche, an Gesundheitsund Umweltschutz orientierte Anforderungen an den Umgang mit demselben Stoff unabhängig davon gelten, in welchem Abschnitt des Lebenszyklus sie sich befinden.

Die bei der Novellierung des deutschen Abfallrechts eine Zeitlang verfolgten Überlegungen für ein sog. „Stoffflussrecht“ sind schließlich wegen dessen Besonderheiten und den dadurch bedingten Abweichungen zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in der Abfallrahmenrichtlinie verworfen worden. Insoweit hat die Entwicklung des deutschen Abfallrechts seit den 90er-Jahren sich durch eine immer größere Annäherung an die gemeinschaftlichen Vorgaben ausgezeichnet. Gleichwohl sind die angesprochenen Abgrenzungsfragen noch aktuell, ja sie bestimmen sogar noch die gegenwärtige Fachdiskussion zur Ausgestaltung des Abfallrechts im Zusammenhang mit der Novelle der Abfallrahmenrichtlinie. Dabei haben stoffrechtliche Ansätze bei der Ausgestaltung des Abfallrechts Eingang gefunden.

Weichenstellungen

Wenn die maßgeblichen Einflüsse auf die Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene in den Blick genommen werden, dann handelt es sich um zwei im Rahmen des 6. Umweltaktionsprogramms entwickelte Strategien und die Novelle zur Abfallrahmenrichtlinie. Bei den Strategien handelt es sich das eine Mal um die „Thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling“ und das andere Mal um die „Thematische Strategie für eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“.

Als Ziele der Recyclingstrategie im Rahmen der EU- Abfallpolitik können insbesondere die Verringerung der negativen ökologischen Gesamtfolgen der Ressourcennutzung, die Fortgeltung der Option zur Abfallbewirtschaftung in Abhängigkeit von den Umweltfolgen sowie die Weiterentwicklung zu einer Recyclinggesellschaft mit dem Ziel der Abfallvermeidung und Ressourcennutzung benannt werden, wobei mit Hilfe der Einführung des Lebenszyklus sämtliche Phasen einer Ressource im Hinblick auf deren ökologische Folgen einschließlich deren Wechselwirkungen Berücksichtigung finden sollen. Zu den Maßnahmen dieser EU-Abfallpolitik gehören auch die Vereinfachung sowie Modernisierung bestehender Rechtsvorschriften, insbesondere im Hinblick auf mehr Sicherheit durch die Legaldefinition einzelner Begriffe sowie durch die Förderung ehrgeiziger Abfallvermeidungsstrategien. Das Ziel der Ressourcenstrategie ist es hingegen, eine bessere Ressourceneffizienz und Verringerung der negativen ökologischen Folgen der Ressourcennutzung in einer wachsenden Wirtschaft zu erreichen.

Die wichtigsten Änderungen der Novelle der Abfallrahmenrichtlinie (AbfRRL) sind die Einführung eines Umweltziels, die Klarstellung der Begriffe „Verwertung“ und „Beseitigung“, die Klärung der Bedingungen für das Vermischen gefährlicher Abfälle, die Einführung eines Verfahrens zur Klärung des Abfallendes sowie von Mindestanforderungen für bestimmte Abfallbewirtschaftungsverfahren und schließlich die Einführung einer Verpflichtung zur Entwicklung einzelstaatlicher Abfallvermeidungsprogramme.

Mit der Einführung eines Umweltziels in die AbfRRL zur Verminderung der Umweltfolgen durch Abfallerzeugung und -bewirtschaftung bezogen auf den Einsatz der Ressourcen soll eine Bewertungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden, die bei der Beantwortung von Zweifelsfragen für die Auslegung einzelner Bestimmungen der AbfRRL herangezogen werden kann.

Darüber hinaus wird eine Abfallbewirtschaftungsrangfolge vorgegeben, die sich von der bisherigen Rangfolge dadurch unterscheidet, dass sie nunmehr 5-stufig angelegt wird, nämlich Vermeidung, Wiederverwendung, Recycling, sonstige Verwertung und Beseitigung. Von der Rangfolge darf nur abgewichen werden, wenn sich daraus keine negativen ökologischen Auswirkungen unter Berücksichtigung des Lebenszyklus ergeben.

Mit der Klarstellung der Begriffe „Recycling“, „Verwertung“ und „Beseitigung“ soll für die praktische Anwendung der abfallrechtlichen Bestimmungen mehr Rechtssicherheit erlangt werden. Dabei wird der Versuch unternommen, die von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bei der Auslegung der Bestimmungen der AbfRRl ausgemachten Unsicherheiten zu überwinden, etwa für die Frage, wann bei dem Einsatz von Abfall in Produkte diese Stoffe aufhören, Abfall zu sein. Oder es werden die Hinweise der Rechtsprechung aufgriffen, um die inhaltliche Bedeutung von Verwertungsver-fahren durch die Anwendung der Subsitutionsformel zu klären. Darüber hinaus sind im Sinne der Ressourceneffizienz von der Kommission bei der Bearbeitung des Entwurfs für die Novelle der AbfRRL auch Wirksamkeitskriterien entwickelt worden, mit deren Hilfe entschieden werden kann, unter welchen Voraussetzungen in einem Verwertungsverfahren noch von der Hauptverwendung eines Stoffes als Brennstoff oder als sonstiges Mittel zur Energieerzeugung ausgegangen werden kann.

Von herausragender Bedeutung werden jene Bestimmungen in der Novelle zur AbfRRL angesehen, die das Verfahren zur Klärung des Abfallendes beschreiben. Mit Hilfe dieser Bestimmung soll darüber entschieden werden können, unter welchen Voraussetzungen ein Stoff nach Durchlaufen eines Recyclingverfahrens nicht mehr den Makel „Abfall“ tragen müssen. Wobei die Neueinstufung als Sekundärprodukt, -werkstoff oder -stoff davon abhängen soll, dass dessen weitere Verwendung nicht insgesamt zu negativen Umweltauswirkungen führt und für solche Stoffe auch ein Markt vorhanden ist. Mit Hilfe von material- oder stoffspezifischen Kategorien sollen Umwelt- und Qualitätskriterien festgelegt werden, die darüber entscheiden, ob Abfälle als Sekundärrohstoffe eingestuft werden können. Dabei wird ein Niveau der Umwelt- und Qualitätskriterien anstrebt, das mit gleichwertigen Primärprodukten oder -stoffen vergleichbar ist.

Abgesehen von der allgemein bedeutsamen Frage, wie das Verfahren zur Festlegung solcher Umwelt- und Qualitätskriterien geregelt ist, ob dieses Verfahren nicht wegen der umweltpolitischen Bedeutung dem Europäischen Parlament vorbehalten bleiben sollte oder zumindest unter Beteiligung der betroffenen Wirtschaftskreise von statten gehen sollte, ist die Fachdiskussion über die Inhalte des Entwurfs der Novelle zur AbfRRL keineswegs abgeschlossen und dauert auch die Beratung in den Gremien auf europäischer Ebene noch an.

Wegen der Bedeutung der Bestimmungen der AbfRRL in Zukunft für die Ausgestaltung des nationalen Abfallrechts bleibt die weitere Entwicklung auf europäischer Ebene im Fokus des Interesses aller davon betroffenen Wirtschaftskreise. Dies gilt schließlich auch für die chemische Industrie, sei es, dass sie als Abfallerzeuger daran interessiert sein muss, wie zukünftig die an ökologischen Auswirkungen gemessene Entsorgung zu erfolgen hat, oder sei es als Industriezweig mit erheblichem Energiebedarf, für den von Bedeutung ist, ob und unter welchen Voraussetzungen Abfälle zur energetischen Verwertung eingesetzt werden können, und schließlich unter welchen Voraussetzungen Abfälle nach Durchlaufen von Recyclingverfahren wieder in den Produktionsprozess eingesetzt werden dürfen.

Abfallrechtliche Bestimmungen

Längst haben sich stoffrechtliche Anforderungen als maßgebliche Grundlage für Legaldefinitionen im Abfallrecht ausgewirkt, obwohl die Herstellung von Erzeugnissen einerseits und der Umgang mit Abfällen andererseits unter- Vom Stoffrecht in der Abfallwirtschaft Auswirkungen von Reach für Recyclingprozesse noch unklar Seite 20 Chemikalien CHEManager 10/2007 schiedliche Welten bedeuten. Deswegen war nicht unerheblicher Widerstand bei der Übernahme stoffrechtlicher Anforderungen in das Abfallrecht zu verzeichnen. Denn die für einzelne chemische Stoffe und deren Gemische maßgeblichen Anforderungen können nicht gleichermaßen auf Abfälle übertragen werden, da diese zwar im Wesentlichen aus gebrauchten Produkten hervorgehen, aber die durch den Gebrauch entstandenen Verunreinigungen für den Abfallbesitzer häufig unbekannt bleiben. Mithin ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten, wenn die aus dem Stoffrecht abgeleiteten Anforderungen an die Beschreibung der in ihnen enthaltenen chemischen Stoffe ohne Abstriche auf das Abfallrecht übertragen werden.

Dies hat insbesondere Bedeutung erlangt bei der Entwicklung eines europäischen Abfallverzeichnisses. Dabei ist die Eigenschaft eines Abfalls als „gefährlich“ mit Hilfe der Einstufung sowie von R-Nummern in Bezug auf die Richtlinie 67/548/ EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe erfolgt. Damit sind die chemikalienrechtlich maßgeblichen Eigenschaften unter Bezugnahme auf R-Sätze und Angabe bestimmter Konzentrationen von Stoffen unmittelbar im Abfallrecht zur Anwendung gelangt. Insoweit ist festzustellen, dass bei der Entwicklung eines Abfallverzeichnisses auf europäischer Ebene und bei dessen Übernahme in das nationale Abfallrecht das Konzept verfolgt worden ist, chemikalienrechtliche Begriffsinhalte und Bestimmungsprinzipien für gefährliche Stoffe und Zubereitungen zu verwenden. In der Praxis bestehen deswegen bei der Anwendung der Bestimmungen der Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) die Schwierigkeiten, die chemischen Stoffe und deren Eigenschaften festzustellen. Es besteht im Gegensatz zu den gefahrstoffrechtlichen Kennzeichnungspflichten für Abfälle keine Prüfpflicht, aufgrund derer die Feststellung aller Stoffe oder Zubereitungen in dem Abfall oder die Feststellung ihrer gefährlichen Eigenschaften zu erfolgen hat.

Für den Erzeuger oder Besitzer solcher Abfälle ergeben sich aber Erkundigungs- und Informationspflichten. Bei Erfüllung dieser Pflichten geht es darum, über die Herstellung von Produkten, Zwischen- und Endprodukten, aus der Betriebsund Verfahrensbeschreibung des Herstellungsvorgangs zum immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, einschließlich der Stoffbilanz, Hinweise zu erhalten, um damit über das Vorliegen gefährlicher Stoffe zu urteilen, die schließlich auch die Einstufung des Abfalls insgesamt als gefährlich oder nicht gefährlich ermöglichen. Diese Unterscheidung hat insbesondere auch nach der Novellierung der Nachweisverordnung Bedeutung, weil an das Vorhandensein gefährlicher Abfälle Register- und Nachweispflichten anknüpfen.

Durchgängig von Bedeutung ist das Chemikalienrecht sowohl im Bereich der Produktion als auch im Bereich der Abfallentsorgung, soweit es dabei auf der Grundlage der Chemikalien- Verbotsverordnung auch um das Verbot für das In-Verkehr- Bringen von Abfällen und deren Verwertung geht, es sei denn, es handelt sich um die ordnungsgemäße und schadlose Abfallverwertung in einer dafür zugelassenen Anlage oder zur Gemeinwohl verträglichen Abfallbeseitigung (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 ChemVerbotsV). Diese Bestimmung stellt allerdings den vorläufigen Endpunkt einer Rechtsentwicklung dar, wie sie national durch die Verwaltungsgerichte eingeleitet worden ist.

Ausblick

Wenn kurz vor dem Jahresende 2006 die EU-Chemikaliengesetzgebung zum Abschluss gelangt ist, sind damit nicht nur nachträgliche Anforderungen an die Untersuchung und Risikobeurteilung von Altstoffen verabschiedet worden, sondern auch erhebliche Prüfund Registrierungskosten ausgelöst worden. Zusätzlich ist zu bedenken, dass viel zu spät Fragen aufgeworfen wurden, wie die Anforderungen der Reach-Verordnung im Bereich der Abfallverwertung, insbesondere für Recyclingprodukte Anwendung findet. Denn es würde den Bestrebungen der Recyclingindustrie in den verschiedenen Branchen, namentlich für Kunststoffe, Papier, mineralische Stoffe, NE-Metalle und Stahl zuwiderlaufen, wenn die jahrelangen Bestrebungen, diese Stoffe nach Durchlaufen eines Recyclingprozesses zu Sekundärrohstoffen umzustufen, nunmehr zusätzlichen, aus dem Stoffrecht abgeleiteten Anforderungen vor deren Einsatz in Produktionsprozessen unterworfen würden, wie sie aus der Reach-Verordnung abzuleiten sind. Die Auswirkungen dieser EU-Chemikalienverordnung auf die vielfältigen Recyclingprozesse abschließend zu beurteilen, steht noch aus. Insoweit hat die Bundesregierung mit Unterstützung des Umweltbundesamtes entsprechende Untersuchungen in Auftrag gegeben.

Es bleibt also spannend, in welchem Maße das Stoffrecht für die Abfallwirtschaft der Zukunft die Rahmenbedingungen bestimmt.