3 „D“ bestimmen die Zukunft des Industrieservice
Interview mit Experten des VAIS zu Digitalisierung und Fachkräftemangel
Demografischer Wandel, Digitalisierung und Dekarbonisierung – im Sinne von Nachhaltigkeit – sind für den Industrieservice die bestimmenden Themen der Zukunft. Der Verband für Anlagentechnik und Industrieservice (VAIS) lud interessierte Branchenvertreter in den Industrie Club Düsseldorf, um Erfahrungen im Umgang mit diesen Megatrends auszutauschen und neue Impulse dafür zu geben. Oliver Pruys sprach am Rande dieser Veranstaltung mit Vertretern aus dem Mitgliederkreis des VAIS. Die Gesprächspartner sind Stefan G. Elsner, Leiter Unternehmensentwicklung der Weber Unternehmensgruppe, Raphael Kern, Prokurist bei Ebert Hera Esser, Thorsten Graetz, Regionalleiter Mitte bei Wisag Produktionsservice, und René Mank, Leiter Marketing bei Bilfinger Engineering & Maintenance.
CHEManger: Meine Herren, „3D“ im Sinne von Nachhaltigkeit, was heißt das für Sie im Industrieservice?
Stefan Elsner: Nachhaltigkeit im Industrieservice – dazu möchte ich zunächst feststellen: Der Wandel ist in unserem und wohl in den allermeisten Unternehmen der Branche längst erkannt und im Prozess der Umsetzung – von der strategischen Orientierung hin zur Notwendigkeit, im Tagesgeschäft nachhaltig zu handeln.
Die Anforderungen unserer Kunden und Gesellschafter, neue gesetzliche Bestimmungen, aber auch die Herausforderung, neue Fachkräfte langfristig an unser Unternehmen zu binden, sind dafür ausschlaggebend. Nicht zuletzt die Chance, unsere Geschäftsmodelle zu stärken und neue Marktsegmente zu bedienen.
René Mank: Das ist richtig. Nachhaltigkeit bestimmt längst unser Tagesgeschäft als Industriedienstleister.
Zum Beispiel Dekarbonisierung: Wir senken durch technische Innovationen – etwa Wasserstofftechnologien oder Carbon Capture – sowie durch Dienstleistungen in Wartung, Instandhaltung und Beratung den Ressourcenverbrauch unserer Industriekunden. Für die Modernisierung von Anlagen, ihre zunehmende Digitalisierung und ihre Anpassung an sich ändernde Standortbedingungen brauchen wir kreative, engagierte und qualifizierte Mitarbeitende.
Thorsten Graetz: Nachhaltigkeit heißt dabei für uns natürlich mehr als Ökologie oder Dekarbonisierung. Dazu drei Beispiele: Die Menschenrechte sind auf unseren Baustellen in Deutschland und Europa gewahrt; dies müssen wir in der globalen gesamten Lieferkette sicherstellen. Oder: Chancengleichheit ist heute umso mehr ein Gebot der Stunde, um Fachkräfte für das Unternehmen langfristig zu gewinnen. Und nicht zuletzt geht es ökonomisch darum, auch unter Wettbewerbsdruck nicht allein den schnellen Erfolg zu sehen, sondern in die Zukunft zu investieren – zu allererst in das, was Industrieservice besonders ausmacht: qualifizierte und motivierte Mitarbeiter. Daher versammeln wir uns auch im VAIS unter dem Motto: Menschen bewegen Industrie.
Sie nennen Industrieservice ein „People‘s Business“ geprägt durch Leistungen Ihrer Mitarbeiter anstelle technischer Produkte. Was bedeutet für Sie der demografische Wandel?
S. Elsner: Der demografische Wandel und der daraus resultierende Fachkräftemangel ist ein omnipräsentes Thema in der gesamten Industrie; der deutschen Wirtschaft fehlen jährlich mehr als 400.000 Fachkräfte – laut Institut der deutschen Wirtschaft. Im Industrieservice ist dies bereits kritisch spürbar – auch hier: nicht allein für die strategische Ausrichtung unserer Unternehmen, sondern ganz konkret im Tagesgeschäft: Aufträge sind konkret in Gefahr. Die Personalnot droht die Wachstumsbremse Nr. 1 zu werden.
Wie können Sie hier gegensteuern?
Raphael Kern: Ich möchte anknüpfen an den sozialen Aspekten von Nachhaltigkeit. Mitarbeitende haben nicht allein Aufgaben. Gerade junge Kollegen haben heute ebenso eine klare Erwartungshaltung an die Entlohnung, aber ebenso an ihre Aufgabe als Teil ihres gesamten beruflichen Umfelds mit dem sie sich identifizieren wollen. Als Verantwortlicher bin ich selbst noch keine 30 Jahre alt und weiß: Junge Menschen für Industrieservice zu begeistern, heißt Fachkräfte langfristig binden.
Sicherlich können wir als familiengeführtes mittelständisches Unternehmen in diesem „War for Talents“ mit Big Playern der Tech-Branchen nur dann mithalten, wenn wir eine klare Werteorientierung haben, jeden einzelnen Mitarbeitenden wertschätzen, ihnen motivierende Aufgaben übertragen und so auch für sie eine emotionale Bindung an das Unternehmen schaffen.
R. Mank: Dazu braucht es das unmittelbare persönliche Engagement von Führungskräften. Der persönliche Kontakt ist der entscheidende Faktor – nicht nur für junge Mitarbeiter.
Wertvoll und motivierend fand ich die Anregungen aus der heutigen Diskussion, noch stärker als bisher Fachkräfte eigenständig im Unternehmen zu entwickeln. Wir werden in den kommenden Jahren viel in die Weiterbildung investieren. Erfahrene Mitarbeitende im Unternehmen als Mentoren sind dafür wichtig. Hier können wir auch im Netzwerk des VAIS die Unternehmensleitungen noch mehr sensibilisieren. Das heutige Treffen war hierfür sehr nützlich.
Junge Fachkräfte für Industrieservice begeistern und Wachstum für die Branche sichern, das geht Hand in Hand. Was kann die Digitalisierung hierbei leisten?
S. Elsner: Zunächst: Digitalisierung automatisiert Geschäftsprozesse und macht sie effizienter. So können zum Beispiel digitale Freigabeverfahren für Arbeitsverfahren auf den Kundenbaustellen Zeit und Kosten sparen. Die Digitalisierung von einfacheren Arbeiten, durch Einsatz von Robotern oder Scan-Technologien, kann Kapazitäten von Facharbeitern frei machen.
Zudem bietet die Digitalisierung – und dazu zähle ich auch den Einsatz von künstlicher Intelligenz in unseren Prozessen – viele Chancen für neue Geschäftsmodelle und Innovationen: So haben wir bereits neue, intelligente Komponenten entwickelt – wie zum Beispiel den „digitalen Flansch“ – und können so die Prozesse in den Anlagen unserer Kunden effizienter und zudem noch sicherer gestalten.
Nicht zuletzt kann die Abrechnung und Dokumentation von Serviceleistungen durch digitale Lösungen deutlich vereinfacht werden.
T. Graetz: Stefan Elsner beschreibt hier bereits digitale Realität im Industrieservice. Auch unser Unternehmen entwickelt seine eigenen digitalen Prozesse und zudem Softwarelösungen. Dabei sind mir zwei Dinge wichtig: Digitalisierung im Industrieservice wird stets in einem Spannungsverhältnis zu realisieren sein: zwischen sehr individuellen Anforderungen unserer Kunden an Standorten mit einer langjährig gewachsenen Infrastruktur einerseits und andererseits der Notwendigkeit, kostengünstige Lösungen zu entwickeln für ein Roll out über mehrere Standorte. Standardisierung von Schnittstellen wird künftig eine noch wichtigere Rolle spielen.
Zudem möchte ich die Möglichkeiten und den Erfolgsbeitrag von Digitalisierung stets realistisch beurteilen: Aus einem technisch oder organisatorisch schlechten Prozess wird nach der Digitalisierung ein schlechter digitaler Prozess.
R. Kern: Letztlich wird auch hier unser Erfolg von unseren qualifizierten Mitarbeitern abhängen.
Die generell zunehmende Akademisierung der Berufseinsteiger ist für die Gewinnung von Fachkräften nicht immer von Vorteil – an diesem Punkt jedoch hilft sie. Uns muss es gelingen, fähige IT-Talente für diese Branche zu gewinnen. Ein iPad, Scangeräte oder aber Kamera-Drohnen sind längst gängige Werkzeuge auf unseren Baustellen; sie werden aber leider noch zu wenig als hochmodernes Equipment wahrgenommen, mit dem wir im Industrieservice spannende Aufgaben lösen.
Wir müssen zeigen, was Industrieservice kann!
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