Anlagenbau & Prozesstechnik

Was tut sich in der Reinraumtechnik?

Aktuelle Entwicklungen in der Regelsetzung beim VDI

17.07.2014 -

Damals wie heute sind diese Richtlinien deutliches Zeichen der Tatsache, dass Deutschland als Technologiestandort in diesem expandierenden Gebiet weltweit eine Führungsrolle beansprucht. Die Führungsrolle wurde und wird auch in der internationalen Community vertreten: Engagierte Experten wie Dr. Lothar Gail, Dr. Udo Gommel, Norbert Otto, Prof. Gernod Dittel und Prof. Horst Weißsieker vertreten den Standpunkt der deutschen Reinraum-Fachleute auch in der ISO und sind so auf internationalem Parkett für die ganze Branche tätig.

Status quo
Über die letzten 10 Jahre hat sich die Anzahl der Richtlinien in der Reihe VDI 2083 stark vergrößert. Bestimmte Dinge, die man in den 1970er Jahren noch als Stand der Technik sehen musste, sind heute Commodities, neue Felder taten sich auf. Aktuell sind 22 Richtlinien gültig, siehe Tabelle 1.

Wussten Sie schon?
Unter www.vdi.de/2083 finden Sie stets den aktuellen Stand der VDI 2083 abgebildet. Zu allen bereits veröffentlichten Richtlinien können Sie jeweils Inhaltsverzeichnis und Anwendungsbereich einsehen, für Entwürfe, deren Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, besteht ein Link zu unserem Einspruchsportal.
Ein kleiner Exkurs: Jede gültige Richtlinie, umgangssprachlich als Weißdruck tituliert, muss fünf Jahre nach Erscheinen auf Aktualität geprüft werden. Dies ist eine wesentliche Anforderung, wenn die Richtlinie den Status einer anerkannten Regel der Technik (aRdT) beanspruchen möchte. Dieser Status löst bekanntermaßen eine juristische Bindungs- und Vermutungswirkung aus. Der Statusvermerk „Überprüft" kennzeichnet Richtlinien, die vom Fachausschuss Reinraumtechnik auf Aktualität geprüft und für nach wie vor gültig befunden wurden.

Was passiert aktuell?
Im Entwurfsstadium befindet sich aktuell VDI 2083 Blatt 2 „Festlegungen zur Prüfung und Überwachung der fortlaufenden Übereinstimmung mit den Anforderungen". Ergänzend zu VDI 2083 Blatt 3, die die Messtechnik beschreibt, empfiehlt diese Richtlinie:
• Prüfungen,
• Prüfintervalle,
• Prüfbedingungen und Sollwertvorgaben,
um die continued compliance zu belegen. Die Messverfahren selber werden in VDI 2083 Blatt 3 beschrieben. Den Kern der Richtlinie bildet Tabelle 2, siehe Auszug im Tabelle 2. Die Einspruchsfrist zum Entwurf läuft bis Ende September 2014.

Ebenfalls noch im Entwurfsstadium (doch ist die Einspruchsfrist bereits abgelaufen) befindet sich VDI 2083 Blatt 7 „Reinstmedien; Qualität, Bereitstellung, Verteilung". Wie schon der Titel sagt, soll die Richtlinie, anders als ihr Vorgänger unter derselben Nummer, nicht nur die Medienreinheit beschreiben, sondern - abgeschaut dem erfolgreichen Konzept der Reinstwasser-Richtlinie VDI 2083 Blatt 13 - das Thema umfassend behandeln. Mit Erscheinen des neuen Weißdrucks VDI 2083 Blatt 7 sollen daher die bestehenden Richtlinien VDI 2083 Blatt 7 und VDI 2083 Blatt 10 „Reinstmedien-Versorgungssysteme" ersetzt werden.
VDI 2083 Blatt 8.1 „Molekulare Verunreinigung der Reinraumluft (AMC)" wurde redaktionell überarbeitet und wird im Lauf des Jahres 2014 neu erscheinen. Die technischen Inhalte der Richtlinie haben sich nicht wesentlich geändert. Die Überarbeitung wurde jedoch notwendig, weil die ISO eine neue Systematik in der Nomenklatur der Reinheitsklassen eingeführt hat. Was früher AMC (= airborne molecular contamination) hieß, heißt aktuell ACC, nämlich air cleanliness by chemical concentration. Damit musste der Text der Richtlinie aktualisiert werden.

Was steckt noch „in der Pipeline"?
Sehnlich erwartet wird von Reinraumbetreibern der Entwurf VDI 2083 Blatt 9.2 „Verbrauchsmaterialien im Reinraum". Diese Richtlinie steht nach schwerer, engagierter Arbeit insbesondere des Vorsitzenden, Carsten Moschner (dastex) und der Kollegen Dr. Udo Gommel und Frank Bürger (beide FhG-IPA) vor der Entwurfsveröffentlichung (Veröffentlichung voraussichtlich drittes oder viertes Quartal 2014). Ich glaube, unter den Expertinnen und Experten im Ausschuss hat sich bei Beginn des Projekts kaum eine(r) vorgestellt, welch ein Haufen Arbeit da anrollte. Herausgekommen aus den vielen hitzigen, aber stets konstruktiven Diskussionen eine Richtlinie, die dem Nutzer bei der Auswahl von Verbrauchsmaterialien und der Bewertung von Werbeversprechen helfen soll. Denn in einem Punkt sind sich die Expertinnen und Experten im Ausschuss einig: Eine pauschale Zuordnung wie im Abbildung 1 (Es handelt sich um eine vom Autor dieses Artikels erstellte Fälschung!) nach dem Muster „Diese [Setzen Sie hier ein Verbrauchsgut ein.] eignet sich für Reinräume der Klasse ISO x." ist nicht zielführend.

Folgende Verbrauchsmaterialien werden behandelt:
Handschuhe
Mehrwegbekleidung
Einwegbekleidung
Einwegmasken
Schuhe
Reinigungstücher
Reinigungsstäbchen
Moppsysteme
Papiere und Notizbücher
Verpackungsmaterialien (Beutel, Folien)
Überarbeitet werden soll VDI 2083 Blatt 15 „Personal am Reinen Arbeitsplatz". Die Richtlinie, in der der Aspekt des Personals im Reinraumbereich umfassend, einschließlich eines Schulungskonzepts, beschrieben wird, soll nach den Erfahrungen der ersten fünf Jahre ihrer Anwendung aktualisiert werden. Die Arbeiten haben noch nicht begonnen. Sollten Sie sich für die Mitarbeit an diesem Projekt interessieren, suchen Sie gerne den Kontakt zum Autor dieses Artikels.
Ergänzend zu VDI 2083 Blatt 16.1 soll VDI 2083 Blatt 16.2 „Barrieresysteme; Mini-Environments" an einigen Stellen deutlicher auf die Belange insbesondere der Mikroelektronik eingehen, als dies in VDI 2083 Blatt 16.1 geschieht. Die Arbeiten sind thematisch abgeschlossen. Über eine Veröffentlichung des Entwurfs gemeinsam mit SEMI wird nachgedacht.
Neu und hochgradig spannend ist das Projekt VDI 2083 Blatt 19 „Dichtheitsprüfung von Reinräumen". Der Bauherr oder Nutzer eines Reinraums geht i. Allg. davon aus, dass der Raum dicht ist. Stellen Sie sich die Überraschung vor, wenn man eine Dichtheitsprüfung durchführen möchte, aber die eingesetzten Prüfgebläse nicht ausreichen, um einen hinreichenden Überdruck zu erzeugen! Oder gar folgenden Effekt: Ein OP-Raum soll auf Dichtheit geprüft werden und das Treppenhaus des Krankenhauses wird mit Nebel beaufschlagt.
Angesichts der Notwendigkeit, Reinräume durch H2O2 oder Formaldehyd-Begasung zu desinfizieren wird klar, dass das Fehlen einer Norm zur Prüfung der Dichtheit von Reinräumen dringender Abhilfe bedarf. Ein Ausschuss aus führenden Fachleuten hat sich unter dem Vorsitz von Michael Kuhn (STZ-Euro) konstituiert und arbeitet an dem Thema. Erste Vorschläge für eine Klassifizierung der Dichtheit liegen vor, an Festlegungen des Prüfverfahrens wird gearbeitet. Noch aktueller sind drei Projekte, die der Fachausschuss Reinraumtechnik der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik erst vor Kurzem beraten hat:
VDI 2083 Blatt 1.1 „10 Ångström" soll die Reinheitsklassen nach DIN EN ISO 14644-1 und VDI 2083 Blatt 1 nach unten ausdehnen und sich in den Bereich der Nanopartikel vorarbeiten. (Die Anspielung auf die veraltete Einheit ist nur ein Arbeitstitel!) Eine schlichte Extrapolation der Bestimmungsgleichung für die Reinheitsklassifizierung löst das Problem aufgrund der abweichenden Eigenschaften (insbesondere des Aggregationsverhaltens) der kleineren Partikel nicht. Doch liegen inzwischen Erkenntnisse vor, die es gestatten sollten, geeignete Messtechnik und eine Klassifizierung vorzuschlagen. Die Arbeit an diesem Projekt wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2014 beginnen. Interessenten für die Mitarbeit sind willkommen.
VDI 2083 Blatt 20 „Reinheitsvalidierung" verspricht ebenfalls spannend zu werden. Mit bloßem Auge beurteilen lässt sich der Reinigungserfolg in reinen Bereichen i. Allg. nicht. Ihn zu bewerten und zu validieren soll Thema der projektierten Richtlinie sein.
VDI 2083 Blatt 21 „Adsorptions- und Desorptionsverhalten von Werkstoffen": Auch dieses Projekt erlangt seine besondere Bedeutung durch die Praktiken der desinfizierenden Begasung von Reinräumen, z. B. mit H2O2 oder Formaldehyd. Während ersteres durch bestimmte Werkstoffe z. B. katalytisch abgebaut und damit unwirksam gemacht wird, kann letzteres aufgrund von Arbeitsschutzanforderungen zu unangenehm langen Betriebsunterbrechungen nach Begasung führen. Untersuchungen des FhG-IPA sollen im Zug der Erarbeitung dieses Projekts in praxisrelevante Hinweise für den Nutzer umgesetzt werden.

Haben Sie Lust bekommen mitzuarbeiten?
Das Netzwerk des VDI in der Reinraumtechnik wächst stetig. Nicht nur, weil gilt „Wer nicht normt, wird genormt.", sondern auch, weil das ehrenamtliche Engagement zum Nutzen der gesamten deutschen Reinraumbranche neben „gutem Karma" auch mit Geld nicht aufzuwiegendes aktuelles Fachwissen und wertvolle Kontakte liefert. Wenn Sie also mit Ihrem Praxiswissen zu einem der genannten laufenden Projekte beitragen können oder Anregungen für neue Richtlinienvorhaben loswerden möchten, kontaktieren Sie den Autor unter gbg@vdi.de.