Lebensrettende Medikamente automatisch produziert
29.05.2019 -
Seit mehr als 30 Jahren rettet eines der wichtigsten Produkte von Porton Biopharma Limited (PBL) Kindern das Leben. Um die steigende Nachfrage zu bedienen, investiert PBL aktuell in ein neues Werk und Equipment. Darunter eine von Bosch Packaging Technology entwickelte Abfülllinie, die exakt an die anspruchsvollen Anforderungen hinsichtlich Automatisierung, Sicherheit und Effizienz angepasst ist.
Erwinase wird für die Behandlung von akuter lymphatischer Leukämie (ALL) eingesetzt – eine Krebsart, die überwiegend Kinder betrifft. Das Asparaginase-Enzym ist Teil des Behandlungsprotokolls in Kombination mit Radio- oder Chemotherapie. Seit der ersten Zulassung in Großbritannien im Jahr 1985 wurde Erwinase in 20 Ländern registriert und in mehr als 75 Ländern weltweit vermarktet. Das Medikament rettet jedes Jahr Tausenden Kindern das Leben. „Das klingt zunächst nicht nach viel. Aber wenn wir bedenken, dass diese Kinder ohne die Behandlung mit unserem Medikament keine hohe Überlebenschance hätten, sind wir stolz und glücklich über jedes Kind, das wir mit Erwinase retten können“, sagt Dr. Roger Hinton, Managing Director bei Porton Biopharma Limited.
Porton mit Sitz in Porton Down in der südenglischen Grafschaft Wiltshire ist exklusiver Hersteller des Produkts, das in Vials abgefüllt wird. Das Unternehmen wurde 2015 aus dem britischen Gesundheitsministerium ausgegründet, um Patienten einen besseren Zugang zu diesem lebenswichtigen Medikament zu ermöglichen und die Kommerzialisierung der Produkte voranzutreiben. Aktuell investiert PBL in zusätzliche Ressourcen, mit dem Ziel, Produktionsprozesse zu optimieren und die steigenden Produktionsanforderungen zu erfüllen. Dazu gehört auch der Bau eines neuen Werks mit integrierter Abfülllinie, die PBL aktuell gemeinsam mit Bosch Packaging Technology implementiert.
Von manuellen zu automatischen Prozessen
Die Produktion ist kostspielig und zeitintensiv. Bei der Entwicklung des Enzyms vergeht eine lange Zeit: Fermentierung und Aufbereitung benötigen mehrere Wochen, ehe das Produkt abgefüllt werden kann. Bislang betrieb PBL einen sehr arbeitsintensiven Prozess: Während die Vials in einer bestehenden Bosch-Maschine gereinigt wurden, erfolgten die Be- und Entladung, der Transfer sowie die Inspektion manuell. Entsprechend soll die neue Linie Prozesse automatisieren, um sie schneller, einfacher und reproduzierbarer zu machen – vor allem aber, um das Risiko eines Kontakts zwischen Bediener und Produkt zu beseitigen.
„Es war uns von Beginn an klar, dass dieses ambitionierte Projekt umfangreiche Designprüfungen benötigen würde, um die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen“, erläutert Nigel Hubbard, Senior Projektmanager bei PBL. „Tatsächlich ist die Dokumentation genauso wichtig wie das eigentliche Equipment. Bosch Packaging Technology hat nicht nur ein Team mit beeindruckendem technischem Know-how und hoher Motivation zusammengestellt. Sie haben auch eine leicht zu verstehende Dokumentation geliefert, die sogar mehr Informationen enthielt als wir erwartet hatten. Die Bosch-Tochter Valicare unterstützte das Projekt mit wertvoller Expertise in Qualifizierung, Validierung und Qualitätsplanung.“
Über 99,9 % Füllgenauigkeit
Die neue Linie deckt den gesamten Prozess ab – von der Reinigung und Entpyrogenisierung über die Abfüllung bis hin zum Verschließen, Gefriertrocknen und Bördeln. Außer dem bereits vorhandenen Gefriertrockner stammen alle Maschinen von Bosch Packaging Technology. Die MLF 5044 Füll- und Verschließmaschine für Vials arbeitet mit einer Peristaltikpumpe und 100 % In-Prozess-Kontrolle. Bei einem so kostspieligen Produkt wie Erwinase darf kein einziger Tropfen verloren gehen. Jedes Vial enthält nur einen Milliliter Produkt und muss mit höchster Genauigkeit abgefüllt werden. Dank der Peristaltikpumpe von Bosch erreichte die PBL-Linie beim FAT (Factory Acceptance Test) eine Füllgenauigkeit von über 99,9 %.
PBL entschied sich für das Einwegfüllsystem PreVAS in Kombination mit einer Peristaltikpumpe. Das vorvalidierte, vormontierte und vorsterilisierte System besteht aus Füllnadeln, Schläuchen und einem Produktbeutel mit Verbindungsstück. Da sämtliche produktberührenden Teile nach jeder Charge ausgetauscht werden, reduziert sich das Kontaminationsrisiko erheblich. Mit der laserbasierten Codierung der Vials nahm PBL eine weitere wichtige Ergänzung vor: Die Kennzeichnung übernimmt künftig ein in die VRK Bördelmaschine integrierter Laserdrucker. Dieser druckt die Chargennummer zur eindeutigen Rückverfolgung auf die Kappe des Vials, bevor ein Kamerasystem das Ergebnis verifiziert.
Sehr hohes Risikomanagement
Obwohl PBL auf Chargenbasis produziert, muss die Linie das ganze Jahr über verfügbar und stets für eine Inspektion durch die regulatorischen Behörden bereit sein. „Wir führen Simulationsläufe mit unseren Mitarbeitern durch und halten regelmäßige Trainings ab, um sicherzugehen, dass sowohl die Menschen als auch das Equipment jederzeit konform sind. Dabei sorgen wir auch dafür, dass die Sterilität von Maschinen und Umgebung aufrechterhalten wird“, erläutert Mike Raine, Director of Engineering. Deshalb setzt PBL auf ein sehr hohes Risk Engineering-Level. Sollte es jemals zu einem Problem mit einem Maschinenteil kommen, etwa bei einem Stromausfall, stehen zusätzliche Ersatzgeneratoren zur Verfügung. Diese stellen sicher, dass die Medikamente geschützt und steril bleiben.
Bosch hat den Redundanzfaktor direkt in das System hinein entwickelt: Sobald die Vials den Entpyrogenisierungstunnel verlassen, gelangen sie in ein geschlossenes System. Die Füll-, Lyophilisier- und Bördelprozesse sind dank drei separater Klasse A Laminarstrom-Gruppen mit HEPA-Filtern isoliert. Diese sorgen für eine ununterbrochene laminare Strömung – sogar im unwahrscheinlichen Fall, dass einer oder mehrere der 14 Ventilatoren ausfallen würden. Zusätzlich überwacht ein SCADA (Supervisory Control and Data Acquisition) System alle kritischen Parameter für die Chargenfreigabe wie Temperatur, Zeit und Füllgenauigkeit. Die vom SCADA-System gesammelten und geprüften Daten sind vollständig validiert und somit jederzeit bereit für eine behördliche Inspektion.
Deutliche Steigerung möglich
Trotz der anspruchsvollen Anforderungen hatte Bosch die Linie pünktlich zum FAT Mitte Juli 2018 in Crailsheim fertiggestellt. Nach der erfolgreichen Abnahme durch PBL wurden die Maschinen demontiert und für den Transport nach Großbritannien vorbereitet. Dort steht zunächst der SAT (Site Acceptance Test) an, gefolgt von der Installations- und Betriebsqualifizierung (IQ/OQ), weiteren Leistungsqualifizierungen, Testverfahren und intensivem Mitarbeitertraining. „Dank der hervorragenden Arbeit des Bosch-Teams wird das neue Werk über alle Prozessoptimierungen verfügen, die wir uns erhofft hatten. Das wird unsere tägliche Arbeit erheblich erleichtern und uns zusammen mit den weiteren Investitionen dazu befähigen, die Produktion dieses lebensrettenden Medikaments zu skalieren.“ PBL rechnet damit, dass sowohl Produkt als auch Werk für die Leistungsbeurteilung (PQ) bis Anfang 2020 autorisiert sein werden – und läge damit exakt im Zeitplan.