Anlagenbau & Prozesstechnik

5G-Campusnetze: Gebührenordnung verabschiedet

Industrie begrüßt Vergabebedingungen für lokales Breitband

10.12.2019 - Module Type Package (MTP), die NAMUR Open Architecture (NOA) und Enhanced Connectivity sind Themen, die die in der NAMUR organisierten Automatisierer derzeit bewegen. Dabei verlangt der Trend zu flexiblen und modularen Produktionskonzepten auch besondere Herausforderungen an die drahtlose Kommunikation: Immer mehr Geräte, höhere Zuverlässigkeit und geringere Latenz.

Die kommunikative Vernetzung von Produktions- und Logistikelementen ist der Schlüssel von der verketteten Automation hin zur Flexibilisierung der Produktion. Industrial 5G ist dafür die Grundlage, denn es bietet eine zuverlässige Breitband-Übertragung und ultrakurze Latenzzeiten für Netzwerke mit einer großen Anzahl von Teilnehmern. Neben den öffentlichen Netzen der Mobilfunkbetreiber wird es auch „private“ Campusnetze geben, vergleichbar mit einem hocheffizienten WLAN. Die Politik hat jetzt – auch auf Druck vieler Verbände – den Weg freigemacht für diese Netze und die Vergabebedingungen festgelegt. Bei der Bundesnetzagentur können jetzt die benötigten Frequenzbänder beantragt werden.

Industrielle Relevanz von 5G
Die 5. Generation der mobilen Kommunikation ist von großer industrieller Bedeutung und kann viele Dinge leisten, die bisher nicht möglich waren. Ein Blick zurück auf die Entwicklung der Mobilfunknetze verdeutlicht dies. Mit dem Netz der 1. Generation (1G, Release: 1979) war es lediglich möglich, mobil zu telefonieren; es gab keine spezielle industrielle Anwendung. 2G (1991) ermöglichte zusätzliche Textnachrichten und erlaubte industrielle Anwendungen in der Fernwirktechnik. Mit 3G (2002) wurde das mobile Internet ermöglicht, industriell konnte Fernzugriff bspw. für Teleservice realisiert werden, wo Nutzer mit entfernt installierten Anwendungen interagieren konnten. 4G (2009) brachte Musik- und Videostreaming mit sich, der mobile Servicetechniker und die Wartung über Smartphone wurden möglich. Eine vollumfängliche Einsatzfähigkeit für industrielle und logistische Applikationen wird jetzt mit 5G (2019) erreicht, wobei erst mit den Releases 16 (geplant: Juni 2020) und 17 (geplant: Januar 2022) alle Funktionen für eine drahtlose Lenkung von Industrieanlagen möglich werden.

Funktionen von 5G
5G zeichnet sich gegenüber früheren Netzen durch erhebliche Fortschritte bei den Funktionen Datenübertragung, Latenz und Zuverlässigkeit (Determinismus) sowie die mögliche Anzahl kommunizierender Geräte aus.
Mit eMBB (enhanced Mobile Broad Band) wird eine hohe Datenübertragung ermöglicht, die generell für Streaming-Funktionen im Mobilfunk wichtig ist und industrielle Anwendungen im Bereich Augemented und Virtual Reality ermöglicht. Beispielsweise können Mitarbeitern bei Montage und Service Informationen und Grafiken interaktiv in Datenbrillen eingeblendet werden. Diese Funktionen können mit dem aktuellen Release 15 bereits erreicht werden.
Mit URLLC (Ultra-Reliable Low-­Latency Communication) wird die hohe Verfügbarkeit und geringe Latenz bei Reaktionszeiten im unteren Millisekundenbereich erzielt. Relevant ist dies z. B. für die Bewegungssteuerung von Maschinen oder die Positionsbestimmung bei Robotern.
mMTC (massive Machine-Type Communication) ermöglicht die Anbindung von bis zu einer Million Geräte pro km2 – eine besonders für die Prozessindustrie mit ihren vielen installierten Sensoren wichtige Errungenschaft. Ein weiterer Vorteil: 5G soll trotz besserer Leistung weniger Energie als die Vorgängersysteme benötigen und damit energiefreundlicher und wartungsärmer werden.

Antragsverfahren für 5G-Campus-Netze gestartet
Nachdem die öffentlichen 5G-Netze im  Sommer 2019 an diverse Mobil­funkanbieter versteigert worden sind, hat die Bundesnetzagentur am 21.11.2019 das Antragsverfahren für lokale 5G-Funkanwendungen gestartet. Zuvor hatte die Politik die finanziellen Richtlinien hierfür festgelegt. „Mit den Frequenzen für lokale Anwendungen fördern wir die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Wir setzen auf innovative Lösungen und schaffen Möglichkeiten für vielfältige Campus-Netze. Wir wollen, dass Deutschland eine Vorreiterrolle im Bereich Industrie 4.0 einnehmen kann“, sagt Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur.
Die Bundesnetzagentur stellt für lokale Netze den Frequenzbereich von 3.700 bis 3.800 MHz bereit. Die Frequenzen können insbesondere für Industrie 4.0, aber auch die Land- und Forstwirtschaft eingesetzt werden. Eine Antragsberechtigung kann sich aus dem Eigentum an dem Grundstück oder aus einem sonstigen Nutzungsrecht (z. B. Miete, Pacht) bzw. entsprechender Beauftragung ergeben.
Anträge können elektronisch gestellt werden und sollen in einem einfachen, unbürokratischen Verfahren bearbeitet werden. Damit ist die Voraussetzung für eine schnelle Antragsbearbeitung geschaffen. Frequenzen können unmittelbar nach der Zuteilung genutzt werden. Die Zuteilungsdauer soll dafür sorgen, dass Frequenzen nur für die tatsächliche Zeit ihrer Nutzung beantragt werden.
Gebührenformel für lokales Breitband
Die Zuteilungsgebühr wird in jedem Einzelfall nach folgender Gebührenformel errechnet:
Gebühr (€) =
1.000 + B ∙ t ∙ 5 (6a1 + a2)
1.000 gibt den Sockelbetrag in € an
B: Bandbreite in MHz (min. 10 bis max. 100 MHz)
t: Laufzeit der Zuteilung in Jahren (z.B. 10 Jahre)
a: Fläche in km² mit einer Differenzierung zwischen der Siedlungs- und Verkehrsfläche (a1) und anderen Flächen (a2).

Mit der Festlegung der Zuteilungsgebühr wird eine optimale Nutzung und effiziente Verwendung dieser Güter sichergestellt. Daher steigt die Gebühr mit der beantragten Bandbreite. Das Gleiche gilt für die Größe des Gebietes, in dem die Frequenznutzung erfolgen soll. Der Grundbetrag wurde so niedrig gewählt, dass Geschäftsmodelle nicht verhindert werden, z. B. von Start-ups, KMUs oder im Bereich Landwirtschaft. Auch die Zuteilungsdauer wird in der Gebühr berücksichtigt, was den Anreiz für den Antragsteller setzt, die Frequenzen nur für die Dauer zu beantragen, in der eine Nutzung abgeschätzt werden kann.
Zwei Beispiele verdeutlichen die Größenordnung dieser Gebühren: Wenn ein Chemieunternehmen wie die BASF am Standort Ludwigshafen mit einer Fläche von 10 km2 eine Bandbreite von 50 MHz für zehn Jahre beantragt, ergibt sich eine Zuteilungsgebühr von 151.000 €. Ein kleinerer Betrieb mit einer Fläche von 0,5 km2 zahlt für eine Bandbreite von 10 MHz für 10 Jahre 2.500 €.
Die vier Industrieverbände VCI, VDA, VDMA und ZVEI begrüßen die jetzt festgelegten Vergabebedingungen für industrielle und landwirtschaftliche Mobilfunknetze im Frequenzbereich 3,7 bis 3,8 GHz.

Ab sofort kann mit Planung, Installation und Konfiguration privater 5G-Mobilfunknetze begonnen werden. Deutschland hat somit die Chance, zum Leitmarkt und Leitanbieter für industrielle Mobilfunkanwendungen zu werden. „5G kann mit KI zum Nervensystem der digital vernetzen Produktion werden. Es kommt in gewisser Weise zusammen, was zusammengehört. Und es bestehen gute Chancen, die Führungsposition der Automationsbranche wie der deutschen Indus­trie insgesamt weiter auszubauen“, äußert sich Gunther Koschnick, ZVEI-Fachverbandsgeschäftsführer Automation. „2020 wird das Testjahr für 5G-Anwedungen.“
Mehrere Dutzend Industrieunter­nehmen haben bereits Interesse an Mobilfunkfrequenzen für lokale Campusnetze bei der Bundesnetzagentur angemeldet. Einige Unternehmen werden ihre Mobilfunknetze selbst betreiben, andere werden sich nach Partnern aus der Netzanbieter- oder Netzausrüsterindustrie umsehen. Insgesamt bedeuten die Vergabebedingungen aus Sicht der Industrieverbände einen wichtigen Schritt für die industrielle Nutzung der 5G-Technologie in Deutschland.

Vendor-Aktivitäten
Die Deutsche Telekom bietet mit ihren Campus-Netzen eine Infrastruktur für die smarte Fabrik von Morgen an. Gemeinsam mit Partnern aus der Industrie will Europas größtes Telekommunikationsunternehmen sein 5G-Ökosystem für die Industrie weiter ausbauen. In der Prozessautomatisierung kooperiert die Telekom dazu neu mit Endress+Hauser.
Ziel der Kooperation ist die Entwicklung gemeinsamer Angebote im Bereich der Mess- und Automatisierungstechnik für die Prozessindus­trie. Dabei geht es um die Integration von Messgeräten und Zubehör in die nächste Generation der Mobilfunknetzwerke sowie darauf basierende digitale Dienstleistungen. Eine entsprechende Absichtserklärung haben beide Unternehmen unterzeichnet; nun arbeiten sie an einem abgestimmten Zeitplan.
Endress+Hauser möchte als einer der ersten Hersteller seine Feldgeräte mit Mobilfunk-Modulen ausstatten und bei bestehenden Anlagen über neu entwickelte HART-Gateways mit 5G-Netzwerken verbinden. Dadurch kann eine große Zahl von Messgeräten parallel und in Echtzeit eine Fülle von Prozess- und Geräte-Daten übertragen. Diese lassen sich bspw. in Cloud-Anwendungen für eine vorausschauende Wartung verfahrenstechnischer Anlagen auswerten.  „Unsere Instrumente erfassen neben den eigentlichen Messwerten eine Fülle an Informationen aus dem Prozess und über den Sensor“, sagt Matthias Altendorf, CEO von Endress+Hauser. „Die 5G-Campus-Netzwerke öffnen einen zweiten, von der Steuerung der Anlage unabhängigen Signalweg und machen es so möglich, dieses Potenzial zu erschließen. Wir können dadurch Wertschöpfungsketten über Unternehmensgrenzen hinweg enger miteinander verflechten und industrielle Prozesse effizienter gestalten.“

Siemens und Qualcomm Technologies haben das erste eigenständige private 5G-Netz in einer realen industriellen Umgebung bei Nutzung des 3,7 - 3,8 GHz-Frequenzbandes implementiert. Im Rahmen dessen bündeln beide Unternehmen ihre Kompetenzen: Siemens stellt die realen industriellen Testbedingungen und Endgeräte wie Simatic-Steuerungen und IO-Devices zur Verfügung und Qualcomm liefert das 5G-Testnetz sowie die dazugehörigen Testgeräte. Das 5G-Netz wurde im Automotive Showroom und Testcenter von Siemens in Nürnberg installiert. „Industrial 5G öffnet die Tür zur umfassenden drahtlosen Vernetzung von Produktion, Instandhaltung und Logistik. Hohe Datenraten, ultrazuverlässige Übertragung und ultrakurze Latenzzeiten werden eine erhebliche Effizienzsteigerung und Flexibilisierung in der industriellen Wertschöpfung ermöglichen“, sagt Eckard Eberle, CEO der Siemens Business Unit Process Automation. „Unsere jahrzehntelange Erfahrung in der industriellen Kommunikation und unsere Branchenkompetenz gepaart mit dem Know-how von Qualcomm Technologies ebnen den Weg für die drahtlose Vernetzung der Fabrik der Zukunft.“

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