Logistik & Supply Chain

Risiken in der Pharma-Supply-Chain mindern

Interview mit Joachim von Winning, Hauptgeschäftsführer der Air Cargo Community Frankfurt

02.10.2018 -

Im Jahr 2016 hatte die IATA das Center of Excellence for Independent Validators in Pharmaceutical Logistics (CEIV Pharma) eingeführt, um die Qualität des Transports und Handlings temperaturempfindlicher Pharmaka in der Luftfrachtkette zu standardisieren und zu verbessern. Für CHEManager befragte Sonja Andres den Hauptgeschäftsführer der Air Cargo Community Frankfurt, Joachim von Winning zu Pharmazertifizierungen und allgemein zu Risikomanagement sowie zum umfassenden Projekt Mytigate. Der Luftfrachtexperten von Winning beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Supply Chain von Pharmaprodukten.

CHEManager: Wie beurteilen Sie die generelle Akzeptanz CEIV Pharma-zertifizierter Umschlagzentren für Pharmaluftfracht durch die Pharmaunternehmen?

Joachim von Winning: Die Einführung des Center of Excellence for Independent Validators in Pharmaceutical Logistics ist auf Impulse der Industrie zurückzuführen. Die EU-Kommission hat drei Jahre zuvor ihre Good Distribution Practice, kurz EU-GDP, für Europa und weitere Drittländer verpflichtend eingeführt. In dieser Richtlinie geht es unter anderem um Bestimmungen zum durchgängig geschützten Transport von Pharmaprodukten.

Die EU-Anforderungen sind bezüglich der Luftfracht wenig konkret. Andere Regionen haben eigene Standards entwickelt. Das hat zu Unsicherheiten geführt und zur Anforderung an die IATA, einen weltweiten Air Pharma Standard zu entwickeln, der sich auf die Luftfracht spezialisiert.

Eine Expertengruppe der IATA aus Fluggesellschaften, Speditionen und Pharmaunternehmen, in der auch die Air Cargo Community Frankfurt vertreten ist, hat Checklisten entwickelt. In diese fließen Inhalte von EU-GDP und deren Auslegungen, sowie Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation, WHO, oder auch amerikanische Standards ein.

Ist dadurch ein Anstieg dieser speziellen Pharmatransporte per Luftfracht zu verzeichnen?

Joachim von Winning: IATA CEIV Pharma beschreibt einen hohen Industriestandard für die an der Luftfrachtkette beteiligten Unternehmen, die danach auch zertifiziert sind. Das ist ein wichtiger Faktor für die Entscheidung, über welche Transportwege Pharma befördert werden soll.

Wo sind innerhalb der Supply Chain insbesondere die kritischen Punkte im Handling dieser Art von Pharmaprodukten zu suchen?

J. von Winning: Die wichtige Frage ist immer: Wie lange befinden sich die Produkte entlang der Transportkette außerhalb der Temperaturführung? Wir haben zu diesem Thema in unserem Community-Kompetenzteam Pharma einen Muster-Standardprozess aufgelegt. Dieser beschreibt für den Standort Frankfurt, dass Pharmazeutika maximal zwei Stunden untemperiert den Umgebungseinflüssen ausgesetzt sein dürfen.

Für den Versender folgt daraus die Maßgabe, seine Ware dementsprechend zu verpacken und für den Umschlag zusätzliches Handling oder besondere Dienstleistungen wie einen Thermo-Dolly zu buchen. Die IATA gibt vor, dass Verpackungen vom Versender so ausgelegt sein müssen, dass die Produkte drei Stunden ohne Temperatursteuerung aushalten. Dieses Modell beachtet aber nicht etwaige Temperaturunterschiede zwischen Versand- und Zielort. Hier verwenden einige Versender zur Errechnung der Temperaturführung ein Rechenmodell mit Kelvinstunden, das den Temperaturunterschied in Relation zur Zeit setzt.

Erhöht die CEIV-Pharma-Zertifizierung die Qualität im Handling und beim Verladen von temperaturempfindlichen pharmazeutischen Produkten an den Flughäfen tatsächlich?

J. von Winning: Zertifizierungen sind ein wichtiges Element, mittel- und langfristig einheitliche und qualitativ hochwertige Standards zu erreichen. Sie legen Versendern dar, dass die Stakeholder entlang der Transportkette durch anerkannte Stellen auditiert wurden – sei es nach dem IATA CEIV-Standard oder dem jeweiligen GDP.

In den Unternehmen gibt es also beschriebene Prozesse für das Pharmahandling. Diese müssen in der täglichen Arbeit aber auch eingehalten werden. Nur so kann die Qualität, die in der Zertifizierung verankert ist, auch in puncto sicherem Umgang mit Pharma und der Beschleunigung der Abfertigung in die Praxis umgesetzt werden.

Bietet sie den Pharmaunternehmen weitere Vorteile?

J. von Winning: Für die Pharmaunternehmen haben Zertifizierungen noch einen anderen entscheidenden Vorteil: Sie können sich eigene, vorhergehende Auditierungen von Kooperationsunternehmen bei Ausschreibungen neuer Transportwege sparen. Denn schon erfolgte Zertifizierungen der in Frage kommenden Stakeholder durch anerkannte Stellen belegen dem Hersteller, dass er sich auf geprüfte Prozesse verlassen kann. Was den Hersteller allerdings nicht vom zweiten Schritt entbindet, nämlich die eigene Risikobewertung der Transportkette vorzunehmen. Welche mögliche Gefahren gibt es und wie gehe ich damit um? Spätestens nach der Vergabe müssen die Unternehmen also eine Überprüfung der Transportkette mit eigenen Auditoren machen.

Die Air Cargo Community Frankfurt ist im Beirat des Forschungsprojekts „Pharma Supply Chain Riskmanagement in der Luftfracht“ sowie dem in diesem Kontext entwickelten Tracking Tool „MYTIGATE“ der UAS Frankfurt, Hochschule RheinMain und Hochschule Fulda. Wo setzt das Projekt in der Hauptsache an und welche Fortschritte macht das Projekt?

J. von Winning: Wir sehen in der Air Cargo Community Frankfurt eine grundlegende Notwendigkeit, die Digitalisierung im Luftfrachtbereich voranzutreiben. Das machen wir nicht alleine, sondern entlang der Schnittstellen unserer Mitgliedsunternehmen und in der Kooperation mit Experten aus der Wissenschaft. Das Projekt „MYTIGATE“ setzt genau hier an.

Wir brauchen die Forscher, die zum Beispiel die Algorithmen zur Datenauswertung programmieren. Das ist die Vision des Projekts Mytigate: Durch die Identifizierung, Analyse und Bewertung von Daten aus der Pharmatransportkette ein sicheres und digitales Supply-Chain-Management zu entwickeln. Ebenso bringen die Praktiker ihre Expertise aus der täglichen Arbeit an den einzelnen Arbeitsstellen der Transportkette ein. Wir hinterfragen also unsere Prozesse, ermitteln Potentiale und investieren langfristig in die Entwicklung neuer Technologien.

Ist Mytigate bereits praxistauglich?

J. von Winning: Wir befinden uns noch in der ersten Phase, in der es um die Schaffung von Projektgrundlagen, dem Gewinnen von Erkenntnissen und dem Aufstellen von Checklisten geht. Im nächsten Schritt legen wir fest, wie Mytigate als Plattform aussehen könnte.

Worin sehen Sie den größten Nutzen dieses Forschungsprojekts?

J. von Winning: Ich sehe den größten Nutzen in der Tat in der Wortbedeutung des englischen Verbs „to mitigate: etwas mildern. In diesem Zusammenhang ist das ein Risiko, das ein Pharmaunternehmen in seiner Supply Chain identifiziert hat. Welche Möglichkeiten bleiben dann klassischerweise? Der Versender kann das Risiko versichern. Oder er lernt, mit dem Risiko umzugehen, es zu mildern.

Mytigate hat hierzu folgende Idee: über ein Tracking-Tool Daten der Hersteller und der Stakeholder entlang der Supply Chain des Pharmatransports zu sammeln und daraus Risikoprofile abzuleiten. Diese schlüsseln dann die Fähigkeiten auf, die ein Spediteur, ein Ground-Handlings-Unternehmen, eine Airline oder ein ganzer Standort – wie zum Beispiel der Flughafen Frankfurt - im Umgang mit Pharma hat. Hierzu gehören unter anderem mögliche Umwelteinflüsse, die Prozesse zur Temperaturführung auf dem Vorfeld oder Verfügbarkeit bestimmter Lagereinrichtungen.

An dieser Stelle sind auch die Zertifizierungen nach CEIV Pharma oder EU-GDP Compliance ein maßgeblicher Wert. Der Versender soll dann anhand dieser Risikobewertungen die für seine Ware am besten geeignetste Transportkette buchen können. Das bedeutet für ihn und alle an der Supply-Chain beteiligten Unternehmen mehr Transparenz und Sicherheit.

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