Engagagement für eine bessere Chemie
Clariant will mit nachhaltigeren Produkten Standards für verantwortungsvollere Praktiken setzen
Beschichtungen, Lacke, Anstrich- und Druckfarben machen unser Leben nicht nur bunter, sondern schützen auch Oberflächen. Innovationen der Lack- und Farbenbranche sind entscheidend für die Herstellung von Qualitätsprodukten für Dutzende von Anwendungsfeldern. Entscheidenden Anteil an diesen Innovationen haben die Zulieferer der Vorprodukte. Clariant, einer der führenden Anbieter von Spezialchemikalien für die Farben- und Lackindustrie, treibt mit einem der umfassendsten Portfolios an Additiven die Entwicklung nachhaltigerer und leistungsfähigerer Lösungen voran. Michael Reubold befragte Stefan Brejc, Global Vice President im Segment Coatings & Adhesives des Geschäftsbereichs Adsorbents & Additives bei Clariant, zu den aktuellen Markttrends.
CHEManager: Herr Brejc, ihre Produkte kommen in einer Vielzahl an Anwendungen zum Einsatz. In welchen Regionen und Anwendungsmärkten erwarten Sie in der nächsten Zeit Wachstumschancen und welche Trends sind die wichtigsten Wachstumstreiber?
Stefan Brejc: Die wichtigsten Abnehmerbranchen haben sich 2024 nach einer Phase der Normalisierung moderat entwickelt. Die Bauindustrie durchläuft aktuell eine schwierige Phase aufgrund hoher Zinsen und regulatorischer Einschränkungen. Trotz dieser Herausforderungen entwickelte sich das Baugeschäft 2024 gut. Regional gab es deutliche Unterschiede in der Entwicklung zwischen Asien und Europa.
Wir erwarten zwar sowohl in Asien als auch in Europa künftig stärkeres Wachstum, allerdings mit unterschiedlichen Treibern. In Asien wird das Wachstum hauptsächlich durch steigende Kundennachfrage getrieben, während in Europa die wachsende Nachfrage nach nachhaltigen Produkten der Haupttreiber ist. Wichtige Wachstumssegmente sind PFAS-freie Lösungen für den Druckfarbenmarkt, mikroplastikfreie Saatgutbeschichtungen in der Landwirtschaft, melaminfreie Flammschutzmittel für die Bauindustrie und recyclingfähige Teppiche.
Nachhaltigkeit ist nicht nur unter den Markttrends derzeit das allesbeherrschende Thema, sondern bestimmt auch die Innovationsstrategien vieler Unternehmen. Wie definieren Sie Nachhaltigkeit auf Produktebene?
S. Brejc: Bei Clariant definieren wir Nachhaltigkeit auf Produktebene ganzheitlich entlang unserer Nachhaltigkeitsschwerpunkte. Diese sind die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks durch innovative Lösungen für unsere Kunden, die kontinuierliche Reduzierung von Abfall und Verschmutzung über Betriebsabläufe und Wertschöpfungsketten hinweg, eine verbesserte Produktleistung für längere Lebensdauer sowie das Ermöglichen der Kreislaufwirtschaft durch Lösungen für das Recycling und die Wiederverwendung von Materialien.
Zudem steht die Förderung einer nachhaltigen Bioökonomie durch den Schutz der Natur und die Aufrechterhaltung hoher sozialer Standards in unserem Fokus. Hier kommt unser Beitrag bei der Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen und biotechnologischen Verfahren zum Tragen. Und schließlich wollen wir gesellschaftlichen Mehrwert für Mitarbeiter, Geschäftsnetzwerke und die Gesellschaft schaffen. Der Kern ist die kontinuierliche Transformation unseres Portfolios hin zu nachhaltigeren Produkten und Prozessen. Dabei schaffen wir Transparenz, um fundierte Entscheidungen zu treffen und unseren Kunden den Übergang zu erneuerbaren Alternativen zu erleichtern.
„Wir haben die einzigartige Möglichkeit, gleichzeitig Geld zu verdienen und das Richtige zu tun.“
Wie haben sich die Anforderungen Ihrer Kunden an Ihre Produkte insbesondere zum Thema Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren verändert und wie reagieren Sie darauf?
S. Brejc: Die Kundenanforderungen haben sich deutlich in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt. Nachhaltigkeit ist von einer Nische zum Mainstream geworden und wird heute als fundamentaler Bestandteil der Geschäftstätigkeit gesehen.
Als Innovationspartner setzen wir stark auf digitale Transformation. Ein Beispiel dafür ist Clarita, unsere im August 2023 implementierte KI-Plattform. Diese unterstützt uns dabei, Kundenanforderungen schneller und präziser zu erfassen und maßgeschneiderte nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Die Integration von KI in unsere Prozesse ermöglicht es uns, das gesamte Wissen der Organisation effektiv zu nutzen und unseren Kunden einen Mehrwert zu bieten, der über das reine Produkt hinausgeht.
Wo im Produktlebenszyklus macht sich Nachhaltigkeit bemerkbar – bei den Rohstoffen, der Performance oder beim Recycling?
S. Brejc: Nachhaltigkeit zeigt sich im gesamten Produktlebenszyklus: Bei den Rohstoffen durch Verwendung erneuerbarer Materialien wie etwa Reiswachs, in der Performance durch verlängerte Produktlebensdauer und beim Recycling durch zirkuläre Lösungen, wie zum Beispiel recyclingfähige Teppiche.
Ein aktuelles Thema ist die Diskussion um ein pauschales Verbot von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen – PFAS. Welche Rolle spielen regulatorische Vorschriften für die Entwicklung neuer Additive?
S. Brejc: Clariant hat Ende 2023 proaktiv den Vertrieb von PFAS-haltigen Additiven beendet. Dies geschah in Vorbereitung auf kommende globale Regulierungen und zeigt unser Engagement für nachhaltige Kundenlösungen. Derzeit haben wir keine strikten Regulierungen von PFAS-basierten Chemikalien, dennoch ist es uns gelungen ca. 20 % des ehemaligen PFAS-basierten Geschäftes durch PFAS-freie Produkte zu ersetzen. Ein Teilerfolg gelingt auch ohne Regulierungen.
Das heißt, Sie antizipieren künftige regulatorische Anforderungen?
S. Brejc: Ja, wir verfolgen bei Clariant einen proaktiven Ansatz in der Produktentwicklung. Zum einen gibt es eine stetig wachsende Nachfrage von unseren Kunden, andererseits einen Druck von den Regierungen in Bezug auf Nachhaltigkeit. Dies gilt zum Beispiel für die Reduzierung von Emissionen, aber auch für die Reduzierung von Abfällen, die Steigerung der Kreislaufwirtschaft und die Ermöglichung der Defossilisierung. Hier versuchen wir immer vorausschauend zu agieren und hier ist unsere Umstellung auf PFAS-freie Produkte ein gutes Beispiel.
Ein weiteres Beispiel dafür ist die Entwicklung unserer melaminfreien Exolit AP- Flammschutzmittel. Ähnlich wie bei unserer frühzeitigen Umstellung auf PFAS-freie Additive haben wir auch hier nicht gewartet, bis uns regulatorische Anforderungen zum Handeln zwingen, sondern haben auf die steigende Nachfrage von gesundheits- und nachhaltigkeitsbewussten Verbrauchern und Marken, die aktiv nach sichereren Alternativen zu bedenklichen Substanzen suchen, reagiert.
Dieser vorausschauende Entwicklungsansatz ermöglicht es unseren Kunden, sich frühzeitig auf kommende Regulierungen einzustellen. Obwohl wir die Herausforderung sehen, all diese Anforderungen zu erfüllen, haben wir als Spezialchemieunternehmen allen Grund, dies auch als große Chance für profitables Wachstum zu sehen. Wir haben die einzigartige Möglichkeit, gleichzeitig Geld zu verdienen und das Richtige zu tun.
Der Verzicht auf PFAS ist ja keine inkrementelle Weiterentwicklung eines Produkts, sondern erfordert eine „neue Chemie“. Können Sie anhand dieses Beispiels erläutern, wie Ihre Forscher bei solch komplexen Herausforderungen vorgehen?
S. Brejc: Megatrends, die einen Wandel in der chemischen Industrie vorantreiben, werden bei uns im Rahmen von Innovationsprojekten analysiert und aktiv bearbeitet. Unsere Forscher setzen sich zunächst intensiv mit den Wirkmechanismen des aktuellen Stands der Technik auseinander, um diese gezielt auf nachhaltigere Lösungen zu übertragen.
Da PFAS aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften nur schwer zu ersetzen sind, beobachten wir derzeit noch keinen klaren Trend oder eine universelle Lösung. Um die Komplexität dieses Themas bestmöglich zu bewältigen, setzen unsere Forscher bereits auf unsere eigene KI-Lösung Clarita, die vielversprechende Innovationswege aufzeigt. Auch in Zukunft wird Clarita als integraler Bestandteil unserer Innovationsstrategie unsere Forscher und Entwickler gezielt unterstützen.
Müssen Sie beziehungsweise Ihre Kunden bei neuen, nachhaltigeren Produkten Kompromisse bei der Leistungsfähigkeit in Kauf nehmen?
S. Brejc: In der Regal nicht – unsere nachhaltigen Lösungen bieten die gleiche oder bessere Leistung. Ein Beispiel ist unser Reiswachs-basiertes Produkt, das einen bis zu 80 % geringeren CO2-Fußabdruck bei gleichbleibender Leistung bietet. Bei anderen Produkten müssen unsere Kunden ihre Formulierungen ändern, so dass das Endprodukt eine vergleichbare Performance zeigt.
Letztendlich ist also die Systemwirkung – also das Zusammenwirken mehrerer Komponenten in einer Anwendung – entscheidend.
S. Brejc: Ja, wir haben mehrere überzeugende Beispiele dafür, wie unsere Additive im Zusammenspiel besondere Leistungen erzielen. Eines ist AddWorks IBC 760, das die Lebensdauer von SMP-Dichtungsmassen um bis zu 50% verlängert und dabei überlegene Verwitterungs- und Wärmestabilität bietet. Auch im Bereich der Druckfarben zeigt sich die Stärke unseres Portfolios: Mit Ceridust 1310 bieten wir eine innovative Wachslösung an, die sich perfekt mit anderen Additiven kombinieren lässt, etwa für Premium-Verpackungen mit hochwertigen Matteffekten, Hochglanzmagazine, Spezialetiketten oder wasserbasierte Decklacke mit hoher Abriebfestigkeit.
Ein weiteres Beispiel unterstützt den Trend, auch Hochhäuser in Holzbauweise umzusetzen. Diese neue Bauweise benötigt eine Kombination von innovativen Klebstoffen mit passivem Feuerschutz. Wir sehen uns gut platziert, diesen Markt anzugehen.
Welcher Ansatz liegt Ihrer Innovationsstrategie zugrunde und welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
S. Brejc: Clariant hat einen fokussierten Ansatz mit spezifischen Innovation Arenas implementiert. Dies sind gesundheits- und nachhaltigkeitsbewusste Verbraucher und Marken, die Energiewende und die Kreislaufwirtschaft. Diese Innovationsfelder sind die externen Spielfelder, auf denen wir aktiv sein wollen. Dies ist wichtig, damit wir jede mögliche Weise identifizieren können, wie unsere bestehenden Technologien und Kompetenzen ihnen über Segmente und Geschäftsbereiche hinweg dienen können.
Die Innovationsfelder sind die Bereiche mit dem größten Fokus auf Wachstum und Innovation im Zeitraum 2024 bis 2027 mit Wachstumspotenzial über 2027 hinaus. Innerhalb der nächsten drei Jahre werden 70 % des profitablen Wachstums aus den Innovationsfeldern kommen, wobei die Kreislaufwirtschaft erst nach 2027 einen signifikanten Beitrag leisten wird. Die Innovationsrate wird in diesem Zeitraum von 17 auf 20 % steigen. Die Rentabilität der Innovationen liegt über dem Durchschnitt des Portfolios und wird die Margensteigerungsambitionen auf 19 bis 21 % unterstützen.
Clariant ist ein Spezialchemieunternehmen der ersten Stunde. Wie positioniert sich Clariant, um sich von anderen Unternehmen im Segment Spezialchemie zu differenzieren?
S. Brejc: Wir wollen globale Megatrends, die sowohl uns alle als auch unsere Kunden beeinflussen, noch intensiver für uns nutzen. Dabei gilt es auch, regionale Veränderungen zu berücksichtigen. Die Größe des globalen Spezialchemiemarktes soll 950 Mrd. USD bis 2025 erreichen. Davon werden 400 Mrd. USD aus Asien-Pazifik kommen, was zeigt, dass das Wachstum in der Region das in Europa bei Weitem übertreffen wird.
Gesundheit und Wellness werden für die Gesellschaft immer wichtiger. Nachhaltige Produkte wachsen in diesem Bereich typischerweise doppelt so schnell wie andere. Der demografische Wandel beeinflusst ebenfalls die Nachfragedynamik, wobei bis 2030 ein Anstieg der über 65-jährigen Bevölkerung um 66% erwartet wird. Um von diesem Megatrend zu profitieren, spielt unsere Business Unit Care Chemicals eine Schlüsselrolle. Zum Beispiel haben wir kürzlich acht neue leistungsstarke Hilfsstoffe zur sichereren Herstellung von Pharmaprodukten auf den Markt gebracht.
Ein Beispiel ist unser Portfolio an biobasierten und vereinfachten Inhaltsstoffen für Beautyprodukte. Dieses wurde durch die kürzliche Akquisition von Lucas Meyer Cosmetics entscheidend gestärkt. Mit diesem Fokus kommen wir den steigenden Erwartungen von Konsumenten nach einfacheren, effektiveren und zugleich natürlicheren Produkten.
Für das gesamte Unternehmen ist die Digitalisierung ein weiterer, enorm wichtiger, Trend, der uns spannende Möglichkeiten für Innovation und Effizienzsteigerungen mit prognostizierten generativen KI-Produktivitätsgewinnen von 80 bis 140 Mrd. USD in der Branche bietet.
Und nicht zuletzt ist die Dekarbonisierung ein Schlüsselthema für Regulierungsbehörden und Kunden, wobei die Chemieindustrie rund 7 % der globalen Kohlenstoffemissionen verursacht. Clariants profitables Wachstum wird von diesen Megatrends angetrieben werden.
Wir haben unsere einzelnen Segmente nach klaren Kriterien wie Marktattraktivität, Finanzkennzahlen und Wettbewerbsstärke analysiert und eine differenzierte Wachstumsstrategie implementiert.
Jedes Geschäft hat einen eigenen strategischen Auftrag zur Optimierung der Wertschöpfung. Zudem sehen wir Innovation als einen weiteren Schlüssel zum Erfolg.
Wir investieren durchschnittlich bereits mehr in Forschung und Entwicklung als unsere Mitbewerber. Clariant will künftig mit 4 bis 6 %, also über dem Marktwachstum von 2 bis 4 %, wachsen, was nur durch Innovation möglich ist.
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Zur Person
Stefan Brejc ist seit September 2024 Global Vice President im Segment Coatings & Adhesives des Geschäftsbereichs Adsorbents & Additives bei Clariant. Brejc studierte Verfahrenstechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wo er 1993 promovierte. Er begann seine berufliche Laufbahn bei Lurgi, bevor er 1997 zur Süd-Chemie wechselte, die 2011 von Clariant erworben wurde. In seiner über 25-jährigen Konzernzugehörigkeit durchlief Brejc zunächst im Geschäftsbereich Catalysts verschiedene Führungspositionen mit steigender Verantwortung. Vor seiner aktuellen Position verantwortete er ab 2022 als Vice President das Segment Biofuels and Derivatives.
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