Wachstumschancengesetz – wirksame Entlastung für Chemie- und Pharmaunternehmen?
Das Wachstumschancengesetz verbessert Abschreibungsmethoden für Investitionen in der Chemie- und Pharmaindustrie
In den letzten Jahren sah sich die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie aufgrund globaler Krisen und steigender Preise mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Um dem resultierenden Investitionsrückgang entgegenzuwirken und die hiesige Wirtschaft zu stärken, verabschiedete die Bundesregierung kürzlich das Wachstumschancengesetz, das u. a. eine Rückkehr der degressiven Abschreibung vorsieht.
Steigende Energie- und Rohstoffpreise, die Nachwehen der Coronapandemie sowie der Konflikt in der Ukraine haben die Chemie- und Pharmabranche in den vergangenen Jahren stark beeinflusst. Aus den Ende 2023 veröffentlichten Erzeugerpreisindizes des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) geht hervor, dass die chemisch-pharmazeutische Industrie 2022 eine Preissteigerung von über 20 % verzeichnete, im darauffolgenden Jahr aber lediglich einen Preisrückgang von weniger als 0,5 %. Zusätzlich belastet der hohe Preis für Industriestrom in Deutschland die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, da er fast dreimal so hoch liegt wie in vergleichbaren Staaten. Obwohl die Bundesrepublik als Europas größte Chemienation gilt und weltweit an vierter Stelle nur hinter den USA, Japan und China steht, droht eine Abwanderungswelle. Viele Unternehmen investieren bereits vermehrt ins Ausland. Laut Schätzungen des VCI gab es 2022 im Vergleich zum Vorjahr einen Investitionsrückgang im Inland von etwa 1 %, ins Ausland dagegen ein Plus von fast 19 %. Um dem entgegenzuwirken und die heimische Wirtschaft, insbesondere wichtige Schlüsselindustrien, zu stärken, hat die Bundesregierung kürzlich das Wachstumschancengesetz (WCG) verabschiedet. Insbesondere durch die zeitlich befristete Wiedereinführung der degressiven Abschreibung auf bewegliche Wirtschaftsgüter soll das Gesetz schnelle Liquiditätsgewinne ermöglichen und dadurch Anreize für Investitionen in Deutschland liefern.
Wertminderung als Betriebsausgabe
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe Absetzung (für Abnutzung, kurz AfA) und Abschreibung häufig synonym verwendet. Sie stellen jedoch unterschiedliche Konzepte dar. Absetzung bezeichnet im Steuerrecht die Verteilung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf die voraussichtliche Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts. Daneben ist etwa auch die Absetzung für außerplanmäßige Abnutzung zulässig. Zur Festlegung dieser stellt das Bundesministerium der Finanzen sog. AfA-Tabellen zur Verfügung. Diese sind unterteilt nach branchenunabhängig genutzten sowie branchenspezifischen Wirtschaftsgütern. Wer also die Nutzungsdauer von Destillierkolonnen, Lagertank oder Labortischen kennen möchte, wirft einen Blick in die entsprechende Tabelle für die chemische Industrie.
Im Gegensatz zur Absetzung stammt der Begriff Abschreibung aus dem Rechnungswesen und ist somit mit dem Handelsrecht verknüpft. Gemeint ist hierbei die Geltendmachung des Wertverlusts eines Wirtschaftsguts, wobei man nach einer Vielzahl von Kriterien unterscheiden kann. Generell lässt sich eine solche Wertminderung nur geltend machen, sofern auch ein Verschleiß stattfindet. Daneben sind gelegentlich auch Wertminderungen oder Werterhöhungen für Vermögenswerte möglich, die aus anderen Gründen stattfinden, etwa bei Änderungen von Devisenwechselkursen. Zudem unterscheidet die Rechtsprechung zwischen beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgütern. Zu ersteren gehören alle materiellen Vermögenswerte, die sich transportieren oder zurückbauen lassen, wie z. B. Fotovoltaikanlagen, Wärmepumpen oder Blockheizkraftwerke.
Abschreibungsmethoden im Detail
Zur steuerlichen Absetzung von Investitionen ins Anlagevermögen stehen Unternehmen verschiedene Methoden zur Verfügung. Als Standard gilt die lineare AfA. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Aufteilung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten gleichmäßig auf den voraussichtlichen Nutzungszeitraum erfolgt, die Höhe des jährlichen Abschreibungsbetrags also über die gesamte Dauer konstant bleibt. Aufgrund ihrer einfachen Berechnung erleichtert diese Methode die finanzielle Planung sowie die Buchhaltung und ermöglicht eine realistische Erfassung des Wertverlusts von Anlagegütern.
Im Gegensatz dazu orientiert sich die im WCG verankerte degressive AfA nur im ersten Jahr am Anschaffungswert des Anlageguts. In den Folgejahren richtet sie sich nach dem Restwert, der sich aus den Anschaffungskosten abzüglich bisheriger Abschreibungen ergibt. Hier beträgt der jährliche Abschreibungssatz das Zweifache des linearen, jedoch maximal 20 %. Es besteht die Möglichkeit der Rückkehr zur linearen Methode. Dies lohnt sich insbesondere dann, sobald der lineare Abschreibungswert gleich hoch ist wie oder höher liegt als der degressive. Spätestens im letzten Jahr ist die Rückkehr zur linearen Abschreibung jedoch obligatorisch, um das Wirtschaftsgut vollständig abzuschreiben. Bei einer Investition in Höhe von 120.000 EUR mit einer Nutzungsdauer von 20 Jahren beträgt die jährliche lineare Abschreibung 6.000 EUR. Mit der degressiven Methode können im ersten Jahr 12.000 EUR, im achten Jahr aber nur noch 5.740 EUR abgeschrieben werden. Daher lohnt sich nach sieben Jahren ein Wechsel zur linearen Methode. Speziell für Wirtschaftsgüter mit langer Nutzungsdauer erweist sich die degressive Methode als attraktiv, da sie anfänglich hohe Abschreibungsbeträge ermöglicht, die zu einem schnellen Liquiditätsgewinn führen und die finanzielle Belastung verringern. Die neue Regelung lässt sich auf bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens anwenden, deren Erwerb oder Herstellung in die Zeitperiode zwischen dem 1. April und dem 31. Dezember 2024 fällt.
Flexibel kombinieren
Durch das Wachstumschancengesetz eröffnet sich Unternehmen die Möglichkeit, den schnellen Liquiditätsgewinn der degressiven Abschreibung zur Maximierung der steuerlichen Vorteile mit anderen Abschreibungsmethoden zu kombinieren. Beispielsweise erlaubt der Investitionsabzugsbetrag (IAB) die Absetzung von bis zu 50 % der Anschaffungskosten einer geplanten Kapitalanlage bis zu drei Jahre im Voraus. Sowohl Gewerbetreibende als auch Freiberufler sowie Land- und Forstwirte können den IAB nutzen, sofern der Unternehmensgewinn im Jahr der Inanspruchnahme 200.000 EUR nicht überschreitet. Zudem lässt sich der IAB nur auf bewegliche, abnutzbare Wirtschaftsgüter anwenden, deren private Nutzung maximal 10 % beträgt. Insgesamt ist die durch den IAB gewährte Abschreibung gedeckelt auf 200.000 EUR, wie viele Investitionen dies umfasst, bleibt jedoch unerheblich. Die Ausgaben müssen lediglich ins Portfolio des Betriebs passen und sich schlüssig begründen lassen. Ähnlich verhält es sich mit der Sonderabschreibung, die durch das WCG von 20 % auf 40 % steigt. Auch hier darf die private Nutzung nicht höher als 10 % liegen und der Unternehmensgewinn im Vorjahr muss unter der Höchstmarke von 200.000 EUR bleiben. Es steht den Unternehmen frei, die gesamte Sonderabschreibung bereits im Jahr der Anschaffung geltend zu machen oder aber in beliebiger Gewichtung in den vier Folgejahren.
Christoph Juhn, Steuerberater und Partner, Juhn Partner GmbH, Köln
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Liquiditätsgewinn in der Praxis
Ein Unternehmen möchte im Zuge energetischer Sanierungsmaßnahmen eine PV-Anlage für 400.000 EUR erwerben, die Nutzungsdauer beträgt laut AfA-Tabelle 20 Jahre.
- Gewinn im Vorjahr der Anschaffung ≤ 200.000 EUR
- Investitionsabzugsbetrag: 400.000 EUR × 50 % = 200.000 EUR
- Sonderabschreibung: 200.000 EUR × 40 % = 80.000 EUR
- degressive Abschreibung:
- Abschreibungssatz: 100 % ÷ 20 Jahre × 2 = 10 %,
- Abschreibung: 120.000 EUR × 10 % = 12.000 EUR
Durch die Kombination von Investitionsabzugsbetrag (IAB), Sonderabschreibung und degressiver Abschreibung kann das Unternehmen vor Beginn des zweiten Jahres insgesamt 292.000 EUR der Investitionskosten abschreiben, wohingegen es bei der linearen Abschreibung ohne IAB und Sonderabschreibung nur 20.000 EUR wären. Nach sieben Jahren lohnt sich ein Wechsel zur linearen Abschreibung, weil der Abschreibungswert bei der linearen Methode (6.000 EUR) dann höher liegt als bei der degressiven (5.740 EUR). Nach 17 Jahren ist die PV-Anlage bei dieser Vorgehensweise noch vor Ende der Nutzungsdauer vollständig abgeschrieben.
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ZUR PERSON
Christoph Juhn ist Professor für Steuerrecht und Steuerberater. Seine Schwerpunkte in der Gestaltungsberatung liegen auf Umwandlungen und Umstrukturierungen, Unternehmens- und Konzernsteuerrecht, internationalem Steuerrecht, Unternehmenskäufen/-verkäufen (M&A), Beratung für Berater sowie der laufenden Steuerberatung. Nachdem er 2011 seinen Master of Laws an der Universität zu Köln erwarb, wurde er 2013 zum Steuerberater bestellt. Der Steuerprofi betreibt einen Kanal auf YouTube unter @juhnsteuerberater.