Märkte & Unternehmen

Die Chemie als Lösungsindustrie

Ergebnisse der aktuellen Rheingold-Studie zum Image der Chemie in Zeiten der Dauerkrise

16.08.2023 - Erneut hat der VCI das Rheingold-Institut beauftragt, die Sicht der Menschen auf die chemisch-pharmazeutische Industrie zu analysieren und herauszufinden, was sich seit der ersten Untersuchung 2020 verändert hat.

Die Chemie ist die Mutter aller Industrien, denn sie steht am Anfang vieler Wertschöpfungsketten und legt mit ihren Produkten den Grundstein für viele andere Industrien. Wir wissen das. Aber die meisten wissen das nicht. Im Alltagsdenken der Menschen kommen wir kaum vor. Das belegen unsere jährlichen Umfragen der Initiative Chemie im Dialog (CID). Daran müssen wir arbeiten. Aber wie können wir erreichen, dass mehr Menschen verstehen, wie wichtig unsere Branche ist – nicht nur für viele Produkte des täglichen Lebens, sondern auch für die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschafts- und Lebensweise?

Um herauszufinden, was die Menschen bewegt, muss man sie fragen. Damit hat der VCI das Rheingold-Institut beauftragt. Mit Hilfe tiefenpsychologischer Interviews wollten wir 2020 herausfinden, wie sich die erste Coronawelle auf die Menschen und ihre Sicht auf die chemisch-pharmazeutische Industrie ausgewirkt hat. Um die Jahreswende 2022/2023 haben wir eine Follow-up-Studie durchgeführt, um zu analysieren, was sich seit der ersten Untersuchung verändert hat.

Ursachenforschung

Coronapandemie, Krieg in der ­Ukraine, drohende Energieknappheit und steigende Energiepreise, Inflation, Lieferengpässe und Fachkräftemangel: Rund drei Viertel der Befragten fühlen sich den Krisen passiv ausgeliefert. Kein Wunder eigentlich, dass die Menschen die Zeit seit Beginn der Pandemie als eine Kaskade von Krisen wahrnehmen, die seither unaufhörlich in Wellen und ohne Ausweg über sie hineinbrechen. Und über allem schwebt der Klimawandel.

Aus diesem Gefühl der Unsicherheit heraus wünschen sich die Menschen Stabilität und Orientierung. Kurz: einen Weg heraus aus den Krisen. Mit der Politik verknüpfen die Befragten dabei wenig Hoffnungen. Zwar wird die Komplexität der multiplen Krisen anerkannt, die schnelle Lösungen erschweren. Aber der Politik wird nicht zugetraut, das Land aus der Krise herauszuführen. Vieles wird als zögerliches „Herumlaborieren“ auf alten Pfaden wahrgenommen. Die Befragten wünschen sich eine Regierung, die Einigkeit zeigt, die Probleme klar benennt und die pragmatisch handelt. Auch die Medien wirken auf die Befragten durch permanente und überdramatisierende Berichterstattung eher krisenverschärfend. Deshalb wollen viele Menschen keine Nachrichten mehr in den Leitmedien verfolgen, suchen andere Informationsquellen oder ziehen sich ganz zurück.

 

„Die chemisch-pharmazeutische Industrie arbeitet als Pionier des Wandels für eine bessere Zukunft.“

 

Die Wirtschaft als Stabilitätsanker

Ganz anders ist die Wahrnehmung der Wirtschaft. Sie nimmt für die Befragten die Rolle ein, die in der Politik vermisst wird: Die Wirtschaft gibt einerseits Stabilität und vermittelt andererseits die Fähigkeit, auch in schwierigen Zeiten Lösungen zu entwickeln und nach vorne zu schauen. Trotz aller Krisen läuft sie weiter und wirkt widerstandsfähig. Deshalb halten es 95 % auch für wichtig, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu schützen und zu stärken. 91 % betonen, dass die heutigen Arbeitsplätze geschützt werden müssen.

Gleichzeitig besteht jedoch auch die Sorge, dass die Wirtschaft durch Fachkräftemangel oder staatliche Überregulierung abgewürgt wird. Die Teilnehmenden der Rheingold-Studie befürchten zudem, dass Deutschland weiter ins globale Abseits geraten könnte, sollte die Transformation nicht gelingen. Als Chemiebranche teilen wir diese Sorgen und fühlen uns dadurch bestärkt, dass wir in Deutschland nicht nur weniger Bürokratie und schnellere Genehmigungen brauchen, sondern, dass auch bessere Rahmenbedingungen für die Transformation notwendig sind.
Die Chemie im Wahrnehmungskarussell

Aber wie steht es nun ganz konkret um das Image der Chemie? Kurz gesagt: Unser Ruf ist ambivalent – einerseits gelten wir als komplex und gefährlich, andererseits als innovativ und omnipräsent.

Die chemisch-pharmazeutische Industrie findet für die Befragten irgendwo hinter hohen Werkszäunen in komplizierten Rohrverstrebungen statt. Chemische Gefahrensymbole, die aus unserer Sicht dem Schutz von Beschäftigten und Anwendern dienen, suggerieren für die Befragten etwas Bedrohliches. Gleichzeitig betrachten die Menschen uns als eine Branche, die durch Innovationen die drängenden Probleme der Menschheit angeht – und sie löst. Und letztendlich ist den Befragten auch bewusst, dass Chemie lebensnotwendig und „irgendwie überall drin“ ist.

Wir können festhalten: Die Bedeutung der Chemie ist gewachsen und in der Wahrnehmung der Menschen bei der aktuellen Befragung viel wichtiger als noch 2020. Über 80 % der Befragten sind der Meinung, dass die Chemie für einen funktionierenden Lebensalltag unerlässlich ist, gute Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft am Standort Deutschland sichert und sogar elementar für das Land ist. Gleichzeitig hat das Bedrohliche in der Wahrnehmung abgenommen. Nun aber zu glauben, dass die Befragten problematische Aspekte der Chemie- und Pharmaindustrie stillschweigend akzeptieren würden, ist ein Trugschluss. Das ist nicht der Fall.

 

„Wir müssen greifbarer werden, eine Branche zum Anfassen, mit konkreten Beispielen und einer klaren und verständlichen Sprache.“

 

Die Chemie als Problemlöser

Wir müssen greifbarer werden. Eine Branche zum Anfassen, mit konkreten Beispielen und einer klaren und verständlichen Sprache. Denn alle Erfolge und zukünftigen Schritte kommen bei den Befragten extrem gut an, wenn sie konkret und anschaulich kommuniziert werden. Die Entwicklung von Impfstoffen während der Pandemie ist dafür ein Vorzeigebeispiel. Die Bedeutung der Branche wurde dadurch geradezu ins Bewusstsein der Menschen katapultiert. Hatte zuvor nur jeder Zehnte etwas von der Chemie gehört, war es auf einmal jeder Dritte (CID-Umfrage 2021). Bei der Folgebefragung hatte sich dies allerdings schon wieder deutlich relativiert.

Nichtsdestotrotz lässt sich anhand der Ergebnisse der aktuellen Rheingold-Studie festhalten, dass unsere Branche als Lösungsindustrie wahrgenommen wird. Sie füllt die Lücke, die von der Politik hinterlassen wurde, und bedient den Wunsch der Menschen nach einem Ende der Krise, nach Stabilität und einer Zukunftsperspektive.

Die Krisen haben bewiesen, dass in unserem Land etwas schiefläuft. Das sehen nicht nur wir so, das bestätigt auch unsere aktuelle Studie. Die Gruppe derer, die ihre Sorgen offen äußern, wird immer größer und diverser. Klar – es gibt eben (leider) in vielerlei Hinsicht Handlungsbedarf. Ob Fachkräftemangel, Überregulierung oder Abwanderung ins Ausland: Mit dem aktuellen politischen Fahrplan wird die Wettbewerbs- und damit die Zukunftsfähigkeit des Standorts gefährdet. Es muss ein Ruck durchs Land gehen, dass wir diese Dinge endlich wieder mit dem Anspruch einer führenden Industrienation angehen. Deshalb muss die Politik jetzt klug priorisieren. Denn es geht nicht mehr nur darum, eine nachhaltige und erfolgreiche Transformation zu ermöglichen. Inzwischen geht es um die Zukunft des Industriestandorts. Unsere Branche hat sehr viel zu bieten. Sie leistet mit einer Wertschöpfung von 80 Mrd. EUR und ihren Steuern und Abgaben in Höhe von 20,5 Mrd. EUR einen erheblichen Anteil an der Finanzierung des Staates.

Unsere Unternehmen haben die Widerstands- und Innovationskraft, auch in einem schwierigen Umfeld zu bestehen. Und noch viel mehr: Die chemisch-pharmazeutische Indus­trie hat die Ärmel ganz weit hochge­krempelt. Wir arbeiten als Pioniere des Wandels und Treiber von Effizienz und Transformation für eine bessere Zukunft. Wir bieten Sicherheit und Fortschritt und wollen Hoffnung und Zuversicht vermitteln. Wir sind ein Anker, den sich die Menschen in herausfordernden Zeiten wünschen. Wir finden, das sind eine Menge Gründe, um zu sagen: Zwischen uns stimmt die Chemie.

Autor: Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer, Verband der Chemischen Industrie e.V. (VCI), Frankfurt am Main

„Die Menschen betrachten uns als eine Branche, die durch Innovationen die drängenden Probleme der Menschheit angeht – und sie löst.“

 

Zur Person

Wolfgang Große Entrup ist seit Oktober 2019 Hauptgeschäftsführer des VCI. Der promovierte Agraringenieur war in seiner letzten beruflichen Station vor dem Wechsel zum VCI  Senior Vice President Sustainability & Business Stewardship bei Bayer. In früheren Funktionen war Große Entrup bei BASF in verschiedenen Vertriebs- und Stabsorganisationen in leitender Position tätig. Seine Berufslaufbahn begann er 1990 als persönlicher Referent/Büroleiter eines Bundestagsabgeordneten der damaligen Regierungskoalition.

 

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