Märkte & Unternehmen

Auf Kurs für eine nachhaltige Zukunft

CHT hält trotz schwieriger Bedingungen an ehrgeizigen Zielen fest

19.04.2023 - Interview mit Annegret Vester, Chief Sustainability Officer bei CHT, über die Entwicklung der Nachhaltigkeitsagenda

Die CHT-Gruppe entwickelt, produziert und vertreibt weltweit Spezialchemikalien. CHT Germany in Tübingen ist Hauptsitz der Unternehmensgruppe und fokussiert sich auf nachhaltige chemische Produkte und Prozesslösungen. Das Nachhaltigkeitsmanagement im Unternehmen wurde von Anfang an über das Sustainability Steering Committee gesteuert. Mit an Bord ist Annegret Vester als Chief Sustainability Officer (CSO). Bereits 2022 sprach ­CHEManager mit ihr über die neu geschaffene Position und die Nachhaltigkeitsziele der Gruppe. Birgit Megges fragte nun bei Vester nach, welche Erfolge seitdem zu verzeichnen sind und wie CHT die Nachhaltigkeitsagenda weiterentwickelt.

CHEManager: Mit der „Strategie 2025“ hat sich CHT Anfang 2020 Nachhaltigkeitsziele gesetzt, Sie selbst sind seit Ende 2021 als CSO dafür verantwortlich. Welche Punkte auf Ihrer Agenda konnten Sie bis jetzt umsetzen?

Annegret Vester: Wir sind Ende 2022 gemäß unserer gesetzten Ziele der Sustainability Roadmap 2025 on track. Gleichzeitig sehen wir, dass das Thema in der öffentlichen Diskussion nicht zuletzt mit dem Transition Pathway for the ­Chemical Industry, sondern auch über Zielsetzungen der Bundesregierung deutlich an Fahrt aufgenommen hat. 

Ende 2021 haben wir uns mit dem Commitment zur Science-Based-Targets-Initiative, kurz SBTI, beim Thema Klimaschutz zur Einhaltung der 1,5-Grad-Ziele des Pariser Abkommens und zu Net Zero in 2045 bekannt, ohne zuvor jemals einen Corporate Carbon Footprint für die CHT-Gruppe errechnet zu haben. 2022 wurde dadurch zu einem ex­trem spannenden Jahr, da wir letztes Jahr nicht nur den ersten gruppenweiten Corporate Carbon Footprint berechnet, sondern damit auch das Jahr 2021 als Basisjahr für unsere Klimaschutzaktivitäten festgelegt haben.

Die besondere Aufgabe bestand darin, vergleichbare und detaillierte Daten aller 26 CHT-Gesellschaften und für alle zugehörigen Standorte zu bekommen. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe konnten wir auf unsere IT bauen, die unser internes Datenerfassungstool für Nachhaltigkeitsdaten kurzerhand mit den relevanten Scope-3-Daten ergänzt hat. Ende 2022 hatten wir nicht nur Klarheit über den Ausgangspunkt in Sachen Klimaschutz, sondern konnten auch die SBTI-konformen Reduktionspotenziale – Scope 1 und 2 – für die nächsten zehn Jahre sowie die dafür notwendigen globalen Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen und Energieträgerwechsel definieren.

 

„Aktuell sind nur wenige Kunden bereit, für nachhaltige Produkte einen höheren Preis zu bezahlen.“


Mit welchen Mitteln unterstützen Sie Ihre Kunden, damit auch sie ihre Klimaschutzziele erreichen? Honorieren Ihre Kunden das, indem sie bereit sind, höhere Preise zu zahlen?

A. Vester: Um die Scope-3-Emissionen zu reduzieren, entwickeln wir vermehrt Produkte und Lösungen auf Basis biobasierter oder recycelter Rohstoffe. Die Produkte zeigen eine gleich gute Performance. Problematisch ist aber tatsächlich, dass aktuell nur wenige Kunden bereit sind, für diesen aktiven Ansatz im Klimaschutz höhere Produktpreise zu bezahlen. Im Bereich Scope 3 Downstream setzen wir seit vielen Jahren auf die Entwicklung von Produkten und Lösungen, die sich, eingesetzt beim Kunden, energiesparend für diese auswirken. Aktuell sind nur wenige Kunden bereit, für nachhaltige Produkte einen höheren Preis zu bezahlen, weil sich für die Mehrzahl der Mehrpreis im Markt nicht monetarisieren lässt. Jedoch kommen auch Kunden mit klarem Nachhaltigkeitsansatz und dedizierter Nachfrage nach Beratung bezüglich nachhaltigerer Lösungen auf uns zu.

Auf welche Probleme sind Sie bisher bei der Verwirklichung Ihrer Ziele gestoßen? 

A. Vester: Die Energiekrise und die Lieferkettenproblematik haben uns in der Implementierung unserer Nachhaltigkeitsziele beeinträchtigt, aber nicht wirklich zurückgeworfen. Natürlich werden in Zeiten, wie wir sie gerade erleben, Investitionen in die eigene Infrastruktur und notwendigen Tool-Lösungen mit spitzem Bleistift gerechnet und eher zeitlich verschoben. In unseren deutschen Werken haben sich die Energiekosten gegenüber Ende 2021 verdreifacht und sorgen für einen deutlichen Kostendruck – gerade für ein Unternehmen, das in internationalem Wettbewerb steht. Unsere Zielsetzungen werden durch solche disruptiven Ereignisse nicht verändert, sondern lediglich nur etwas langsamer umgesetzt.

Die Transformation der chemischen Industrie zur Klimaneutralität verlangt allen Unternehmen sehr viel ab. Wie können mittelständische Unternehmen die Herausforderungen stemmen?

A. Vester: Der Transition Pathway berücksichtigt in Worten die Bedeutung des Mittelstands für die Industrie, verlagert allerdings gleichzeitig die Fragestellung, wie der Mittelstand diese Herausforderung stemmen und umsetzen soll, an die Industrie selbst und in die Mitgliedsstaaten.
Klar ist, dass der Mittelstand für die zeit- und fachgerechte Umsetzung des Transition Pathway zusätzliche Mitarbeiter in vielen Unternehmensbereichen von Chemical Compliance über Finanzen, Rechtsabteilung, Genehmigungen bis hin zum Nachhaltigkeitsmanagement aufbauen muss.

Mit Blick auf wirtschaftlich angespannte internationale Wettbewerbsmärkte und den Arbeitsmarkt ist diese Voraussetzung heute als kritisch zu betrachten. Darüber hinaus verfügen in der Regel die Akteure, die mit der Ausgestaltung und Implementierung vieler Themen beauftragt wurden, über wenig Kenntnisse zu den Bedürfnissen und spezifischen Problemen des Mittelstands. Industriepolitik wird in den Verbänden gemacht, und hier sind meist die großen Industriebetriebe vertreten.

Wir Mittelstandsunternehmen müssen uns also weiter engagieren und noch aktiver an der Implementierung der Transformation mitarbeiten.
Also sind die Hürden für KMU Ihrer Einschätzung nach höher als für die Großindustrie?


A. Vester: Ja, ich halte die Hürden für den Mittelstand für höher und möchte das an zwei Beispielen aufzeigen: Die Transformation benötigt hohe Investitionen, zum Beispiel die Implementierung von Umwelttechnologien oder eigene Produktionsanlagen für erneuerbare Energie. Die Finanzierung und das nicht einschätzbare Erfolgsrisiko verhindern solche Projekte im Mittelstand häufig. Weder das Personal noch der Zugang zu Fördergeldern beziehungsweise Krediten sind hier – vergleichbar mit der Großindustrie – vorhanden.

Das zweite Beispiel sind digitale Lösungen, die vor allem im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung und beim Lieferkettengesetz unerlässlich sind. Hier gibt es mittlerweile ein gutes Angebot, das aber in der Regel auf die Bedürfnisse der Großindustrie abgestimmt ist. Dem Mittelstand fehlt es in der Regel nicht nur an der notwendigen Infrastruktur, sondern es mangelt schlicht an der Verfügbarkeit der Daten, die für die bestehenden Tool-Lösungen benötigt werden. Noch sind adäquate Lösungen nicht vorhanden oder es wird versucht, die digitalen groß-industriellen Lösungen mit viel Aufwand anzupassen.

„Wir Mittelstandsunternehmen müssen uns weiter engagieren und noch aktiver an der Implementierung der Transformation mitarbeiten.“


Wie geht CHT mit diesen Herausforderungen um?

A. Vester: Bei CHT haben wir die Aufgaben und Herausforderungen, die die Transformation mit sich bringt, analysiert und einen Plan für die Implementierung entwickelt. Gleichzeitig wissen wir noch nicht bei allen Themen, ob unsere Annahmen aufgehen. Wir sind ein global agierendes Unternehmen und beziehen im Rahmen des Nachhaltigkeitsmanagements alle Standorte in die zukünftige Aufstellung und die Umsetzung der Transformation der Chemieindustrie mit ein.

Darüber hinaus haben wir begonnen, uns noch aktiver in der Indus­trie einzubringen und gemeinsam mit unseren Lieferanten und Kunden an Lösungen zu arbeiten – von Seiten der Technologie, aber auch wenn es um die Bereitstellung beziehungsweise den Austausch von Daten geht. Wir bringen uns im Verband ein und lassen unsere Bedürfnisse in die Transformation einfließen.

Ein aktuelles Schwerpunktthema ist die Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

A. Vester: Wir haben uns in 2022 mit den Anforderungen, die das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz an uns stellt, beschäftigt und haben erkannt, dass wir mit unserem Ziel, bis 2025 mehr als 90 % unseres Einkaufsvolumens bei nachhaltigen Lieferanten zu tätigen, bereits gute Vorarbeit geleistet haben. Seit rund fünf Jahren screenen wir unsere Rohstofflieferanten anhand eines Fragebogens im Self Assessment hinsichtlich sozialer und ökologischer Themen. Wir haben einen Supplier Code of Conduct implementiert und einen Prozess zur Qualifizierung von Lieferanten, die nicht unseren Anforderungen in Sachen Nachhaltigkeit entsprechen. Sobald wir berichtspflichtig werden, sind wir nicht nur gut vorbereitet sondern bereits weit fortgeschritten.

Das Thema erfordert Transparenz und Weitblick. Was sind die nächsten geplanten Schritte auf Ihrem Weg?

A. Vester:  Aktuell überarbeiten wir unseren Fragebogen und werden zukünftig das Screening auf mehr und mehr unserer Lieferanten ausweiten. Wir sind der Überzeugung, dass wir damit schon gut vorbereitet sind, sobald wir auskunftspflichtig sein werden. Dies gilt allerdings nur für das deutsche Lieferkettengesetz. Sollte der noch viel weiter gehende europäische Gesetzesvorschlag kommen, sehen wir uns weder personell noch strukturell oder organisatorisch in der Lage, direkte und indirekte Lieferanten zu prüfen. Eine Ausweitung des Down­stream-Scopes in Richtung Kunden halten wir für nicht durchsetzbar und im Sinne der Zuordnung von Verantwortung auch nicht für sinnvoll.

Die Sicherung von Menschenrechten und der Umweltschutz liegen uns sehr am Herzen. Aufwendige und bürokratische Standardprozesse wie das Lieferkettengesetz leisten hier nur bedingt einen Beitrag zur Veränderung, da sich solche Prozesse mehr mit der Risikobewertung beschäftigen.

Zur Person
Annegret Vester ist seit Oktober 2021 Chief Sustainability Officer (CSO) von CHT Germany. Die promovierte Chemikerin (Universität Stuttgart) ist seit 2001 beim Tübinger Chemieunternehmen tätig, zunächst als Leiterin des weltweiten Marketing und seit 2019 als Verantwortliche für den Bereich Strategy & New Business Development. In diesen Funktionen begleitete sie bereits die Transformation von CHT zu einem auf Nachhaltigkeit fokussierten Chemieunternehmen. 

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