Märkte & Unternehmen

Der EU Transition Pathway für die Chemieindustrie

Nachgeschaltete Anwenderbranchen wie Farben & Lacke dienen als Lackmuspapier für die Implementierung

22.03.2023 - Als Meilenstein für die grüne Transformation der europäischen Chemie­industrie wurde Anfang Februar der Transition Pathway (TP) durch die EU-Kommission vorgestellt.

Zweifellos lässt sich die Tatsache, dass sich Kommission, Industrie und NGOs auf einen gemeinsamen Fahrplan verständigt haben, nicht hoch genug einschätzen. Die gesamtheitliche Darstellung der unzähligen Regularien und Maßnahmen bietet eine wichtige Orientierung für die betroffenen Unternehmen und trägt dazu bei, Fallstricke sichtbar zu machen. Doch so wichtig dieser “co-creation” Prozess war, entscheidend wird nun die Phase der “co-implementation” sein.

Bedenkt man, dass viele Maßnahmen der Chemikalienstrategie das Rohstoffportfolio verkleinern, sind die Herausforderungen auf dem Weg zum Zielbild der “sicheren und nachhaltigen Chemikalien” gerade für Formulierer wie der Lack- und Druckfarbenindustrie immens. Viele Auswirkungen des Transition Path­way werden sich erst auf der Ebene der nachgeschalteten Anwender zeigen. Der Weg muss so beschritten werden, dass Produkte wie Farben und Lacke weiterhin ihre Rolle zur Erfüllung des Green Deal spielen können und Raum für Innovationen erhalten bleibt. Ob dies gelingt, kann als Lackmustest für eine erfolgreiche Implementierung dienen. Wirft man einen Blick auf die verschiedenen Themenfelder des TP, so lässt sich zeigen, was hierfür erforderlich ist.

 

„Die Herausforderungen auf dem Weg zum Zielbild der “sicheren und nachhaltigen Chemikalien” sind immens.“

 



Nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit

Differenzierung nötig: Nachhaltigkeit auf Stoff-, Gemisch-, Produktebene
Farben und Lacke sind Gemische einer Vielzahl chemischer Stoffe. Für die Entwicklung eines sicheren und nachhaltigen Gemisches und sicherer und nachhaltiger beschichteter Produkte sind daher weitere Überlegungen nötig als für die Entwicklung sicherer und nachhaltiger Stoffe. Bislang befassen sich die Diskussionen hauptsächlich mit chemischen Stoffen. Da sich weder Sicherheit noch Nachhaltigkeit nur auf die Stoff­ebene reduzieren lassen, sondern eine gesamtheitliche Betrachtung erfordern, ist dieser Ansatz zu eng und schränkt Innovation ein. Hersteller chemischer Stoffe können nicht in einem Vakuum innovativ sein. Neue Stoffe werden nur dann entwickelt, wenn sie von nachgeschalteten Anwendern genutzt werden können. Daher müssen die Auswirkungen auf der Ebene von Produkten bzw. Erzeugnissen in den Blick genommen werden. Reaktive Stoffe erfüllen bspw. gerade aufgrund ihrer Reaktivität oft nicht die angedachten Kriterien, obwohl sie die Basis für sehr sichere und nachhaltige Produkte bilden, z. B. Hochleistungsbeschichtungen für Windkraftanlagen.

Ohne Farbe kein Green Deal: Zielkonflikte zwischen Nachhaltigkeitsfunktionen und Einstufung der Rohstoffe berücksichtigen
Für die grüne Transformation leisten Farben und Lacke wesentliche Beiträge: So reduzieren leistungsstarke Lacke den Treibstoffbedarf von Fahrzeugen, Zügen, Schiffen und Flugzeugen. Pulverlacke schützen temperatursensible Elektrokomponenten in E-Autos. Wichtige Elemente der Verkehrs- und Mobilitätswende können durch solche innovativen Beschichtungen erst wirken. Die Energiewende kann ohne Strommasten und Windräder nicht gelingen, Korrosionsschutzmittel verlängern deren Nutzungsdauer. Moderne Druckfarben ermöglichen vielseitiges Recycling im Kontext einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft, und Bautenfarben und Putze tragen im Sinne der Renovierungswelle zur Gebäudeenergieeffizienz bei.

 

„Für die grüne Transformation leisten Farben und Lacke wesentliche Beiträge.“

 

Nachhaltigkeit ist in der Branche fest verankert. Bewährte Nachhaltigkeitsrichtlinien und -initiativen der Industrie sollten deshalb genutzt werden. Auch wenn die Vermeidung von chemischen Stoffen, die in bestimmte Gefahrenklassen eingestuft sind, stets der erste Schritt ist, geht Nachhaltigkeit darüber hinaus: Zum Beispiel für Anwendungen wie Zwei-komponenten-Korrosionsschutzmittel, die die Haltbarkeit von Strukturen verbessern, ist die Verwendung reaktiver Stoffe, die dadurch auch einer gewissen Einstufung unterliegen, notwendig, um die gewünschte Leistungsfähigkeit zu erzielen.

Strategische Autonomie
Internationale Wettbewerbsfähigkeit bedeutet auch, ein Gleichgewicht zwischen den Zielen der EU und den Maßnahmen zur Erreichung einer globalen Nachhaltigkeit zu finden. Dafür ist die Versorgung mit den relevanten Rohstoffen für nachgeschaltete Anwender wichtig, um die Widerstandsfähigkeit der EU zu gewährleisten. Es ist daher richtig, dass die Versorgung mit kritischen Rohstoffen in den Blick genommen wird, allerdings muss dabei berücksichtig werden, dass eine immense Zahl von Stoffen für das Erreichen der Ziele relevant ist, u. a. auch die Rohstoffe für moderne Beschichtungen. Ferner kann eine strategische Autonomie nur gelingen, wenn die generellen Standortbedingungen in der EU wieder stärker in den Blick genommen werden und weitere Standortnachteile im Zuge des Green Deal vermieden werden.

Investitionen und Finanzierung

Taxonomie
Bei Entscheidungen über die Taxonomie für Gemische sollten die Gefahren mit den Nachhaltigkeitszielen und dem Produktnutzen in ein Verhältnis gestellt werden. Derzeit scheinen die Kriterien im Widerspruch zur Realität und zu den technischen Möglichkeiten zu stehen und lassen zudem viel Spielraum für Interpretationen. Im Rahmen des TP sollte die Taxonomie daher so ausgestaltet werden, dass Nachhaltigkeit insbesondere auch auf der Produkt­ebene berücksichtig wird.

Digitalisierung
Die zunehmende Digitalisierung der Kommunikation von Informationen über die Lieferkette ist ein wichtiger Aspekt bei der Diskussion über den digitalen Wandel. Der Bedarf an Finanzmitteln zur Unterstützung von Unternehmen, insbesondere von KMU, bei der digitalen Transformation ist nicht zu unterschätzen. Es müssen Lösungen gefunden werden, die den heterogenen digitalen Infrastrukturen der Unternehmen in Deutschland Rechnung tragen.

 

 

„Der Bedarf an Finanzmitteln zur Unterstützung insbesondere von KMU bei der digitalen Transformation ist nicht zu unterschätzen.



Regulierung und Öffentliches Handeln (Gesetzgebung)

Vollzug
Für die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen ist von entscheidender Bedeutung, dass kein Produkt auf den Markt kommt, das nicht den EU-Vorschriften entspricht. Dies sollte insbesondere durch Kontrollen bei der Einfuhr von Chemikalien und Waren, auch auf Online-Marktplätzen erfolgen.

Wissenschaftliches, auf Risikobewertung basierendes Chemikalienmanagement
Das bloße Vorhandensein eines chemikalienrechtlich eingestuften Stoffes in einem Prozess oder Produkt sollte nicht automatisch mit dem Auftreten eines Risikos für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt gleichgesetzt werden.
Pauschale Verwendungsbeschränkungen bedeuten eine Einschränkung des technologischen Instrumentariums, das den Formulierern zur Verfügung steht. Das wird in vielen Fällen zu einer geringeren Leistung der in der EU hergestellten Produkte führen, und deren Attraktivität auf Exportmärkten verringern sowie die Innovationsfähigkeit einschränken.
Insbesondere in Bezug auf die professionellen Verwender darf die Gefahrenklassifizierung kein alleiniges Ausschlusskriterium sein, denn diese sind dafür ausgebildet, mit entsprechenden Produkten sicher umzugehen. Eine chemikalienrechtliche Gleichsetzung mit dem privaten Endverbraucher ergibt keinen Sinn und würde die EU der Vorteile vieler nachhaltiger Technologien berauben. Eine differenzierende Ausgestaltung der REACh-Revision im Sinne des TP muss dieses Spannungsfeld berücksichtigen.

Die Transformation gelingt nur gemeinsam
Die Lack- und Druckfarbenindustrie, wie auch viele andere nachgeschaltete Anwender der chemischen Industrie, ist von zentraler Bedeutung für den Erfolg der grünen Transformation. Farben, Lacke und Druckfarben tragen entscheidend zu den großen Nachhaltigkeitsaufgaben unserer Zeit bei: Energiewende, Renovierungswelle, Kreislaufwirtschaft, Mobilitäts- und Verkehrswende. Daher ist es unerlässlich, die Perspektive der gesamten Wertschöpfungskette im Kontext des TP ausgewogen zu berücksichtigen. Nur gemeinsam kann der Transition Pathway sein volles Potenzial entfalten. Bei der Implementierung sollten daher nachgeschaltet Anwender, z. B. in Form der Downstream Users of Chemicals Co-ordination Group (DUCC), eng eingebunden werden. Ob die nachgeschalteten Anwender weiterhin ihren Beitrag zu den Green-Deal-Zielen leisten können, kann als Lackmustest für die erfolgreiche Implementierung des Transition Pathway dienen.


Autoren: Lucas Schmidt-Weihrich, Referent Public Affairs, und Christof Walter, Leiter Technik,

Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie (VdL) e.V., Frankfurt am Main

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Mainzer Landstr. 55
60329 Frankfurt am Main
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