Farben zwischen Mauerfall und perfektem Sturm
Die deutsche Lack- und Druckfarbenindustrie steht auch in bewegten Zeiten für kontinuierliche Entwicklung
Im Jahr 1992, als der CHEManager zum ersten Mal über die Druckmaschinen lief, gehörten die (Zeitungs-)Druckfarben nominell noch gar nicht zum „Verband der Deutschen Lackindustrie“. Lacke und Bautenfarben waren damals in dem seit 1900 bestehenden Verband tonangebend. Und deren Produktion erreichte vor 30 Jahren – unmittelbar nach der Wiedervereinigung – Rekordwerte. Häuser, Fassaden, Wohnungen, Straßen, Autos und natürlich die auf westliche Standards umstellende Industrieproduktion: Farben und Lacke wurden überall gebraucht.
„Wir konnten unsere Ware vom Lkw direkt runter verkaufen“, schwärmt noch heute ein Geschäftsführer von dieser manchmal auch hemdsärmeligen Zeit nach dem Mauerfall. Gleichzeitig war aber auch die Branche in einem strukturellen Umbruch: So wollte ursprünglich ein Chemiekonzern sämtliche Lackfabriken der alten DDR erwerben. Als das Kartellamt erhebliche Probleme sah, übernahmen einige größere westdeutsche Hersteller die alten Betriebe. Ein gewagter Schritt, denn das bedeutete oft einen Neubeginn bei null. Nicht alle Übernahmen waren damals also von Erfolg gekrönt, die Mitarbeiterzahlen fielen schließlich auf fast 25 % des Niveaus vor der Wende.
Und auch im Westen gab es in den neunziger Jahren wegweisende Veränderungen: Die traditionell mittelständische Branche sah einige Besitzerwechsel, insbesondere den Kauf kleinerer familiengeführter Unternehmen durch Chemiekonzerne. Denen ging es meist – Stichwort Globalisierung – um den Einkauf von Kompetenzen im Bereich Forschung und Entwicklung, denn insbesondere wer als Global Player auftreten wollte, konnte so Synergien schaffen und schnell ins internationale Geschäft kommen. Da immer fortschrittlichere Lacksysteme teuer sind, sich ab einer gewissen Menge aber rechnen, ging man vor allem bei Industrielacken immer stärker branchenübergreifend vor, indem Hersteller, Anlagenbauer und Anwender bereits in der Forschung kooperierten.
Ökonomie und Ökologie
Heute macht die Branche einen Gesamtumsatz von rund 8 Mrd. EUR. Die zurückliegende Pandemie hatte sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Bereiche: Nach einem leichten Anstieg der in Deutschland verbrauchten Menge von Lacken, Farben und Druckfarben im ersten Coronajahr 2020 – bedingt vor allem durch die Sonderkonjunktur im Heimwerkerbereich – gab es 2021 wieder einen erwartbaren Rückgang des Marktes um 5 %. Die Nachfrage nach Bautenfarben und Druckfarben ist deutlich geschrumpft, hingegen kam es bei den Industrielacken nach starken Rückgängen zuletzt wieder zu einem Anstieg von immerhin gut 3 %.
Die ständige Weiterentwicklung der Herstellung von Beschichtungsstoffen hin zu einer Hightech-Industrie erforderte Fachwissen. Immer spezifischer wurde die Ausbildung, mehrere technische Studiengänge wurden mit der Zeit eingeführt. Aufwändige Prüfverfahren wurden bis zur Marktreife der Produkte geschaffen, um Haltbarkeit, Verarbeitung und – immer relevanter – die Umweltverträglichkeit zu testen, auch um Probleme frühzeitig zu erkennen.
Das gelang nicht immer, so ansehnlich die Erfolge bei der Entwicklung umweltschonender Lacke auch waren. Aber bereits mit Entwicklung der Leitlinien für die Initiative „Responsible Care“ 1995 übernahmen die Branchenunternehmen Verantwortung für „Umwelt, Gesundheitsschutz und Sicherheit“. Im Lauf der Jahre und Jahrzehnte wurde dieser Aspekt immer wichtiger und dem wirtschaftlichen Erfolg der Farbenhersteller gleichgestellt.
Ab dem Jahr 2000 hat sich die traditionelle Produktpalette noch stärker vergrößert: Die Nanotechnologie erweiterte die Möglichkeiten von Beschichtungen ebenso wie immer komplexere inzwischen komplett digital gesteuerte Applikationstechniken und Lackierstraßen. Lösemittelfreie, wasserbasierte Farben wurden Standard, Pulverlacke haben industrielle Anwendungsfelder erschlossen. 2009 kamen schließlich auch die Druckfarben zum Branchenverband VDL hinzu, der sich fortan „Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie“ nennen durfte und seitdem für rund 200 Unternehmen mit rund 25.000 Beschäftigten in Deutschland spricht.
„Farben und Lacke sind wichtige Enabler zur Erreichung der Ziele des
Green Deal, und es ist entscheidend, dass ihre Funktionalität auch in
Zukunft erhalten bleibt.“
Branche unter legislativem Druck
Mit REACh wurde ein neues europäisches Chemikalienrecht installiert, das auch erhebliche Auswirkungen auf die Farbenindustrie hatte und hat. Der gesellschaftliche Anspruch auf Nachhaltigkeit wurde immer stärker. Die Branche selbst verpflichtete sich, dem Global Compact und den globalen Nachhaltigkeitsprinzipien der UN (SDG) zu folgen. Zuletzt setzte man sich mit der Vision 2025 eigene Ziele, um wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftlichen Ansprüchen Genüge zu tun.
Trotz dieses Engagements fühlen sich die Unternehmen immer stärker unter legislativem Druck: 2016 kam die hart geführte Diskussion um das Weißpigment Titandioxid hinzu. Verbunden mit anderen Wirtschaftsbranchen wehren sich die Farbenhersteller seitdem gegen die Einstufung des Weißpigments und streiten inzwischen vor dem EU-Gericht.
Fast gleichzeitig hat die Bundesregierung die Einführung einer deutschen Druckfarbenverordnung betrieben, obwohl alle Seiten eine europäische Lösung für besser halten. Eine rigide Chemikalienpolitik beschränkt immer mehr Biozide und damit die Haltbarkeit von Farben und Lacken, vielfache Melde- und Kennzeichnungspflichten halten die Firmen in Atem. „Eine Grenze des Zumutbaren ist inzwischen erreicht“, stöhnten die sich in ihrer unternehmerischen Freiheit immer stärker beschränkt fühlenden Hersteller bereits 2019.
Das war noch vor der Covid-19-Pandemie; vor deren globalen wirtschaftliche Folgen und der eintretenden Rohstoffkrise; vor dem Ukraine-Krieg und vor der momentanen Inflation. Gerade vor dem Hintergrund der vergangenen 30 Jahre sagen viele Branchenexperten, dass die aktuelle Situation wohl die kritischste ist und nicht nur für die Farbenbranche ohne Beispiel.
Atempause beim EU Green Deal
Doch unbeeindruckt von der internationalen Situation verfolgt die EU-Kommission weiter ihre Ziele beim Green Deal: 2021 wurden Strategiepapiere auf den Weg gebracht, und dieses Jahr wird das Ganze zu allen möglichen Aspekten in Gesetzesform gegossen. Dabei muss man immer wieder betonen: Die Lack- und Druckfarbenindustrie unterstützt die Ziele des Green Deals. Es gibt berechtigte Anliegen, z. B. im Bereich zirkuläre Wirtschaft: Die Druckfarbenindustrie tut alles dafür, dass das bedruckte Substrat recyclingfähig ist. Die Branche arbeitet in einer ganzen Reihe von Projekten engagiert mit den Endabnehmern, den „brand ownern“ zusammen. Bei den Bautenanstrichmitteln wird über Möglichkeiten nachgedacht, Farbreste zu minimieren.
Aber zurzeit folgt eine Krise der anderen Extremsituation. Eine Atempause muss sein, vor allem da unklar bleibt, warum manches überhaupt unter dem Green Deal abgearbeitet werden muss. Wenn der Green Deal als Projekt verstanden wird, mit dem die EU den Klimaschutz vorantreibt, dann passt das wunderbar zusammen mit Überlegungen, wie man industrielle Herstellung klimaneutraler und weniger intensiv umsetzen kann. Nicht verständlich ist aber, dass etwa die neue Chemikalienstrategie (CSS) unbeschadet von der kritischen internationalen Situation weiter stur umgesetzt wird, auch wenn sie mit Klimaschutz in erster Linie nichts zu tun hat. Ferner beinhaltet sie Maßnahmen, die wissenschaftlich fragwürdig sind und viele nachhaltige Technologien behindern können. Das Vorhaben ist eine enorme Herausforderung für die Farbenindustrie, die durch die vielen verschiedenen Formulierungen und Rezepte extrem stark betroffen ist. Dabei sind Farben und Lacke wichtige Enabler zur Erreichung der Ziele des Green Deal, und es ist daher entscheidend, dass ihre Funktionalität auch in Zukunft erhalten bleibt.
Rat und Information in schwierigen Zeiten
Diese vor allem für die Mitglieder schwierigen Zeiten zeigen, wie wichtig es ist, einen starken Verband als Partner an der Seite zu haben, der mit Rat und Tat oft helfen kann: Die Politik, egal ob in Berlin oder Brüssel, muss anerkennen, dass die Belastungsgrenzen der Wirtschaft erreicht und die Rufe der Unternehmen und Verbände ernst zu nehmen sind. Die Botschaften sind in Teilen der Politik angekommen, und ziehen hoffentlich auch konkrete Auswirkungen auf gesetzgeberisches Handeln nach sich. Zudem hat man manchmal den Eindruck, dass sich politische Entscheidungen von der Wissenschaft wegbewegen. Viele wünschen sich, dass etwa naturwissenschaftliche Grenzen und Zielkonflikte stärker von Anfang an beachtet werden.
Darauf müssen Verbände, aber sicherlich auch die Medien hinwirken. Und vielleicht ist das der Wunsch, den wir als Verband und als Branche an den CHEManager herantragen können: Danke für die vergangenen 30 Jahre, für guten, interessanten Lesestoff und erhellende aufklärende Artikel, Berichte und Reportagen auch aus der Welt der Lacke, Farben und Druckfarben. Berichten Sie auch in den nächsten 30 Jahren konsequent aufklärerisch und faktenorientiert über die Unternehmen der chemischen Industrie in der Öffentlichkeit, und stärken Sie damit unseren Standort und unsere Branchen.
Martin Kanert, Hauptgeschäftsführer, Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie e. V. (VDL)
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