Chemie & Life Sciences

Energieschub für die Exklusivsynthese

Saltigo steigt in den Markt für Batteriechemie ein, Investition in Leverkusen

18.08.2021 - Interview mit Michael Zobel, Geschäftsführer von Saltigo

Ende März kündigte Lanxess an, durch eine Kooperation mit Guangzhou Tinci Materials Technology (Tinci) in die Batteriechemie einzusteigen. Im Auftrag des chinesischen Herstellers von Lithium-Ionen-Batteriematerialien wird das Lanxess-Tochterunternehmen Saltigo ab dem kommenden Jahr Elektrolytformulierungen herstellen. Saltigo ist ein führender Anbieter auf dem Gebiet des Custom Manufacturing und betreibt Multi-Purpose-Anlagen in Leverkusen. Bislang lag der Fokus dabei auf Agro- und Feinchemikalien wie z.B. Pharmawirkstoffen, die im Kundenauftrag gefertigt werden. Nun nimmt das Unternehmen Spezialanwendungen in der Batteriechemie ins Visier. Michael Reubold befragte den Geschäftsführer von Saltigo, Michael Zobel, zu der strategischen Bedeutung des Projekts.

CHEManager: Herr Zobel, der Elektrolyt ist für den Transport von Lithiumionen in der Batteriezelle verantwortlich und stellt eine zentrale Komponente der Batterie dar. Worauf kommt es bei den Elektrolytformulierungen an, die Sie für Tinci herstellen?

Michael Zobel: Elektrolyte sorgen für den Stromfluss in der Batterie. Hier geht es um Perfektion, damit die Effizienz der Batterie möglichst hoch ist. Deshalb müssen sie unter höchsten Qualitätsanforderungen formuliert werden. Dazu muss man wissen: Elektrolyte sind empfindlich gegenüber Luft und Wasser. Bereits geringe Mengen an Wasser in Elektrolyten können zur Hydrolyse des verwendeten Leitsalzes LiPF6 führen. Das gilt es zu verhindern. Wir produzieren daher unter inerter Atmosphäre in einer Anlage, die in Sachen Reinheit Pharmastandards erfüllt. Nebenbestandteile unserer Produkte machen also weniger als ein millionstel Teil aus. Und bei dieser Reinheit braucht es zur Qualitätskontrolle auch eine exzellente Analytik.  

Tinci betreibt in China selbst Produktionsstandorte für Elek­trolytformulierungen, setzt aber in Europa auf einen CMO-Partner wie Saltigo, um die lokalen Batteriezellenproduzenten zu beliefern. Bietet der boomende Markt für Batteriechemikalien insbesondere europäischen CMOs Wachstumschancen?

M. Zobel: Für die meisten Autohersteller hierzulande ist klar: die Formulierungen müssen lokal hergestellt werden, damit die Lieferketten stabil sind. Wie wichtig das ist, sehen wir ja an der angespannten Logistiksituation der letzten Monate. Mit unserer Expertise und unserem Anlagen-Setup sind wir der perfekte Partner, um schnell und zuverlässig Projekte aufzusetzen. Das ist wichtig in so einem dynamischen Markt.
Aber eins muss man auch wissen: Der Batteriemarkt boomt und über kurz oder lang werden auch in Europa die Anlagen entstehen, die die notwendigen Elektrolyte in viel größeren Mengen produzieren. Das sind dann dezidierte Monoanlagen und keine Multi-Purpose-Anlagen, wie Saltigo sie betreibt.

Mit seinen Hochleistungswerkstoffen hat Lanxess das Thema Mobilität bereits in den letzten Jahren in den Fokus genommen und im vergangenen Jahr eine Konzern­initiative für Elektromobilität und Kreislaufwirtschaft gegründet. Wie ist die Kooperation mit Tinci vor diesem Hintergrund einzuordnen?

M. Zobel: Die Automobilindustrie ist gerade in einem bedeutenden Transformationsprozess, und die Potenziale für die chemische Industrie sind dabei enorm. Deshalb hat Lanxess auch die Konzerninitiative mit meinem Kollegen Philipp Junge an der Spitze gegründet. Dort führen wir die zahlreichen Lösungen zum Thema E-Mobilität zusammen. Mit unseren Compounds für Anwendungen bei E-Mobilität und autonomem Fahren sind wir schon bestens positioniert. Unsere Kooperation mit Tinci ist nun der Einstieg in ein lukratives Geschäft mit Batteriechemikalien. Allein für Europa erwarten wir bis 2025 ein Marktvolumen von 10 Mrd. EUR. Derzeit wird eine Batteriezellfertigung nach der anderen angekündigt, dafür braucht es auch die entsprechenden Vorprodukte und Rohstoffe. Bei zwei zentralen Rohstoffen für das häufig eingesetzte Leitsalz LiPF6, nämlich Flusssäure und Phosphor-Chemikalien, ist Lanxess einer der führenden Hersteller in Europa. In den USA arbeiten wir zudem an der kommerziellen Gewinnung von batteriefähigem Lithium. Darüber hinaus hat Lanxess bereits heute Lösungen für aktuelle Herausforderungen der Lithium-Ionen-Batterie im Produktportfolio: Unsere Vorprodukte für die Lithium-Eisen-Phosphat-Kathodenmaterialien, Flammschutzmittel oder Direktmittelkühlung tragen dazu bei, dass Reichweite, Ladegeschwindigkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit von Batterien immer besser werden.

Das Custom-Manufacturing-Geschäft basiert auf Projekten für externe Kunden. Wird sich auch Saltigo künftig verstärkt mit Spezialchemikalien für Mobilitätsanwendungen befassen und seine Marketingaktivitäten auf solche Projekte ausrichten?

M. Zobel: Batteriechemikalien sind ein sehr interessantes Thema, und das geht weit über Antriebe für Fahrzeuge hinaus. Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien bekommt das Thema stationärer Energiespeichersysteme eine ganz neue Bedeutung. Da spielen dann organische Moleküle eine Rolle, was das Ganze auch von der Chemieseite nochmal interessanter macht. Wir hatten hier in der Vergangenheit schon einzelne Projekte und bieten eine umfangreiche Anlagentechnik, um Unternehmen beim Ramp-up ihrer Produktion zu begleiten. Und jenseits der Technologie können wir auch mit unserem guten Projektmanagement punkten. Wir sind sehr schnell darin, Projekte aufzusetzen. Dabei hilft uns auch die Vielstoffgenehmigung. Während andere noch auf behördliche Genehmigungen warten müssen, können wir schon loslegen.

Der Agrochemiebereich war bislang Hauptgeschäftstreiber im Custom Manufacturing, gefolgt von Feinchemikalien inklusive Pharma. Wird sich das mit Projekten wie diesem künftig ändern?

M. Zobel: Wir haben traditionell eine gute Nachfrage aus dem Bereich Agro, insbesondere wenn es um neue Generationen von Pflanzenschutzmitteln geht. Unsere Chemie- und Technologiekompetenz ist aber viel breiter. Überall dort, wo es um komplexe Chemie, herausfordernde vielstufige Synthesen und das Handling reaktiver Reagenzien und Zwischenstufen geht, ist Saltigo hervorragend positioniert. Da kommt es dann weniger auf die Branche oder spezifische Marktsegmente an, sondern dass Kunde, Technologie und Projekt gut zueinander passen. Dabei kommt uns auch zugute, dass Saltigo über eine voll-integrierte Produktionsplattform verfügt, die im Custom-Manufacturing-Umfeld weltweit einzigartig ist. Wir haben zudem vor mehreren Jahren begonnen, unseren Anlagenpark, unser Technologieportfolio und unsere Mannschaftsaufstellung gezielt zu verbessern.

Zuletzt hatte Lanxess vor gut sechs Jahren rund 60 Mio. EUR in den Ausbau der Leverkusener Saltigo-­Produktionsstätten investiert. Planen Sie im Zuge des Tinci-Projekts weitere Investitionen?

M. Zobel: Für das Tinci-Projekt fließt ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag in die Anlage, um sie weiter aufzurüsten. Und da Sie die Erweiterung unseres großen Vielstoffbetriebs vor einigen Jahren angesprochen haben: Aktuell stellen wir dort jährlich in einer Kombination von 70 flexibel verschaltbaren Reaktormodulen und 14 Feststoffisolierungsstraßen eine Vielzahl von Produkten her, im Maßstab von einigen hundert Kilogramm bis zu mehreren tausend Tonnen. Unsere Synthesetechnologien lassen sich fast beliebig für nahezu jede Anforderung kombinieren, egal ob Halogenierungen, metallorganische Reaktionen, Hochdruckhydrierungen oder Tieftemperaturreaktionen bis -100 °C. Aber auch wenn wir bereits über ein breites Technologieportfolio verfügen, wir bleiben nicht stehen und beobachten die Anforderungen unsere Zielmärkte sehr genau.

 

Für Chemikalienproduzenten spielen ressourcen- und umweltschonende Prozesse eine zunehmend wichtige Rolle. Nehmen Sie diesen Trend auch bei Kundenprojekten im Custom Manufacturing wahr?

M. Zobel: Das Thema steht bei immer mehr Kunden weit oben auf der Agenda. Da gibt es zum Beispiel Anfragen, bei einzelnen Prozessschritten in der Herstellung von Wirkstoffen auf Basis nachwachsender Rohstoffe zu unterstützen. Oder es geht um die Verarbeitung eines Nebenprodukts, das ansonsten deutlich negative Effekte auf die CO2-Bilanz hätte.

Ökologie und Ökonomie wachsen immer stärker zusammen. Bei Agro- und Feinchemikalien ist es keine Seltenheit, dass man hunderte oder einige tausend Tonnen Zwischenprodukte oder Wirkstoffe herstellen muss. Da können sich schon unscheinbar anmutende Prozessverbesserungen sehr positiv auf die Produktionskosten auswirken.

Ein Beispiel ist der Lösemitteleinsatz. Typische Lösemittel für chemische Reaktionen kosten im Mittel 140 EUR je Tonne. Nehmen wir jetzt mal an, dass man für eine 100-t-Kampagne 500 t Lösemittel benötigt. Wenn man davon 50 t recycelt, senkt man nicht nur die Beschaffungskosten um 7.000 EUR, sondern man verringert auch die Verbrennungskosten, die durchschnittlich bei 500 EUR je Tonne liegen, um etwa 25.000 EUR.

Welche Rolle spielt neben dem verfügbaren Technologie- und Anlagenportfolio die technische Expertise der Forschungs- und Prozessentwicklungsabteilung für Kunden?

M. Zobel: Das spielt eine große Rolle. Unsere erfahrene und gut ausgestattete Prozessentwicklung ist da ein echtes Pfund. Sie sorgt für einen schnellen und reibungslosen Übergang von Prozessen vom Labor über die Pilotierung bis hin zu Anlagen im kommerziellen Maßstab. Wir können zum Beispiel Aufarbeitungssequenzen verbessern und vereinfachen, sodass auch größere Produktmengen rasch zur Verfügung stehen.

Ebenso können wir die Ausbeuten der einzelnen Reaktionsschritte optimieren. Mehr Produkt in kürzerer Zeit: das zahlt sich für unsere Kunden gleich mehrfach aus. Neben der Kundennähe und Kundenorientierung stellt das einen wertvollen Differenzierungsfaktor dar.

 

Zur Person

Michael Zobel begann sein Chemiestudium an der LMU in München und setzte es an der WWU Münster fort, wo er 1997 promovierte. 2003 erwarb er einen MBA an der Warwick Business School und 2007 absolvierte er das INSEAD Advanced-Management-Programm. Seine berufliche Laufbahn begann er 1997 bei Bayer. Nach der Abspaltung des Chemiegeschäfts und der Gründung von Lanxess bekleidete er verschiedene Führungspositionen. Seit Juni 2020 ist er Geschäftsführer des Tochterunternehmens Saltigo. Zobel ist zudem Mitglied des Steering Boards von PlasticsEurope in Brüssel und Vorsitzender von Plastics­Europe Deutschland sowie Mitglied im Hauptausschuss des Verbands der Chemischen Industrie (VCI).

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