Netzwerkfähigkeit der chemischen Industrie
Chancen durch Open-Innovation-Plattformen und neue Formen von Netzwerkorganisationen
Digitalisierung, Energiewende, Nachhaltigkeit und zirkulären Wirtschaft: Die chemische Industrie steht aktuell und in den kommenden Jahrzehnten vor einer Reihe struktureller Herausforderungen. Neben monetären Investitionen benötigen die Unternehmen intellektuelle Investitionen, also reale und digitale Kreativ- und Rückzugsräume für den Austausch von Ideen und die Entwicklung bzw. Umsetzung von Lösungen. Der Aufbau und die Nutzung innovativer Netzwerke innerhalb der chemischen Industrie sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um die Zukunftsfähigkeit der gesamten Branche und insbesondere des chemischen Mittelstandes zu sichern.
Die chemische Industrie hat durch ihre vielfältigen ökonomischen Netzwerke viele Erfahrungen in der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit. Integrative Stoff- und Energiekreisläufe verbinden Unternehmen schon seit Beginn der Industrialisierung. Darüber hinaus sind in der chemischen Industrie über die Chemiewerke und -standorte hinweg nationale und internationale, vernetzte Lieferketten die Regel. Ende-zu-Ende Betrachtungen in der Supply Chain sind zunehmend selbstverständlich.
Im Aufbau und der Pflege innovativer Netzwerke bestehen für die chemische Industrie noch Entwicklungspotenziale. Die Sorge der sehr forschungsintensiven Branche vor dem Verlust von Know-how und damit verbundenen Wettbewerbsvorteilen ist sehr hoch. Wissensnetzwerke bringen Vorteile wie Perspektivenvielfalt und Schnelligkeit mit sich: Der Austausch mit wechselnden Partnern in interdisziplinären Teams fördert die Ideenvielfalt, da unterschiedliche Perspektiven in den Innovationsprozess einfließen können. Gleichzeitig bieten innovative Netzwerke eine hohe Flexibilität, da sie schnell und agil initiiert werden können und rasch auf sie zugegriffen werden kann.
Chemieunternehmen (große und mittelständische) können dieses Umfeld selbst schaffen, indem sie an innovativen Kompetenzzentren und Plattformen für einen fachübergreifenden Wissensaustausch teilnehmen oder diese sogar selbst etablieren. Dazu bedarf es der Netzwerkkompetenz, eine individuelle und organisatorische Fähigkeit.
- Für erfolgreiches Netzwerken sind auf individueller Ebene neben Offenheit, Empathie, Beziehungsfähigkeit und Selbstreflexionsfähigkeit auch Kommunikationsstärke und die Bereitschaft, auch ohne direkte Gegenleistung sein Wissen und Know-how zu teilen, erforderlich.
- Organisationen mit einer hohen Netzwerkkompetenz verstehen vertrauensvolle hierarchie- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit auf Augenhöhe innerhalb des eigenen Unternehmens (funktionale Vertrautheit) als Selbstverständlichkeit. Vertrautheit „ohne hierarchische Ansagen“ ist dann der Schlüsselfaktor für das Arbeiten in unternehmensübergreifenden Netzwerken.
Daraus resultieren einige Voraussetzungen für eine Netzwerkkompetenz:
- Sinn und Ziel klären: Die Arbeit in Netzwerken ist nur dann erfolgreich, wenn das gemeinsame Arbeiten an Inhalten dazu dient, gemeinsame Ziele zu erreichen – Netzwerkarbeit ist kein Selbstzweck! Also, Ziele und Nutzen zu Beginn verschriftlichen.
- Fortschritte und Aufwand messen: Hierzu zählen die monetären und zeitlichen Aufwände für die Netzwerk- bzw. Kooperationsprozesse, z.B. durch Aushandeln von (Rahmen-)verträgen, das Abstimmen der Arbeitsweise und der auszutauschenden Informationen oder das Anpassen der entsprechenden Informationssysteme. Die schnelle, effiziente und kostengünstige Anbindung der Kooperationspartner ist folglich wesentlich – Plug & Play-Fähigkeit sollte Kosten und Nutzen der Netzwerkarbeit positiv beeinflussen.
- Vertrautheit schaffen: Vertrautheit entsteht, wenn man sich besser kennenlernt, eine Weile zusammenarbeitet – Verträge schaffen keine Vertrautheit, ehrlicher und offener Umgang insbesondere zu den Stärken und Schwächen der Beteiligten schafft Vertrautheit; echte Vertrautheit entsteht im „Tun“ in ersten Pilotprojekten oder unkritischen Vorarbeiten
Digitale Plattformen und Open-Innovation-Konzepte werden mittlerweile vermehrt initiiert. Beispiele sind neben bereits etablierten Vereinigungen wie der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und der Vereinigung für Chemie und Wirtschaft (VCW), auch Initiativen wie der CHEManager Innovation Pitch, der 5-HT Digital Hub Chemistry & Health, das European Chemistry Partnering (ECP), die Nachhaltigkeitsinitiative des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) oder auch die Open Innovation Plattform Chemtelligence von ChemCologne.
Zahlreiche Chemieunternehmen suchen dort nach zukunftsorientierten Lösungen für ihre aktuellen Herausforderungen. Insbesondere Start-ups, Studierende, Wissenschaftler und Industrieexperten können sich als Kooperationspartner bewerben (vgl. Kurzinterview).
Fazit und Ausblick
Die Zukunftsfähigkeit der chemischen Industrie wird durch Innovationen und die Zusammenarbeit verschiedener Beteiligter der Branche erst ermöglicht - Innovationen sollten gemeinsam erarbeitet werden. Dafür braucht es zum einen innovative und interdisziplinäre Teams sowie den Mut, sich hierfür zu öffnen und die Offenheit, von anderen zu lernen. Zum anderen kann ein erfolgreiches Netzwerk nur entstehen, wenn die Partner bereit sind, gemeinsam an Inhalten zu arbeiten – echte Partnerschaften entstehen über die Auseinandersetzung mit Inhalten.