Mit Kompetenz und Wissenschaft gegen Corona
Mit dem Zusammenschluss der Partner OHB, HT Group und Dastex leistet man einen Beitrag zur Eindämmung des Coronavirus.
Im Interview mit der ReinRaumTechnik stand Herr Dr. Axel Müller, OHB System als Ansprechpartner und Projektkoordinator für dieses außergewöhnliche Vorhaben.
ReinRaumTechnik: Woher kam der Impuls für das Projekt? Wer hatte die Idee?
Dr. Axel Müller: In der Raumfahrt ist es entscheidend, optische Systeme vor Verunreinigung aber auch von störenden Wärmequellen zu schützen. Mittel der Wahl ist hierbei eine Luftführung, die idealerweise einen „Trennvorhang“ zwischen Quelle und Objekt realisiert. Eine analoge Zielsetzung liegt der Planung von OP-Sälen zugrunde.
Aus der Kooperation ziwschen Raumfahrt- und Medizintechnik, die übrigens auch Bestandtteil des Space2Health-Verbundes im DLR-Netzwerk ist, entstand Anfang Oktober der Wunsch, die Kompetenzen zu bündeln und zu nutzen, um das Corona-Infektionsrisiko in Klassenzimmern zu reduzieren. Die Anzahl der Quellen, sprich die Schüler, waren im Konzept zu berücksichtigen genau wie die Tatsache, dass es keine großen Umbauten geben sollte. Aus den Grundanforderungen entstand das Konzept des Upwind 900 Systems, das die Herausforderungen zum Vorteil macht. Zusammen mit Dastex konnte das technische Problem der flächigen dezentralen Luftabsaugung realisiert werden. Es folgten ein Prototyp und eine ausgiebige Messkampagne am DLR in Göttingen.
Wie unterscheidet sich der neue Ansatz gerade zu den Empfehlungen 15 Minuten Fenster auf oder einen Raumlüfter für jedes Zimmer anzuschaffen?
Dr. A. Müller: In unserem Upwind 900 System strömt die gefilterte Luft mit niedrigem Impuls in Bodennähe in den Raum ein. Diese Luft verdrängt die potentiell belastete Luft und schiebt diese Richtung Decke. Die ausgeatmete, ebenfalls warme und leichtere Luft strebt ebenso nach oben. Diese Luft wird an der Decke eingesammelt und über die Filter und Aufbereitungsstrecke dem Raum wieder in Bodennähe zugeführt. Es entsteht ein geschlossenes System, das die Luft gegenüber Keimen, Viren aber auch Staub, Feinstaub, Pollen und Allergenen filtert, ohne die Temperatur zu verändern. Nachdem wir alle Geschwindigkeitsvektoren parallel anordnen, verringern wir Turbulenz und führen die belastete Luft auf schnellstem Weg vom Gesicht zur Decke gerichtet ab.
Durch Messungen von geöffneten Fenstern sowie Standgerät-Raumlüftungsanlagen konnten wir zeigen, dass in diesen Fällen die Geschwindigkeitsrichtung der potentiell belasteten Luft und der natürlichen sowie erzwungenen Luftbewegung senkrecht, chaotisch oder gegenläufig sind. Hier setzt man auf turbulente Vermischung und Verdünnung. In diesem Fall ist die Ansteckungsgefahr im Raum stark abhängig von der Stärke der Aerosolquelle im Raum, deren Position im Vergleich zum Luftstrom und der Aufenthaltsdauer der Personen im Raum.
Es haben sich drei hochkarätige Partner zusammengefunden. Dastex ist ja bekannt für Reinraumbekleidung und Reinraumverbrauchsgüter. Wie kam es dazu, dass sich Dastex in diesem Projekt engagierte?
Dr. A. Müller: Die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Dastex und OHB begann 2014. Aus Diskussionen über Funktionalität und Garantie zwischen Nutzer und Lieferant von Reinraumverbrauchsgütern und Bekleidung entwickelte sich schnell eine Kooperation. Auf beiden Seiten wurde konstruktiv an kreativen Lösungen für die Reinraumarbeit gearbeitet, die auch außerhalb der Raumfahrt Anwendung finden. Eines der vielen Highlights stellte die Entwicklung von angepassten, zertifizierten, nicht aufladenden und wiederverwendbaren Satellitenabdeckungen aus Textil dar. Bei Bedarf können diese mit Luftführung beaufschlagt werden und auf diese Weise flexible Integrationsräume geschaffen werden. Aus dieser Erfahrung heraus war Dastex von der ersten Idee mit seinem Team aus Materialexperten und Designern begeistert im Team. Das Konsortium wurde durch den Krankenhaus- und Laborexperten HT Gruppe erweitert. Bei HT stehen Produkte und Gesamtlösungen zur weltweiten, pragmatischen, zertifizierten Abnahme von Labor- und Hygienebereiche sowie deren Prozesse im Fokus. Die guten Kontakte zum DLR halfen enorm, kurzzeitig die Experten für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen zu gewinnen.
Welche Vorteile erwarten Sie von einem Textilschlauch aus Reinraumgewebe für die Absaugung der Raumluft?
Dr. A. Müller: Die Vorteile eines textilen Schlauches sind in erster Linie das geringere Gewicht und die Möglichkeiten, diesen einfach, schnell und effizient regelmäßig reinigen zu können. Von Anfang an wollten wir die bauseitigen Aufwendungen so gering wie möglich halten und da spielt der Faktor Gewicht (an der Decke) eine wichtige Rolle. Je nach Kontaminierungsgrad ist eine konsequente und gleichzeitig effiziente Reinigung gerade aus mikrobiologischen Aspekten essenziel. Letztendlich darf auch der Teil des Systems, in dem die Luft eingesaugt wird, nicht selber zu einem Risiko werden. Ein Textilschlauch lässt sich in Fachbetrieben problemlos dekontaminieren und bei Bedarf sogar sterilisieren.
Ein Reinraumtextil bietet im Vergleich zu anderen Textilien den Vorteil, Luftführung und Luftströmungen gezielter abzudecken. Druckverluste im Schlauch und die Konzentration der Luftströmungen bei der Ansaugung werden u.a. durch die Auswahl des Reinraumtextils entsprechend beeinflusst. Ein fester Schacht aus Metall oder Kunststoff zum Absaugen der kontaminierten Luft ist im Vergleich zu einer textilen Konstruktion stabiler.
Wann wurden die Messungen und Simulationen durchgeführt oder basieren die Ergebnisse auf bereits bestehende Untersuchungen?
Dr. A. Müller: Die Machbarkeit und die Funktionalität wurden Ende Oktober 2020 am DLR Institut für Aerodynamik in Göttingen gezeigt. Unter anderem wurde hierbei ein Klassenzimmer mit 15 thermisch analogen Menschmodellen nachgebildet. Eine Puppe wurde hierbei mit einem Atmungssystem sowie einem Aerosol-(Spucke-) generator betrieben. Der Schutz oder die Sammeleffizienz der 14 anderen Puppen wurde als Funktion verschiedener Parameter erfasst. Neben der erfolgreichen Effizienzmessung folgen nun die Schritte der konstruktiven Optimierung.
Sind noch weitere Messungen und zusätzliche Untersuchungen geplant?
Dr. A. Müller: Noch im November startete ein Feldversuch am Klinikum Rechts der Isar im Helmholtz Zentrum für Virologie, ein weiterer langjähriger Kooperationspartner von OHB und HT. Hierbei stehen die Alltagstauglichkeit sowie Erkenntnisse zu Aufbereitungszyklen im Vordergrund. Noch im Dezember laufen die systemtechnischen Tests inklusive CE-Zertifizierung.
Eine weitere große Messkampagne ist ab Januar 2021 geplant: Neben der technischen Optimierung stehen dann weitere ausgedehnte, systematische Studien im Mittelpunkt, die sowohl die Messtechnik als auch die Kritikalität „Bewertung von Meeting-Situationen“ abdecken sollen.
Wo könnte diese Art von Raumluftfiltrierung denn überall eingesetzt werden?
Dr. A. Müller: Die Anwendung ist nicht nur für Schulen interessant. In der Messkampagne in Göttingen haben wir eine typische Bestuhlung von Wartebereichen in Arztpraxen, Krankenhäusern, Behörden, ebenso Theater, Oper, Kino und typischen Restaurants nachgebaut. In all diesen Bereichen ist unser Upwind 900 System direkt oder in Abwandlungen einsetzbar und liefert größtenteils noch bessere Filtereigenschaften. Durch unsere Kooperationen mit dem Bühnenbau sind temporäre Anwendungen ohne bauliche Veränderungen oder Einsätze in Sporthallen und Veranstaltungen denkbar.
Wie schnell können Sie eine Lösung anbieten?
Dr. A. Müller: Die ersten Feldversuche als realer Einsatz laufen seit November. Bei der HT Group können bereits jetzt Informationen zum System, ein Fragebogen zum Einsatzzweck sowie eine gestaffelte Preisliste angefragt werden. Noch im Dezember erfolgen die ersten Kundeninstallationen in Seminarräumen von Unternehmen, einem Restaurantbetrieb, Vorlesungsräumen und eventuell Klassenzimmern.
Wie hoch sind die Kosten? Und natürlich die Lieferzeiten?
Dr. A. Müller: Bei den Kosten handelt es sich um eine gestaffelte Aufstellung, die das Basisgerät ab 7.000 € beinhaltet. Hierzu kommen noch eventuelle Aufwendungen für Installation sowie für Aufbereitungs- und Unterhaltservice-Leistungen, die optional beim Konsortium beauftragt werden können. Es ist zu erwähnen, dass eine individuell auf den Raum angepasste Luftrückführung ratsam ist. Durch die effektive Filterung der Luft ist es notwendig, die Filter aufzubereiten, um gleichbleibende Qualität zu garantieren, aber auch, um ein ungewolltes Bakterienwachstum zu vermeiden.
Denken Sie schon an Weiterentwicklungen?
Dr. A. Müller: Die drei Partner Dastex, OHB und HT Group haben sich im gemeinsamen Gedankengut gefunden, pragmatische Lösungen für technische Fragestellungen zu erarbeiten. Hierbei treffen Aufgaben und Expertise aus den Bereichen Raumfahrtindustrie und Medizin- sowie Labortechnik zusammen. In diesem fruchtbaren Umfeld konnten wir parallel weitere Projekte auf den Weg bringen, die meines Erachtens nach auch für die Corona-Situation interessant sind.